Das Stillen ist eine Möglichkeit, um ein Baby in vielen Situationen zu beruhigen und die Brust ist besonders auch im ersten Jahr der Ort, an dem das Baby oft einschläft. „Einschlafstillen wirkt so sicher wie eine Narkose“ schreibt Hebamme Anja, denn in der Muttermilch sind schlaffördernde Inhaltsstoffe enthalten. Im Darm des Babys wird das Hormon Cholecystokinin ausgeschüttet, das dem Gehirn Sättigung signalisiert und Müdigkeit auslöst (dieses Hormon steht auch im Zusammenhang mit dem Clusterfeeding). Und durch den Körperkontakt kommt es zur Ausschüttung von Oxytocin, das zusätzlich beruhigt. Zudem befindet es sich in der Nähe des bekannten und beruhigenden Herzschlags, ist gewärmt durch die Körperwärme eines anderen Menschen und weiß sich in diesem Kontakt sicher und geborgen. Ein rundum schöner Ort, um einzuschlafen oder beruhigt zu werden. Aber dennoch ist es nicht der einzige Ort, der Beruhigung bietet und Schlaf ermöglicht.
Zum Beruhigen müssen Signale erkannt werden
Eltern können ihre Kinder beruhigen – unabhängig davon, ob sie stillende Eltern sind oder nicht. Für die Beruhigung des Babys ist es wichtig, dass die Signale des Babys wahrgenommen und beantwortet werden: Ist es überreizt, braucht es Ruhe und Reizminderung. Ist es hungrig, braucht es Nahrung. Fühlt es sich in einer nassen Windel unwohl, muss es gewickelt werden… Die Signale des Babys lernen wir zu verstehen, wenn wir mit ihnen Zeit verbringen. Dann lernen wir auch unsere jeweils eigenen Beruhigungsstrategien.
Bevorzugung des Bekannten
Natürlich haben Babys eine Vorliebe für die Beruhigungsstrategien, die sie seit jeher kennen. Wenn sie immer an der stillenden Brust einschlafen, werden sie gegen eine Änderung dieser bequemen und bekannten Beruhigungsstrategie rebellieren. Praktisch ist es deswegen, wenn sie schon früher andere Wege in den Schlaf kennengelernt haben oder auch von anderen Menschen in den Schlaf begleitet wurden auf eine andere Weise.
Individuelle Unterschiede sind in Beruhigungsritualen sind möglich
Wie ein anderes Schlafritual oder Beruhigungsritual aussehen kann, kann ganz verschieden sein. Es ist wichtig, dass jede/r Elternteil ein eigenes Ritual entwickeln kann, ohne dass dieses vom anderen Elternteil bewertet oder vorschnell eingegriffen wird. Das Baby ist in guten Händen: Es wird begleitet in dem Bedürfnis, das es gerade hat, es ist nicht allein und wird umsorgt. Es erfährt: Hier ist jemand, der/die bei mir ist und mir helfen möchte, auch wenn es Zeit braucht.
Für das Baby gilt, was für alle Menschen gleichermaßen in Situationen bedeutsam ist, in denen sie sich fremd und allein fühlen: Ein vertrauter Mensch an der Seite, der beruhigt und liebevoll unterstützt, ist eine große Hilfe.
S. Mierau „Geborgen wachsen“ S. 48
Sichere Bindung geht auch ohne Stillen
Eine sichere Bindung entsteht nicht durch das Stillen, auch wenn es einen Einfluss darauf haben kann. Sichere Bindung entsteht durch Feinfühligkeit und (promptes) Reagieren auf die Signale des Babys. Und das ist unabhängig vom Stillen.
Dass Babys zur Beruhigung auf die gewohnte stillende Brust und Milch zurückgreifen wollen, ist normal, wenn dieses die Hauptberuhigungsstrategie im Alltag ist und sie hat zudem die oben aufgeführten Vorteile. Deswegen ist es gut, wenn beide Elternteile gleichermaßen das Baby beruhigen – von Anfang an. Wenn das Baby zunächst an der stillenden Brust besonders viel beruhigt wurde und nun „umlernen“ soll/kann, braucht es wahrscheinlich eine Zeit des Kennenlernens und beide Beteiligten brauchen die Zeit, um sich einzuspielen und eine gute andere Methode kennen zu lernen: vielleicht ist es das Tragen in Tuch oder Tragehilfe oder das Schaukeln auf einem Sitzball oder das Laufen im Fliegergriff oder das gemeinsame Ausruhen im Bett. Aber diese Zeit und die Möglichkeit, den anderen Elternteil als beruhigenden und umsorgenden Menschen kennenzulernen (jenseits von Nahrung und Sättigungsgefühl), ist eine besonders schöne Möglichkeit, um intensiv in Kontakt zu kommen, sich kennen zu lernen und eine tiefe Verbindung aufzubauen.
Daher beim nächsten Gedanken an „Ich kann das nicht, weil das Baby will sowieso nur an die Brust“ lieber einen Schritt nach vorn gehen und denken „Wir beide probieren jetzt mal unser Ding aus und bekommen das Baby geschaukelt.“ Langfristig ist dies ein Geschenk für alle Mitglieder der Familie und trägt auch zur Entlastung beider Eltern bei.
Ein sehr schöner Text, vielen Dank. Den werde ich meinen Mann lesen lassen. Seine Worte werden ihn und uns sicher ermutigen es auch mal so zu probieren.
Funktionieren seine Tipps auch für die Mutter, die das Kind nicht mehr nur durch Stillen Beruhigen und in den Schlaf bringen will?
Ja 🙂
Unser Sohn, fast 8 Monate, hat Probleme einzuschlafen, obwohl er hundemüde ist, sich die Augen reibt und gähnt. Wenn wir ihn ins Bett legen, fängt er sofort an zu schreien. Er kann dann nur beruhigt werden durch singen und streicheln und das ist auch nicht immer erfolgreich und ich muss ihm so lange die Hand halten bis er eingeschlafen ist. Früher war das kein Problem, da fand er auch in den Schlaf wenn ich ihn wach hingelegt habe. Hast du Tipps? Mein Mann ist schon völlig genervt und der Meinung man muss ihn auch mal schreien lassen, da wir unseren Kleinen sonst völlig verziehen würden und er nie mehr alleine schlafen könnte. Das sehe ich anders und werde ihn nicht schreien lassen. Ich bin verzweifelt
Das ist in diesem Alter ein ganz normales Verhalten, gerade wenn auch die Bwegungsentwicklung voranschreitet: Wenn Kinder sich fortbewegen, wird auf der anderen Seite auch das Bindungsverhalten stärker (grob formuliert) und Kinder sind etwas anhänglicher wieder. Wichtig ist, ihn auch weiterhin liebevoll in den Schlaf zu begleiten.
Danke, das bestätigt mich. Und wie bekomme ich das nun in den Kopf meines Mannes, dass Einschlafbegleitung kein Verwöhnen ist und Schreienlassen keine Option ist?
Nur durch Aufklärung über Bücher oder Artikel wie https://geborgen-wachsen.de/2012/09/07/wenn-babys-schreien-gelassen-werden-was-passiert-in-babys-korper/
Danke das bestätigt mich. Wie kann ich meinem Mann klarmachen, dass Schreienlassen keine Option ist und in den Schlaf begleiten auch kein verziehen oder verwöhnen ist. Er denkt wir erziehen unseren Sohn dazu, dass er nie alleine einschlafen wird wenn er es jetzt nicht lernt.
Vielleicht durch Texte, Bücher und Aufklärung? Mittlerweile gibt es wirklich passende Literatur, die aufklärt, was durch das Schreienlassen im Kindhervorgerufen wird. Vielleicht als Einstieg auch dieser Artikel: https://geborgen-wachsen.de/2012/09/07/wenn-babys-schreien-gelassen-werden-was-passiert-in-babys-korper/
Ein sehr ermutigender Text! Trotzdem frage ich mich immer, inwieweit es „OK“ ist, das Baby beim Papa schreien bzw weinen zu lassen? Unser Sohn ist 4 Monate alt und lässt sich eigentlich nur von mir abends ins Bett und zum schlafen bringen. Wenn mein Mann es versucht, fängt er oft bitterlich an zu weinen und zu schreien und beruhigt sich dann erst wenn ich ihn auf den Arm nehme, obwohl er natürlich auch zu meinem Mann mittlerweile eine gute Bindung aufgebaut hat. Ab wann soll ich eingreifen oder soll ich wirklich die beiden ihr Ritual finden lassen, auch wenn das bedeutet dass unser Sohn so offensichtlich nach mir schreit? Ich stille leider übrigens nicht!
Das ist aus der Ferne schwer zu beurteilen und ich bin mir sicher, ihr entwickelt einen guten eigenen Weg zusammen. Das Baby beruhigt sich schneller und leichter bei der Person, mit der es besonders viel die Erfahrung macht, dass es von ihr/ihm beruhigt wird.
Der Text kommt wie gerufen. Meine Tochter ist 17 Monate alt und irgendwie haben wir den Zeitpunkt verpasst, dass sie ohne Stillen einschläft. Das ist auch tagsüber ein Problem, genau so wie abends. Gibt es da „Strategien“? Mein Mann und ich würden auch gern mal wieder etwas Zeit zu zweit genießen und z.B. die Oma mal mit einbeziehen.
Vielleicht hilft dir ja dieser Text: https://geborgen-wachsen.de/2018/04/25/nachts-abstillen-wie-die-stillbeziehung-mit-kleinkind-weiter-gefuehrt-werden-kann-ohne-naechtliches-stillen/
Vielen Dank, ja! 🙂 Lieben Gruß!
Ich war das erste Jahr in Elternzeit und mein Mann hat während dieser Zeit fast täglich unsere Tochter ins Bett gebracht, damit ich auch mal Zeit für mich habe. Am Anfang mit abgepumpter Milch und später mit Pre. Seit ein paar Monaten (unsere Tochter ist jetzt 1,5 Jahre alt) will sie aber nur noch von mir ins Bett gebracht werden und auch nachts soll ich sie füttern. Wenn ich nicht da bin, klappt das übrigens ohne Probleme auch mit dem Papa, aber wenn sie mich sieht, dann akzeptiert sie niemand anderes. Das ist anstrengend für mich und auch für meinen Mann nicht so schön, dass sie jetzt wo sie sich mitteilen kann, lieber auf die Mama zurückgreift. Wir hoffen ein bisschen, dass auch das „nur eine Phase“ ist. Vielleicht wird es besser, wenn sie demnächst mit ihrem Kinderbett in ihr eigenes Zimmer zieht, weil mein Mann sie dann zumindest nachts versorgen kann.
Hallo Susanne,
vielen Dank für den Text, der hier wie die Faust aufs Auge passt!
Obwohl mein Mann sehr einfühlsam und zugewandt mit unserer Tochter umgeht und viel (arbeitsfreie) Zeit mit ihr verbringt, gibt es Situationen, in denen nur ich sie beruhigen kann, meist am Abend. Entweder durchs Stillen oder einfach wenn sie bei mir auf dem Arm ist. Das ist für ihn sehr frustrierend, aber natürlich würde auch ich es mir anders wünschen. Meine Prämisse war allerdings immer, sie nicht länger „als nötig“ schreien zu lassen, d.h wenn ich da bin und bei ihm das Beruhigen nicht klappt (trotz einfühlsamer Versuche), übernehme ich nach einer Weile. Er ist allerdings der Meinung, dass es sich dadurch fortsetzen könnte, dass er sie „nie“ beruhigen wird können… Gerade jetzt (im Alter von 5 1/2 monaten) habe ich das Gefühl, dass sie noch stärker auf mich fokussiert ist.
Wie sind deine Erfahrungen? Ist das eine Phase? Hast du Tipps für uns (insbesondere im Hinblick auf das Dilemma, dass wir sie nicht lange schreien lassen wollen, wenn es auch anders geht)?
Viele Grüße!
In den Phasen, in denen die Kinder besonders stark explorieren (mit sechs Monaten bewegen sie sich ja oft durch drehen fort, mache sogar schon durch robben oder krabbeln), sind sie auch besonders anhänglich an den primären Bezugspersonen bzw. der Person, mit der sie besonders im Alltag Zeit verbringen.
Bei uns war das sehr schwierig. Meine Zweite wollte immer nur nachts beim Stillen einschlafen und am Liebsten die ganze Nacht gestillt werden. Wenn ich abends weg war, hat sie nur gebrüllt. Der Vater der Kinder hat sie mir immer gebracht, auch wenn ich eine Auszeit brauchte. Aus gesundheitlichen Gründen musste ich nach ca. 19 Monaten abstillen. Sie hat dann fast zwei Wochen nachts durchgebrüllt, bis es endlich mit dem Fläschchen geklappt hat. Ich habe in dieser Zeit mit ihr auf dem Sofa „geschlafen“. Von seiner Seite hatte ich wenig Unterstützung, obwohl ich auch gearbeitet habe. Wahrscheinlich mit ein Grund, warum wir seit einem Jahr getrennt sind…
Ein sehr schöner Text! Ich kann das bestätigen, ich kenne beide Varianten. Der Vater meines zweiten Kindes hat schon vor der Geburt überlegt, wie er auch ohne mich klar kommen würde. Ich hatte ihn darum auch sehr gebeten nach den frustrierenden Erfahrungen mit dem Vater meiner Großen… Und schon seit drei Wochen nach der Geburt habe ich nun zwischen 21 und 1 Uhr frei, bzw bis zum ersten Stillen ab 1 Uhr, und die beiden sind mit Tuch und Fläschchen zugange, während ich mich ausruhe, und kommen wunderbar zurecht. Wirklich toll für alle!
Liebe Frau Mierau,
vielen Dank für diese Kompetenz.
Ihre Worte beruhigen mich und geben mir ein stärkeres vertrauen in mich selbst.
Wenn meine kleine Königin das nächste Mal schreit, und ich merke sie will schlafen, werde ich erst ein paar andere Griffe versuche anstatt direkt zum Trumpf zu greifen.
Vielen lieben Dank für Ihre Arbeit!
Mit freundlichen Grüßen,
Simon Gilles-Roth