Schlagwort: wütend

Jedes Kind darf wütend sein

Da stehst du vor mir und wütest. Du schreist mich an, mich und die Welt. Denn ich und die Welt, wir sind gerade blöd für dich. Wir verstehen dich nicht, wir lassen dich nicht das tun, was du gerade wolltest. Dabei willst du doch entdecken und lernen und erfinden. Nur manchmal, da geht das eben nicht. Da stehen die Dinge, die Menschen dir im Weg. Und manchmal kommst du nicht an ihnen und ihren Meinungen und Wünschen vorbei. Manchmal findet sich kein Kompromiss, manchmal müssen Eltern den Weg anzeigen und können ihn nicht ändern.

Also wütest du und schreist. Und es ist in Ordnung, das zu tun. Es ist in Ordnung, Gefühle zu haben und auch Wut, Angst und Ärger zu spüren, zu benennen, auszuleben. Es ist in Ordnung, die Wut aus dem Bauch heraus zu lassen und sie nicht in sich verbergen zu müssen. Wut ist kein Gefühl, das man lassen muss. Es ist kein Gefühl, das verboten ist. Keines, das versteckt werden muss oder nur heimlich allein betrachtet werden kann. Wut ist nichts, wofür man sich schämen muss. Menschen sind glücklich und traurig und lustig und aufgeregt und nervös und eben auch wütend. All das gehört zum Leben dazu, all das macht das Leben aus. Auch die Wut ist ein Teil der Gefühlswelt und auch sie hat ihren Platz im Alltag.

Noch ist es schwer, durch die Wut hindurch zu kommen, denn du findest noch nicht den Weg aus ihr heraus. Noch brauchst du mich, um auf dem Weg begleitet zu werden. Manchmal mit Worten, manchmal durch Berührung und manchmal einfach nur mit Verständnis. Der Weg, mit der Wut umgehen zu können, ist lang. Aber den Umgang lernst du nur dann, wenn du sie auch fühlen darfst. Du lernst, wie du dich beruhigen kannst – nach und nach. Durch uns Erwachsene, durch unsere Worte und unser Dasein.

In den nächsten Jahren wirst du uns immer weniger brauchen und schließlich wirst du deinen eigenen Weg finden durch diese starken Gefühle – oder selber wissen, wann du eine andere Person zur Hilfe hinzuziehen musst. Denn auch das kannst du lernen: Wir müssen Gefühle nicht allein mit uns ausmachen, auch nicht als Erwachsene. Es gibt Situationen, in denen wir sie allein regulieren und es gibt Situationen, da tut es so gut, sich anzulehnen, den Ärger auszusprechen und eine verständnisvolle Person gegenüber zu haben.

Es ist in Ordnung, wütend zu sein. Auch als Elternteil. Auch wir sind wütend, enttäuscht, zermürbt, überreizt. Auch wir haben Gefühle, die wir nicht verschließen müssen und sollten. Im Unterschied zu unseren Kindern sind wir aber erwachsen und sollten einen Weg gefunden haben, gut und gesellschaftlich verträglich damit umzugehen. Und wenn es uns schwer fällt, ist es umso wichtiger, unserem Kind einen anderen Weg aufzuzeigen und mit ihm gemeinsam zu lernen.

Eure

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