Tag: 16. Februar 2021

Lass das Kind spielen, wenn es spielt – Warum wir nicht ständig bespaßen müssen

Elternsein besteht aus vielen verschiedenen Gefühlen jeden Tag – und in einem ständigen Wechsel. Eines dieser Gefühle, das sich schnell in die Gefühlsmenge des Alltags mischt, ist das schlechte Gewissen: Tue ich genug? Habe ich ausreichend „Quality Time“ mit meinem Kind? Zeige ich genügend Interesse und Aufmerksamkeit? Spiele ich ausreichend mit meinem Kind? Oft denken Eltern, dass es ihre Aufgabe wäre, sich beständig zuzuwenden, wenn sie gerade Zeit haben – oder auch dann, wenn sie eigentlich anderes tun müssten. Schließlich soll kein Zeitfenster übersehen und das Kind optimal gefördert werden? Aber ganz so einfach ist es mit der „Quality Time“ nicht…

Es ist schön, Kindern Aufmerksamkeit zu geben…

Ja, natürlich brauchen Kinder Aufmerksamkeit und Anerkennung. Sie wollen gesehen werden in ihrer Entwicklung und mitteilen, was sie an Neuem in dieser Welt entdeckt oder gelernt haben. Sie wollen ihren Aufmerksamkeitsfokus mit uns teilen und auch sozial lernen. Sie brauchen ansprechbare Eltern bzw. Bezugspersonen.

… aber sie brauchen die Freiheit…

All das ist durchaus richtig und wichtig. Aber neben dem Gemeinsamen, wollen sie die Welt erkunden und entfernen sich jeden Tag auf immer größer werdenden Runden von uns, um selbst und eigenständig zu lernen, um zu explorieren. Manchmal brauchen sie hierfür unseren Blick, ein paar beflügelnde Worte, um aufbrechen zu können. Dann brechen sie zu einem Abenteuer auf und kommen wieder zurück, wenn sie unsere Nähe brauchen, erschöpft sind, sich verletzt haben. Um von dort aus, wenn sie wieder bereit sind, zu einem neuen Abenteuer, einer neuen Erkundung, einem neuen Lernen aufzubrechen. Es ist ein Kreislauf, auf dem sie sich jeden Tag viele Male bewegen.

… was uns auch von ständiger Bespaßung befreit.

Für Eltern bedeutet dieses Wissen: Wir müssen Kinder nicht beständig bespaßen. Wie müssen nicht ständig ein Spiel vorschlagen, etwas anbieten, sie in ein vermeintlich pädagogisch wertvolles Spiel einbinden oder ihnen beständig etwas beibringen. Eltern müssen nicht rund um die Uhr mit perfekten, sinnvollen Angebote für ihre Kinder aufwarten können.

Im Gegenteil: ein beständiges Bespielen und Anbieten von immer neuen Angeboten und Ideen kann laut Forscherehepaar Dr. Karin und Dr. Klaus Grossmann (2012) die Ausdauer des Kindes negativ beeinflussen, die Frustrationstoleranz senken und zu Schwierigkeiten der Selbstregulation und geringerem Selbstvertrauen führen.

Wir sehen also: Eltern müssen nicht beständig anbieten, anleiten und bespielen. Sie müssen aber dann wieder zur Verfügung stehen, wenn sie wieder nach dem Spiel und Erkunden gebraucht werden. Also quasi auf Stand-by stehen, statt auf Alleinunternhaltungsshow. – Und diese Stand-by-Zeit sollte einfach genossen werden können, statt ein schlechtes Gewissen zu haben.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de