„Ich kann damit einfach nicht umgehen!“ Das ist ein häufiger Satz, den Eltern sagen. Manche Eltern sagen ihn in Bezug auf die Wut des Kindes, andere in Bezug auf das Weinen, die Trauer oder Schimpfworte. Manchen Eltern fällt es besonders schwer, dass die Kinder selbständig werden, anderen fällt es schwer, wenn sie besonders an ihnen „kleben“. Wenn wir merken, dass bestimmte Situationen uns schwer fallen, wenden wir den Blick oft zunächst auf das Kind: „Dieses Kind ist besonders anhänglich/selbständig/wütend/laut/…“. Und auch wenn natürlich jedes Kind ein eigenes Temperament mitbringt in das Leben und dieses Temperament durch Erziehung vielleicht in bestimmte Bahnen gelenkt wird, aber sich dennoch durch das Leben zieht, lohnt sich auch ein Blick auf das Gegenüber – uns Eltern – und die Frage, warum wir mit bestimmten Verhaltensweisen nicht umgehen können.
Was uns leicht oder schwer fällt, ist eine Frage der eigenen Erfahrung
Uns allen fallen unterschiedliche Dinge im Zusammensein mit unseren Kindern leicht oder schwer: Während es einigen leicht fällt, die Wutanfälle des Kleinkindes gelassen zu begleiten und ruhig daneben zu sitzen, hat es eben dieses Elternteil vielleicht schwer, wenn das Kind besonders anhänglich ist. Andere Eltern können geduldig lange Zeit Kinder in den Schlaf begleiten, während dies für andere zu einer Geduldsprobe wird. Wie wir mit den unterschiedlichen Gefühlen und Äußerungen unserer Kinder umgehen, ist eine Frage der eigenen Erfahrungen und Erlebnisse: Wir haben selbst bestimmte Handlungsmuster erlernt oder reagieren auf bestimmte Situationen besonders empfindsam: Unsere Kinder wecken mit ihrem Verhalten Erinnerungen, die tief in unserem Gehirn verwurzelt sind. Wir werden „getriggert“ in diesen Erinnerungen durch das Verhalten unserer Kinder: Weint es, beißt es, wütet es, ist es abweisend, kann das Handlungsmuster auslösen, die wir selbst erfahren haben – oder eben auch zu Hilflosigkeit führen. Vielen Eltern fällt es schwer, mit der eigenen Wut vor den Kindern umzugehen. Ebenso gibt es aber auch Eltern, die sich hilflos fühlen, wenn das Kind weint und sie wissen nicht, wie sie es „richtig“ trösten können. Auch hier kann eine mögliche Ursache darin liegen, dass das Trösten nicht erlernt wurde und dies nun im Zusammensein mit dem Kind zu Tage tritt.
Fehlinterpretationen
Wenn es bestimmte Situationen immer wieder gibt, in denen uns der Umgang mit dem Kind schwer fällt, können wir dazu neigen, die Ursache kurzerhand im Kind zu suchen: Das Kind ist besonders schwierig. Liegt aber die eigentliche Ursache in uns, können wir die Bedürfnisse des Kindes nicht nur in dieser Situation, sondern auch langfristig nicht befriedigen: Das Kind kann nicht angemessen begleitet werden, Probleme in der Interaktion manifestieren sich.
Das Kind, das uns als besonders anhänglich erscheint, wird in dem Bedürfnis nach Nähe nicht gesehen und nicht ausreichend begleitet – es erfährt Zurückweisung und Ablehnung, fehlenden Schutz. Das Kind, das uns als zu waghalsig erscheint, um das wir beständig Angst haben, wird in der Erkundung eingeschränkt und eventuell in der Entwicklung gehemmt. Das Kind, dessen Weinen uns herausfordert und bei dem wir das Gefühl haben, daran arbeiten zu müssen, dass es weniger weint, wird nicht ausreichend und zuverlässig getröstet, um auf dieser Basis später Selbstregulation zu erlernen.
Schau hin!
Wenn wir also merken, dass es Situationen mit unseren Kindern gibt, die uns immer wieder schwer fallen, können wir genauer hinsehen: Ist es wirklich das Temperament des Kindes, das eine besondere Herausforderung für uns darstellt, oder ist es vielleicht in unserem Verhalten begründet, dass wir hier immer wieder eine Herausforderung spüren? Spüren wir hinein in diese Situation und unser persönliches Empfinden: Was genau ist es, was uns hier behindert, was es uns schwer macht? Warum fühlen wir uns hilflos in Anbetracht der Tränen des Kindes? Warum denken wir, mit den Bauchschmerzen des Kindes nicht umgehen zu können? Warum fällt es uns schwer, das Kind auf Erkundungstour zu lassen?
Mit diesen Fragen an uns selbst können wir unser Verhalten reflektieren und die Bedürfnisse unserer Kinder im Blick behalten, so dass sich einige Probleme im Familienalltag nicht manifestieren oder zu immer größeren Herausforderungen werden.
Eure
Liebe Susanne ,
vielen Dank für den tollen Text .
Unsere Tochter ist 2,5 Jahre alt und klebt an mir wie Kaugummi .
Wir erziehen bedürfnisorientiert . Sie darf mit in unser Bett, wenn sie in der Nacht aufwacht . Ich begleite sie beim Einschlafen .
Unsere Maus ist sehr sensibel, sie geht in die Krippe würde aber lieber zu Hause bleiben …
Jeden Morgen also ein totales Anziehdrama …
Hast du einen Tipp für uns, wie können wir sie fördern im eigenen Spiel ? Wie kann ich es ihr schmackhaft machen sich morgens anzuziehen ?
Ganz liebe Grüße aus Hamburg
Lena
Liebe Susanne,
vielen Dank für den heutigen Denkanstoß. Ich habe einen sehr empfindsamen 4,5 jährigen Sohn, der schnell weint und „knascht“ wenn etwas passiert, mit dem er (noch) nicht umgehen kann. Beim Spielen verlieren, Spielkameraden mit eigenen Spielideen, wenn das Essen anders aussieht als erwartet.
Es fällt mir nicht schwer ihn zu trösten, wenn ein Buch, ein Film traurig ist und er mitfiebert, es fällt mir auf nicht schwer nachzuvollziehen wie es ist nicht verlieren zu können, aber dieses Knatschen wegen Dingen, die er eigentlich bereits verbal lösen könnte (Farbe des Geschirrs, Auswahl der Kleidung, wie die Bude gebaut wird, was geguckt/ gelesen / gehört wird), das zerrt unglaublich an meinen Nerven.
Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll, zumal es einigen Kindern unglaublich viel Spaß bereitet, ihn zu reizen.
Liebe Grüße Sonja
Dein Artikel könnte vielleicht die Lösung unsrer Probleme sein. Unsere Tochter 3,5 ist ein Wildfang und hört einfach nicht. Selbst an der Straße oder an öffentlichen Plätzen läuft sie einfach weg oder will alleine über die Straße gehen. Vielleicht trau ich ihr zu wenig zu. Vielleicht lass ich sie zu wenig selbst machen. Ich werde es mal ausprobieren.
Passt gerade sehr gut. Suche auch immer beim Kind die Ursachen daher bringt mich der Text zum Nachdenken.
Mein Kind lotet immer Grenzen aus, mag nie schlafen gehen, weckt das Geschwisterchen auf wann es nur geht …. Also der ganze Tag ist nur herausfordernd. Welche Ursache kann das dann bei mir haben wenn es nicht beim Kind liegt?
Im Text steht ja: Dass die Ursache nicht im Kind liegen muss, sondern auch in uns liegen kann, wenn wir immer wieder mit bestimmten Situationen Schwierigkeiten haben. Aber natürlich kann die Ursache auch beim Kind liegen, beispielsweise wenn es vor kurzer Zeit ein Geschwisterkind bekommen hat und eigene Ressourcen in Gefahr sieht. Es geht darum, genau hinzusehen und nicht per se alles auf das Kind zu schieben.
Das Zauberwort heisst Reflektion ❤️ Danle für den Artikel!
Liebe Frau Mierau,
vielen Dank für den tollen Artikel. Er trifft wieder einmal sehr genau den Punkt. Ich bin leider jemand, der sehr schnell genervt und überfordert ist mit meinem Kind und sage genau diese Sätze „Du bist aber wieder so…“ sehr schnell. Ich weiß auch, dass es oft mein Problem ist und ich vieles früher aufgrund einer schweren Kindheit nicht gelernt habe, wie man in herausfordernden Situationen angemessen auf das Kind reagiert. Die Reflektion ist da im Kopf. Außerhalb der stressigen Situationen. Trotzdem bekomme ich es im Alltag dann so selten hin. Wie ist es möglich, die gelernten Muster abzulegen? (Wie) kann ich es noch lernen, angemessen zu reagieren? Ich möchte es ändern, weiß aber leider nicht wie. Haben Sie Ratschläge dazu? Vielen Dank für eine Rückmeldung!
Hallo Stefan, ich finde es toll, dass Du das angehen möchtest und schon so reflektiert damit umgehst. Es ist unglaublich schwer, diese erlernten Muster hinter sich zu lassen und neue Wege zu gehen. Ich finde das Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl sehr hilfreich, dazu gibt es auch ein passendes Arbeitsbuch. Manchmal ist es auch hilfreich, therapeutische Unterstützung zu nutzen, um die eigenen Wunden in sicheren, guten Händen betrachten zu können und dann neue Lösungsansätze zu entwickeln.