Tag: 2. November 2020

„Kack-Mama! Kack-Papa“ – Wie Eltern mit Beschimpfung umgehen können

Welches Elternteil hat den Satz „Du bist eine Kack-Mama!“ oder „Du bist ein Kack-Papa!“ noch nie gehört? Und obwohl nahezu alle Eltern im Laufe der Kindheit diesen oder ähnliche Sätze hören, sind die meisten Eltern von einem solchen Ausspruch ihres Kindes beschämt: Habe ich alles falsch gemacht? Warum spricht mein Kind so mit mir? Das ist doch wohl die Höhe! Also das kann ich nun wirklich nicht durchgehen lassen. – Es sind viele Gedanken, die Eltern in solchen Situationen durch den Kopf gehen können. Die meisten der Gedanken sind darauf fokussiert, was die anderen Menschen denken könnten oder ob man selbst etwas falsch gemacht hat. Aber bevor die eigenen Gefühle und Versagensängste in den Blick geraten, lohnt sich ein Blick auf das Kind und die Situation.

Warum macht das Kind das eigentlich?

Vor der eigenen Scham und Schuldgefühlen verlieren wir oft aus dem Blick, worum es hier wirklich geht: Da steht ein kleines Kind, das vielleicht irgendwo ein Schimpfwort aufgefangen hat und nun damit experimentiert: Wie spricht man es aus? Wie reagieren die anderen darauf? Wie fühlt es sich an, das zu sagen?

Und selbst wenn es kein fremdes, neues Wort ist, sondern ein wohl bekanntes wie „Kack…“, ist der Blick auf das Kind gerade jetzt wichtig. Da steht es, vielleicht 1/3 so groß wie wir selbst und schreit und schimpft und fühlt sich ungerecht behandelt, eingeschränkt, unverstanden und sucht nach einem Kanal, nach einem Wort, um dieses riesige Gefühl der Wut und Frustration loszulassen. Ein Wort, mit dem es all das ausdrücken kann. Und das ist es dann: Kack-Mama, Kack-Papa.

Mit Schimpfwörtern umgehen

Was also können wir tun? Wir kennen all die Sätze, die Eltern eben zu ihren Kindern sagen: „Das sagt man aber nicht!“, „Solche Worte gehören nicht in unsere Familie!“, „Sowas kannst Du vielleicht zu deinen Freunden sagen, aber nicht zu mir!“, „Also ich als Kind hätte…, wenn…“, „Das will ich aber nie wieder hören!“ Helfen diese Sätze? Nein. Weil sie nicht mit dem Problem des Kindes umgehen. Weil sie weiterhin beschneiden und belehren wollen, oft noch in einer Situation, in der das Kind so in Wut ist, dass es gerade eben nicht belehrbar ist.

Auch ein Ignorieren hilft nicht, denn das Kind möchte mit seinem Wort ja etwas an uns transportieren, sagt etwas über die Wut und Verzweiflung. Wenn wir dies ignorieren, ignorieren wir auch die eigentliche Botschaft, die hinter dem steht.

Es geht also um ein Verständnis des Kindes und der Gefühle des Kindes. Wir sollten transportieren: Ich höre, dass du sauer bist, du darfst sauer sein, aber bitte verletze mich nicht. Und hier können wir überlegen, welche Alternativen es gibt: Wie kann dieses Kind die Wut hinauslassen, die es gerade spürt? Was kann es rufen, wo kann es rauftrampeln? Und gibt es überhaupt einen anderen Kanal als die Worte (und muss es ihn geben?). Manchmal mag es einem Kind helfen, ihm zu sagen: Wenn du unbedingt ein Schimpfwort nutzen möchtest, dann schrei es in deinem Zimmer hinaus. Oft aber funktioniert diese Technik nur begrenzt – und beispielsweise unterwegs nicht.

Natürlich sind wir Eltern Vorbilder, eben so wie Geschwister, Freunde, Bekannte, Verwandte. Worte wer den an vielen Stellen auf gegriffen, insbesondere so emotionsgeladene. Es ist nicht schlimm, dass unsere Kinder auch die Wörter benutzen, die in ihrer Umgebung benutzt werden. Mit einem Schimpfwort, so lernt das Kind, kann ein negativer Superlativ ausgedrückt werden.

S. Mierau (2020): Geborgene Kindheit

Das eigentliche Problem

Womit wir uns aber eigentlich befassen müssen, ist die Frage danach, warum genau wir Schimpfworte so schlimm finden. Denn wenn wir ehrlich sind, benutzen wir sie fast alle. Natürlich gibt es gefühlte Unterschiede zwischen „Mist“ und „Scheiße“ oder „Scheibenkleister“. Aber letztlich nutzen wir welches Wort auch immer, um ein ganz starkes Gefühl zu beschreiben und herauszulassen in einem Moment.

Wir können lange Zeit beeinflussen, welche Worte unsere Kinder nutzen, aber weniger, dass sie Schimpfworte nutzen. Im Grundschulalter können wir durchaus mit ihnen Worte festlegen, die nicht (oder zu Hause nicht) genutzt werden und erklären, warum wir das nicht tun. Ob sie sich auch außerhalb unserer Ohren daran halten, können wir nicht beeinflussen. Aber wenn wir ihnen den Raum geben, ihren Emotionen auch mit Worten Ausdruck zu verleihen und ihnen Worte an die Hand geben, die sie nutzen können, helfen wir ihnen mehr als durch Verbote.

Denn tatsächlich ist das eigentliche Problem, welchem wir uns bei Schimpfworten oft stellen müssen, das Gefühl, dass wir als Eltern in irgendeiner Weise versagt hätten, dass wir falsch erziehen würden und andere Menschen uns dafür verurteilen. Aber dieses Gefühl werden wir nicht los, indem wir unsere Kinder bestrafen oder ihnen etwas verbieten. Dieses Gefühl können wir nur in uns selbst bearbeiten und mit dem Wissen, dass die Nutzung von Schimpfworten wie Kack-Mama oder Kack-Papa eben nicht in erster Linie unsere elterlichen Qualifikationen in Frage stellt. Und manchmal sogar genau das Gegenteil ist, wenn wir nämlich dieses Gefühl in uns geklärt haben und unserem Kind den Raum geben können, so etwas zu sagen, ohne es sofort auf uns selbst zu beziehen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de