Die Rahmenbedingungen der Geburtshilfe haben sich in den letzten Jahren erheblich verschlechtert durch die schwierigen Versicherungsverhältnisse für Hebammen, aber auch durch den Personalmangel in Krankenhäusern. Durch die aktuellen Rahmenbedingungen zur Verhütung von Ansteckung mit dem Corona-Virus haben sich die Bedingungen, unter denen Geburt durchgeführt wird, noch einmal sehr verändert. Viele Schwangere sind aktuell verunsichert, welche Maßnahmen in den Kliniken vorgenommen werden, wie sie gebären können und welche Personen sie dabei begleiten können. Auch die Angst davor, dass die Bindung zum Kind unter den erschwerten Bedingungen leiden könnte, ist groß. Hebamme, Autorin und Bloggerin unter vonguteneltern Anja Constance Gaca, 2. Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes e.V. erzählt im Interview, worauf sich Frauen nun einstellen müssen und wie die Bindung unterstützt werden kann.
Anja, die Rahmenbedingungen für Geburten haben sich gerade sehr geändert bzw. ändern sich aktuell. Was erwartet aktuell Frauen, wenn sie zur Geburt ins Krankenhaus gehen?
Aktuell ist es nicht nur in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich, auch wenn wir in die Nachbarländer sehen mit ihren Regelungen, sondern es gibt auch Unterschiede zwischen den Bundesländern und selbst innerhalb einer Stadt. Es ist deswegen schwer, eine allgemein gültige Aussage zu machen. An einigen Standorten dürfen Väter noch die Geburten begleiten, an anderen nicht. Maximal darf eine andere Person die Geburt begleiten: Das kann dann der andere Elternteil sein oder eine Doula. Im OP ist aktuell meist keine weitere Person gestattet, wenn die Frau das Kind mit einem Kaiserschnitt gebärt. Es soll insgesamt vermieden werden, dass die begleitenden Personen im Kreißsaal ein- und ausgehen, denn mit jedem Verlassen und Wiederkommen steigt die Gefahr, dass eine Infektion erfolgen kann. Frauen sollten nicht zu früh in den Kreißsaal kommen, um zu vermeiden, dass wir die Frauen erst einmal wieder nach Hause zu schicken und auch um das Kommen und Gehen der Begleitperson zu reduzieren. Hebammen müssen mittlerweile meist Schutzkleidung, wenn sie Geburten begleiten.
Soweit ich von Kolleginnen gehört habe, wird in den Krankenhäusern versucht, sehr gut zusammen zu arbeiten, um Frauen unter den aktuellen Rahmenbedingungen gute Geburtssituationen zu ermöglichen. Dennoch ist es aber auch so, dass wir natürlich weiterhin auch unter Personalmangel leiden und es keine garantierte 1:1 Betreuung in den Kreißsäalen gibt, wenn Frauen nicht gerade eine Begleit-Beleghebamme haben.
Die Stimmen für Hausgeburten werden lauter, manche Frauen berichten auch, dass sie über Alleingeburten nachdenken.
Die Nachfrage nach Hausgeburten steigt tatsächlich, obwohl diese nicht entsprechend durch Hausgeburtshebammen beantwortet werden können – es gibt zu wenige. In den Niederlanden werden Geburtstatione aktuell in Hotels ausgelagert. Vielleicht ist das auch etwas, worüber in Deutschland nachgedacht werden wird. Von der Idee, die Kinder allein zu Hause ohne Hebammenhilfe zu bekommen, können wir allerdings nur abraten. Hebammen begleiten die Geburt, können den Geburtsverlauf einschätzen und ggf. eingreifen bzw. einschätzen, wann weitere Hilfe benötigt wird.
Wie können sich Schwangere aktuell gut auf die Geburt unter diesen Bedingungen vorbereiten?
Aktuell ist es wichtiger denn je, einen Geburtsvorbereitungskurs bei einer Hebamme zu besuchen, um einerseits über die aktuellen Rahmenbedingungen in den Kliniken aufgeklärt zu werden und auf der anderen Seite auch all die wichtigen Informationen zum Geburtsablauf zu bekommen, um in der Situation gut informiert zu sein und Vertrauen in die Geburt zu haben. Die Geburtsvorbereitungskurse können nicht mehr in Preäsenzkursen mit mehreren Teilnehmern in einem Raum stattfinden, sondern erfolgen nun über Onlinekurse. Diese können aber ganz normal über die Krankenkasse abgerechnet werden.
Es ist auch für die Hebammen wichtig, dass diese hebammengeführten Onlinekurse gebucht werden und nicht ausschließlich Kurse von anderen Anbietern (wie Yoga-Geburtsvorbereitung etc.) gebucht werden, denn die Hebammen haben die laufenden Kosten für ihre Räumlichkeiten weiterhin zu tragen und es kann die ohnehin schwierige Situation der freien Hebammen weiter verschlechtern, wenn ihre Kurse nicht besucht werden.
Wie ist es dann nach der Geburt? Wie können sich Frauen darauf vorbereiten bzw. diese Zeit dann gestalten?
Aktuell ist es so, dass wir versuchen sollen, so viele Beratungen wie möglich digital anzubieten, d.h. über Videotelefonate. Das erschwert natürlich die Begleitung der Wöchnerin. In konkreten Problemfällen, die über Videoberatung nicht behoben werden können, wie beispielsweise bestimmte Probleme beim Stillen, machen Hebammen dennoch Hausbesuche. Die Familien bekommen vorab Informationen, wie sie sich auf den Hausbesuch vorbereiten können, beispielsweise indem sie vorher lüften, Hygienehinweise beachten. Problematisch ist, dass uns Hebammen aktuell Schutzkleidung oder auch Desinfektionsmittel u.a. für die Hausbesuche fehlt, denn wir müssen natürlich auch hier die entsprechende Schutzkleidung tragen und die Hygienekriterien einhalten.
Da die Familie im Wochenbett natürlich wie auch andere Familien keinen Besuch bekommen sollte, ist die Unterstützung im Wochenbett eingeschränkt. Gerade für Familien mit mehreren Kindern ist das schwierig, weil die Erwachsenen allein alles stemmen müssen. Hier ist Vorbereitung gut, d.h. Lebensmittel vorgekocht zu haben. Auch ist es nun noch wichtiger als sonst, die Erwartungen und Perfektionismus zurück zu schreiben: Die Wohnung darf unordentlich sein, Wäsche kann später gewaschen werden und es darf auch „ungesundes“ Essen geben. Schön ist, wenn die Familie aber zumindest aus der Ferne unterstützt werden kann: Mit Essen, das vor die Haustür gestellt wird oder ein Esspaket, das geschickt wird.
Wer nach der Geburt über die Hebammenhilfe hinaus Bedarf an Unterstützung hat, kann viele Angebote auch Online wahrnehmen. Wie auch die Geburtsvorbereitungskurse werden auch die Rückbildungskurse von Hebammen nun Online angeboten. Wer Stillberatung benötigt, findet auch viele Online-Angebote von qualifiziertem Personal. Wer traumatische Erfahrungen verarbeiten muss, sollte sich auch jetzt dringend an psychotherapeutische Angebote wenden – auch diese finden nun teilweise Online statt.
Die wichtige Frage: Was ist mit der Bindung, wenn Geburt nun so anders verläuft?
Bindung ist ja ein Prozess, der sich über eine lange Zeit erstreckt. Natürlich ist es vorteilhaft, wenn das so genannte Bonding direkt nach der Geburt stattfinden kann und Mutter und Kind in engem Körperkontakt in Ruhe sich kennenlernen und auch der andere Elternteil gleich das Baby sieht und (Körper-)kontakt aufnimmt. Aber wir wissen aus der Forschung und auch aus Adoptions- und Pflegefamilien, dass Bindung natürlich auch später stattfinden kann und sich ein sicheres Bindungsmuster aufbauen kann. Wichtig ist deswegen nun den Bindungsdruck herauszunehmen: Eltern und besonders Mütter sollten nicht zusätzlich gestresst sein, weil sie Angst haben, ein Zeitfenster zu verpassen. Soweit es irgendwie geht, ist es wichtig, Stress aus der Situation zu nehmen.
Auf ihrem Instagramprofil informiert Anja fortlaufend über die Neuerungen/Änderungen in Bezug auf die Geburtssituation. Wer die Arbeit von Hebammen unterstützen möchte, kann dies über Spenden beim Verein Motherhood e.V. tun.
Unterstützende Literatur für diese Zeit:
Gaca, Anja C. (2016): Das Wochenbett. Alles über diesen wunderbaren Ausnahmezustand. München: Kösel.
Gaca, Christian (2019): Papipedia. Alles, was Väter und ihre Kinder brauchen. München: GU.
Mierau, Susanne/Gaca, Anja C. (2018): Mein Schreibaby verstehen und begleiten. München: GU.
Afram, Juliana (2019): Vom Wochenbett zum Workout: Fit nach der Geburt mit Juliana Afram. München: GU.
Gaca, Anja C. (2019): Babyernährung. Vom Stillen bis zur Beikostphase – gesund und glücklich durch das erste Jahr. München: GU.