Das Essen steht auf dem Tisch, es gibt etwas, was das Kind eigentlich mag. Und dennoch: Das Kind bliebt einfach nicht sitzen. Vielleicht isst es ein paar Happen, vielleicht beginnt es auch, auf dem Teller das Essen hin und her zu schieben. Vielleicht beginnt es auch, im Stuhl zu zappeln oder steht auch selber auf und läuft umher. Was nun? Müssen wir streng sein, damit das Kind lernt, dass alle bis zum Ende am Tisch sitzen bleiben? Tischmanieren sind schließlich wichtig, oder nicht?
Wie Kinder Tischmanieren lernen
Kinder lernen vor allem durch unser Vorbild. Das betrifft viele Alltagssituationen, und auch all das, was wir unter „Manieren“ oder „Benehmen“ zusammenfassen. Bitte, Danke und die Bitte um Entschuldigung lernen sie von uns und durch unser Beispiel. Ebenso wie sie Begrüßungen durch uns lernen und die passende Ansprache von anderen Menschen. Auch beim Essen gilt daher, dass die engen Bezugspersonen Vorbilder sind für das Verhalten: Wenn wir mit Besteck essen, möchte das Kind auch mit der Zeit die unterschiedlichen Esswerkzeuge ausprobieren – das ist neben der Frage nach dem Vorbild aber auch eine nach der Feinmotorik des Kindes: Sie entwickelt sich erst im Laufe der Kleinkindzeit und Kinder greifen in den ersten Jahren gerne noch mit den Händen zu, erfühlen und betasten das Essen und führen es mit den Fingern zum Mund. Hier brauchen wir Verständnis für die Entwicklung. Wenn wir uns den Mund mit einer Serviette abwischen, wird das Kind dies auch übernehmen. Wenn wir einen Tischspruch einführen vor dem Essen (wenn wir das als Ritual in unserer Familie wünschen), wird das Kind mit der Zeit lernen, erst danach mit dem Essen zu beginnen.
Die kindliche Entwicklung berücksichtigen
Bei dem Beispiel mit dem Tischspruch sehen wir bereits: Routinen müssen mit der kindlichen Entwicklung zusammenpassen. Je jünger Kinder sind, desto weniger können sie Bedürfnisse aufschieben. Ein kleines Kind, das großen Hunger hat, wird wahrscheinlich das Bedürfnis nach der Speise noch nicht aufschieben können und die Finger nach dem Essen ausstrecken – auch wenn es eigentlich weiß, dass das Essen erst danach beginnt. Wenn wir es verweigern, kann es sein, dass es nun wütend wird, weil es die Impulse noch nicht ausreichend kontrollieren kann. Wir geraten in einen Streit, sind vielleicht wütend über die Wut, der eigentlich daran lag, dass das Kind sein Bedürfnis noch nicht aufschieben kann.
Dieses Beispiel erscheint uns Erwachsenen noch sehr verständlich. Wenn das Kind aber vom Tisch aufsteht, ist das für Eltern manchmal schwerer zu verstehen, warum genau das Kind dies nun tut und nicht einfach sitzen bleibt. Aber auch hinter dem Aufstehen kann ein Bedürfnis stehen: Vielleicht ist es wirklich satt oder aktuell noch nicht besonders hungrig gewesen. Es ist okay, den Teller stehen zu lassen und anzubieten, dass das Essen später aufgegessen werden kann, wenn das Kind noch Hunger hat. Vielleicht hat es auch das Bedürfnis, sich noch ein wenig zu bewegen oder nach einem ganzen Tag, an dem es nicht zu Hause war, jetzt selbst zu entscheiden und mit einem bestimmten Spielzeug zu spielen. Vielleicht kommt es dann, wenn es sich ein wenig bewegt oder zu Ende gespielt hat, wenn es hungrig ist zurück an den Tisch. Vielleicht ist das Zappeln aber auch ein Zeichen dafür, dass es etwas Nähe braucht und es möchte lieber auf dem Schoß einer Bezugsperson weiteressen.
Es gibt viele Gründe dafür, dass das Kind gerade jetzt nicht sitzen bleiben möchte. Bei einem Kleinkind ist der Grund aber auf jeden Fall weder ein schlechtes Benehmen noch ein Machtspiel. Und weil das Kind jetzt noch nicht lange Zeit am Tisch stillsitzen kann, bedeutet das nicht, dass es das nie lernen wird. Neben der Reifung spielt dabei auch das individuelle Temperament eine Rolle: manche Kinder sind ruhiger und sitzen schon in jüngeren Jahren länger und ruhiger am Tisch, andere sind zappeliger und brauchen etwas mehr Bewegung.
Kein Zwang, keine Ablenkung
Wir sollten unsere Kinder nicht gegen ihren Willen am Tisch halten – das führt in der Regel nur zu oben erwähnten Wutsituationen, weil sich das Kleinkind nicht gesehen und verstanden fühlt. Wir sollten auch nicht versuchen, das Kind durch die Nutzung von Medien vom eigentlichen Bedürfnis abzulenken und am Tisch zu halten, indem wir es füttern, während es ein Video sieht. Essen ist eine soziale Situation und sollte bewusst und sinnlich erfolgen – mit den Sinnen beim Essen und nicht abgelenkt durch andere Medien. Hilfreicher ist es, dem kindlichen Bedürfnis nachzugeben und das Essen zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen oder – wenn das Kind eben satt ist – selbst in Ruhe zu Ende zu essen, während das Kind spielen kann. Nach und nach werden die Zeiten am Tisch länger, wenn wir eine insgesamt angenehme Tischatmosphäre schaffen und das Kind erfährt, dass das Zusammenkommen beim Essen mehr als nur Nahrungsaufnahme ist, sondern auch Familienritual, Zeit zum Austausch und insgesamt eine respektvolle, genussvolle Zeit.
Eure
Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.
Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de
Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.
Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de
Ich habe 5 Kinder und alle haben bis fast 3 Jahre alt auf meinem Schoß gesessen beim Essen. Sobald eines den Löffel halten konnte hat es allein essen dürfen, auf meinem Schoß. Irgendwann mit 3 wollten sie alle zum Essen allein auf einen Stuhl.
Ich fand das alles so normal, keines hat je irgendwelche Spirenzchen gemacht obwohl der Charakter total unterschiedlich war. Über Manieren bei Tisch habe ich mir, ehrlich gesagt, keine Gedanken gemacht. Kam alles automatisch.
Bei uns zu Hause gibt es eher das Problem, dass wir Eltern gerne essen möchten und unser fast zweijähriger Sohn manchmal nur wenig Hunger hat und danach spielen will. Kein Problem ansich, aber wir werden dann gefragt, mitzukommen, sodass ein Elternteil unwillig das Essen unterbrechen muss. Wir haben schon so viel probiert, dass erträglicher zu machen, aber sind teilweise echt ratlos…
Das Thema haben wir auch gerade zu Hause. Mein Kind kann gerne aufstehen, wenn es fertig ist. Aber ich möchte, dass es dann zum Spielen in einen anderen Raum geht, damit Eltern und kleines Geschwister nicht abgelenkt werden und in Ruhe essen können. Kann ich das von meinem gerade vierjährigen Kind erwarten?
Das kannst du auf jeden Fall formulieren und so einführen. Ob es sich daran hält, ist individuell und kann nach Tagesform schwanken, hängt auch vom Temperament ab etc.
Ich finde das leider nicht sehr gangbar. Wir hatten es anfangs genau so versucht, mittlerweile macht unser 2 Jähriger was er will, rennt rum, isst mal einen Happen, steht wieder auf und spielt, kommt wieder zurück usw. Hunger hat er sicherlich, und wenn wir die Regel „wer aufsteht hat das Essen beendet“ anwenden hat er immernoch Hunger.
Mittlerweile haben wir komplett konträre Essenspläne – wir Eltern essen, er isst dauernd dazwischen weil er mit uns nicht sitzen bleibt und isst und dann erbärmlich Hunger bekommt. Ich bin ständig nur am Essen kredenzen und wir als Eltern haben selbst keine ruhige Minute wenn wir dann mal Essen wollen.
In der Kita drehen sie auch durch, dort bleibt er auch nicht sitzen und macht was er will.
Ich habe bisher auch immer den „geborgen und im Sinne des Kindes“ Ansatz gefahren, aber mittlerweile können weder wir als Eltern es ertragen noch das Kitapersonal.
Und bisher hat auch der 200te „ich bin traurig wenn Du aufstehst“ oder „ich wäre wirklich glücklich wenn wir zusammen essen könnten“ Spruch rein gar keine Wirkung mehr.
Hi, und wie ist es jetzt? 1,5 Jahre später?
Frage nur, weil unser 3 jähriger daheim auch aufsteht, wann er möchte (trotz bitten und erklären) und im KiGa innerhalb von 15 min bestimmt 10 Mal aufsteht und ermahnt wird dort. ?