Das Baby-Led Weaning Experiment: Wie mein Baby ohne Brei mit dem Essen beginnt – Ein Tatsachenbericht Teil 1

Es klingt verlockend: Babys können auch ohne Babybrei aufwachsen? Kein lästiges Gläschen vorkochen oder kaufen, keine schmierigen Mahlzeiten, bei denen die Kleidungsstücke aller Beteiligten porentief mit Karottenbrei bedeckt werden. Keine Angst, ob unterwegs ein Fläschchenwärmer aufgetrieben werden kann, damit das Baby den Geflügel-Kartoffel-Brokkoli-Brei auch warm erhält. Baby-Led Weaning (kurz: BLW) bedeutet einfach: Das Baby isst ganz normale Kost. Aber wann ist ein Baby überhaupt bereit dazu?

Erste Anzeichen

Gill Rapley, Namensgeberin der Baby-Led Weaning Methode, ist bezüglich des festgelegten Beikoststartalters ganz eindeutig: Babys können ab dem 6. Lebensmonat mit dem Verzehr fester Nahrung beginnen. Doch wie in vielen Dingen ist das Alter des Babys nur ein grober Anhaltspunkt. Viel wichtiger ist es, sagt auch Rapley, auf die Signale des Babys zu achten: Kann es (mit keiner oder wenig Hilfe) aufrecht sitzen? Dies ist wichtig, damit die Nahrung den richtigen Weg nehmen kann und das Baby sich nicht daran verschluckt. Auch sollte das Baby über eine passende Auge-Hand-Koordination verfügen: Es sieht etwas auf dem Tisch liegen, greift danach und kann es selbst mit der Hand zum Mund führen. Vielleicht kaut es in der letzten Zeit auch besonders viel auf seinen Spielsachen herum? Oder es hat sich selbst schon einmal einfach etwas von einem Teller genommen, in den Mund geschoben und genüsslich darauf herumgekaut? Das dürfte dann ein ziemlich guter Indikator dafür sein, dass mit dem Essen begonnen werden kann.

Nur gespanntes Zusehen reicht nicht aus

Viele Eltern berichten davon, dass sie mit Beikost beginnen möchten, weil das Baby beim Essen der Erwachsenen so interessiert zusieht und jeden Bissen mit den Augen verfolgt. Natürlich verhält sich das Baby so: Es ist neugierig. Und es sieht, dass die Menschen am Tisch in entspannter Atmosphäre sitzen und es ihnen anscheinend gut geht dabei, wenn Essen in ihren Mündern verschwindet. Wie viele andere Dinge finden Babys auch dies spannend. Und einige von ihnen beobachten dieses Verhalten der großen Menschen auch schon mit drei Monaten ausgiebig. Doch dies allein ist noch kein sicherer Anhaltspunkt dafür, dass nun auch tatsächlich mit dem Essen begonnen werden sollte. Denn allzu oft wird dabei etwas ganz Entscheidendes vergessen: Das Baby weiß nicht, dass Essen Essen ist und dass Essen satt macht. Es sieht zunächst nur einen Gegenstand, den andere Menschen zum Mund führen, davon abbeißen oder darauf herum kauen. Das Baby möchte nachahmen, es möchte erfahren, wie sich dieser Gegenstand anfühlt, wie die Oberfläche beschaffen ist. Selbst wenn das Baby langsam anfängt, selbst Nahrung zum Mund zu führen und darauf herum zu kauen dauert es noch einige Zeit, bis es wirklich versteht, dass das Verspeisen dieser Nahrung auch wirklich Hunger beseitigt. Muttermilch bzw. künstliche Säugingsnahrung sind deswegen noch lange Zeit die Hauptnahrungsquelle.  Am Anfang ist das Essen für Babys vor allem eines: Ein neues und aufregendes Spiel. Und genau diese Neugierde ist es, die den Kindern auch erhalten bleiben soll.

Essen will gelernt sein

Babys Neugierde am Essen kann besonders gut dadurch erhalten bleiben, dass die Nahrungsaufnahme Spaß macht. Es sollte kein Zwang herrschen, Mahlzeiten müssen nicht aufgegessen werden und Kinder sollten auch nicht mit irgendwelchen Tricks („Hier kommt das Flugzeug“) dazu überredet werden, zu essen. Deswegen ist es auch von großer Bedeutung, dass das Baby bei den ersten Essexperimenten nicht hungrig ist. Es soll sich wohl fühlen und den Umgang mit den Nahrungsmitteln spielerisch erfahren. Und das geht nur, wenn es gerade in guter Laune ist: Nicht zu müde, nicht hungrig oder durstig.

Ganz besonders wichtig an diesem selbständigen und neugierigem Erkunden ist, dass das Baby dadurch selber Kompetenzen im Umgang mit den Nahrungsmitteln erwirbt: Es spürt, wie sich unterschiedliche Nahrungsmittel anfühlen. Es lernt, wie es verschiedene Lebensmittel halten muss, damit beispielsweise glitschiges nicht aus der Hand rutscht. Es erfährt auch, wo es stark und wo nur sanft abbeißen muss. Und ganz besonders wichtig: Es lernt, Nahrung auch wieder hervor zu würgen, wenn es sie noch nicht verschlucken sollte.

Die Angst vor dem Verschlucken

Generell ist es für alle Eltern – ob nun Baby-Led Weaning-Betreibende oder nicht – sinnvoll, einen Erste-Hilfe-Kurs für Babys und Kleinkinder zu besuchen. Hier erfahren Eltern wichtige Handgriffe, die sie im Notfall wissen sollten. Dazu gehören auch das Erlernen von Maßnahmen, wie das Kind von verschluckten oder eingeatmeten Kleinteilen befreit werden kann. Gill Rapley beschreibt, dass BLW dem Baby sogar ermöglicht, ein gutes, wenn nicht gar besseres Gespür dafür zu bekommen, was es hinunter schlucken kann und was nicht: Bei sechs Monate alten Babys ist die Region im Mund, die den Reflex des Hervorwürgens auslöst, viel weiter vorn als bei uns Erwachsenen. Das Baby kann also früher reagieren. Babys, die sich selbst füttern, können so lernen, diesen Reflex zu nutzen. Kinder, die zuerst mit Brei über einen Löffel gefüttert werden, neigen nach Rapley wesentlich häufiger zum Würgen, wenn festere Nahrung eingeführt wird. Kinder, die sich selbst füttern, haben auch selbst die Kontrolle über die Situation: Sie nehmen das Nahrungsmittel auf und erfahren so schon über die Hand Eigenschaften des Gegenstandes (weich, hart, schlüpfrig,…) und können so schon entscheiden, wie sie das Nahrungsmittel mit dem Mund am Besten umfassen und zerkleinern. Damit der Mechanismus des Hervorbringens aber auch funktioniert, muss dass Baby aufrecht sitzen können. Und selbstverständlich gilt: Das Baby niemals mit Nahrungsmitteln unbeaufsichtigt lassen!

Was Eltern noch vorbereiten können

Eltern, die sich für BLW entscheiden, sollten sich jedoch auch auf anderes vorbereiten: Viel mehr als beim Breifüttern nimmt die selbstgesteuerte Beikosteinführung nämlich Einfluss auf das gesamte Essverhalten der Familie. Das Baby wird beim BWL am normalen Essen beteiligt. Dies bedeutet auch, dass das Baby irgendwann erwartet, dass es jederzeit am Essen teilhaben kann. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Ernährungsgewohnheiten der gesamten Familie. Denn auch beim BLW gilt: Keine stark gesalzenen oder gezuckerten Lebensmittel geben! BLW bietet daher Eltern auch die Möglichkeit, den Blick auf die eigenen Ernährungsgewohnheiten zu schärfen und die Ernährung ggf. umzustellen. Eine große Chance für die gesamte Familie! Und wer nachmittags gerne mal Kuchen oder Torte gegessen hat, wird das durch die kleinen zupackenden Babyhände schnell lassen. Und auch auf eine andere Esskultur müssen sich BLW-Familien einstellen: Wenn das Baby selbst zupackt, fällt auch schnell mal etwas auf der Hand und verteilt sich um den Esstisch herum. Der Ort, an dem gespeist wird, sollte deswegen gut gewählt sein, denn er muss gut zu säubern sein – das gilt aber ebenso für Breiesser.

Ab Sommer 2013 gibt es den passenden Workshop zum Thema in Berlin:  Beikoststart ohne Brei – So lernt mein Baby selbstbestimmt und glücklich Essen.
Anmeldung und weitere Infos unter [email protected]

Termine:
13.07.2013 15:00-17:00 Uhr im Pikapé in Pankow
03.08.2013 11:00-13:00 Uhr im Hug & Grow in Tiergarten

Weiterführende Literatur:

  • Rapley, Gill/Murkett, Tracey (2010): Baby-Led Weaning. The Essential Guide to Introducing Solid Foods and Helping Your Baby to Grow Up a Happy and Confident Eater. New York: The Experiment.

4 Kommentare

  1. Tausend ‚Thank yous‘ für diesen Artikel! Ich komme ursprünglich aus England und mein Sohn ist 3 Monate alt. Wir waren am Wochenende bei meiner Schwiegereltern und meine Schwiegermutter meinte ‚Bald kommt das erste Brei!‘ und ich meinte ‚Nein, eigentlich nicht, das wollen wir überspringen‘ und ich habe versucht BLW zu erklären. Sie war aber sehr skeptisch und wollte es nicht verstehen. Ich werde diese Artikel ausdrucken und ihr geben, hoffentlich wird sie es besser begreifen!

  2. Jettini.de

    Toll erklärt um was es beim BLW geht und was man sonst noch dabei zu beachten hat. Schade das es noch nicht so verbreitet ist. Aber alles neue braucht Zeit.

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