Tag: 11. Mai 2019

Die allgegenwärtige Glorifizierung von Mütter-Erschöpfung

Da stehen wir, wir Mütter. Und sind müde, weil wir nachts nicht richtig schlafen. Wir sind erschöpft, weil wir unsere Kinder liebevoll umsorgen und das nicht selten viel Kraft erfordert. Wir sind erschöpft, weil wir wieder viel zu tun hatten und vielleicht mehr, als vielleicht in den Tag hinein passen könnte. Die Liste der Dinge, die erledigt werden wollen, ist lang. Die Zeit, die wir neben Arbeit, Partnerschaft, Kindern, Haushalt (und vielleicht sogar noch ein wenig Hobbys oder anderer Selbstfürsorge ) haben, ist gering. Da gibt es die vielen Dinge des Alltags und dann auch noch die vielen Dinge in unserem Kopf: die Erinnerungen an U-Untersuchungen, die besucht werden müssen, die Schuhe, die neugekauft werden müssen für das Kind, die Unterlagen für die Schulfahrt, die noch nicht unterschieben sind – all der Mental Load, der gar nicht so richtig präsent, aber da ist.

Es geht uns nicht gut

Das Müttergenesungswerk (pdf) geht von 2 Millionen kurbedürftigen Müttern aus, von denen 130.000 beraten lassen. Im Berichtsjahr 2016/2017 haben 49.000 Mütter und 72.000 Kinder eine Kur in Anspruch genommen. Und auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (pdf) erklärt: 30 Prozent der untersuchten Mütter ihrer Studie erfahren eine substanzielle Verschlechterung des gesundheitsbezogenen Wohlbefindens innerhalb der ersten sieben Jahre nach Geburt des Kindes.

Die Ursachen dafür sind vielfältig: Auch wenn die meisten Mütter heute ein vereinbarkeitsorientiertes Muttersein leben – also arbeiten und Kinder haben-, stehen wir unter dem gesellschaftlichen Druck, dass wir mehr kindorientiert sein sollten – denn die gelebte Realität unterscheidet sich noch immer von der Erwartungshaltung (pdf). Immer wieder gibt es gesellschaftliche Erwartungen, dass wir das doch bitte alles schaffen sollen: Arbeit, Haushalt und natürlich Kind. Laut Befragung zum Familienleitbild aus dem Jahr 2012 wird erwartet, dass Mütter sowohl nachmittags zu Hause die Hausaufgaben begleiten, als auch erwerbstätig sind. Und nebenher gibt es auch noch die vielen anderen Dinge, damit Frau weiterhin körperlich und geistig attraktiv ist. Und auch wenn wir eigentlich alle wissen, dass Väter sich ebenso gut einbringen können und ebenso gut Haushalt und Kinder betreuen können, ebenso liebevoll sein können, ist die Gleichberechtigungsrealität oft eine andere und die Hauptlast der Arbeit kommt den Müttern zuteil. Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterstützen, dass es Unterschiede zwischen Müttern und Vätern gibt: Durch den gender pay gap (bessere Bezahlung von Männern im Vergleich zu Frauen)beispielsweise ist eine Erwerbsunterbrechung der Väter in einigen Fällen schwierig, weil das Einkommen der Mutter zur finanziellen Absicherung der Familie nicht reicht.

Die Glorifizierung von Stress

Anstatt zu rebellieren, haben wir die Erschöpfung und Müdigkeit aber vielfach in unser Mutterbild übernommen: Wir denken, dass das alles eben natürlicherweise dazu gehört, zum Elternsein und ganz besonders zum Mutterbild. Und gerade jetzt, vor dem Muttertag, wird es wieder ganz besonders betont: Was Mütter alles schaffen! Was Mütter alles können! Muttitasking! Müde, aber glücklich! Und überhaupt ist WOW doch eine Spiegelung von MOM, weil wir alles so grandios können.

Wenn meine Freundin mich fragt, wie meine Woche war, sieht eine Antwort oft aus: „Ich arbeite gerade an dem neuen Buch und dafür muss ich noch xy machen, aber gerade ist Kind 1 krank geworden und musste aus der Schule abgeholt werden und die Wutausbrüche von Kind 3 sind gerade super anstrengend. Deswegen habe ich ganz vergessen, dass ich ja eigentlich noch für die Kita xy machen musste. Naja, wie immer ein bisschen.“ Und wir lachen kurz und sie erzählt aus ihrem stressigen Alltag. Ja, das ist ein Alltag. Ein stressiger Alltag. Ich bemühe mich, die vielen Dinge auf meiner Liste abzuarbeiten, aber jede Woche bleibt etwas übrig. Und das, obwohl ich das Glück habe, dass wir unsere Aufgaben in der Familie gerecht aufteilen und auch die Kinder in die Hausarbeit eingebunden werden. Aber selbst vier Hände scheinen oft nicht zu reichen für all die Dinge, die erledigt werden wollen. Und für all die Gefühle, die begleitet werden möchten. Und mir geht es dabei noch viel besser als vielen anderen Müttern, die in einer weniger privilegierten Position sind, die vielleicht keine Partner*in haben, die Aufgaben erledigt. Ich habe den Stress in mein Alltagsbild übernommen, aber gut ist das nicht.

Stress begleitet uns, er ist ein Symptom unserer Überlastung, das sich auf unseren Alltag auswirkt: Durch Stress können wir weniger feinfühlig reagieren, wir neigen eher zu negativem Erziehungsverhalten. Wir können nicht mehr gut abwägen und vorausschauend planen, weil unser Gehirn dazu einfach nicht mehr in der Lage ist. Wir sind überreizt und in Daueralarmbereitschaft, weshalb schon kleine Dinge unser persönliches Gefühlsfass zum Überlaufen bringen. Stress stört unsere Beziehungen. In stressigen Zeiten fällt es mir viel schwerer, mit meinen Kindern auf Augenhöhe zu kommunizieren, ruhig ihren Geschichten zuzuhören und mir die Zeit zu nehmen, die wir füreinander brauchen. An stressigen Tagen neige ich viel mehr dazu zu sagen „Mach Dich jetzt endlich fertig, wir müssen los!“ als die Selbständigkeit meines Kindes zu sehen und beachten zu können.

Und dennoch schient es so, als würde er dazu gehören zum Eltern- und ganz besonders Muttersein. Wir kultivieren ihn ein wenig mit unseren Ansprüchen, mit unseren Aussagen und der Erwartung an uns selbst. Wir relativieren unsere Erschöpfung, unsere Müdigkeit, unsere Überarbeitung: Was Mutti nicht alles tut für uns! Wir Mütter sind Supermütter bei dem, was wir alles stemmen! Diese Sätze sind keine Beschreibung, sie sind eine Glorifizierung der Überlastung, die wir haben.

Stopp jetzt

Aber was wäre, wenn wir einfach wirklich ehrlich sagen: Das ist gar nicht toll. Unser Kinder sind toll, wir lieben sie, aber die Rahmenbedingungen sind wirklich nicht super. Es ist zu viel, was da auf einzelnen Schultern lastet. Es ist zu viel bei zu wenig Unterstützung von allen Seiten. Wir brauchen keinen Dank dafür, dass wir alles so super toll hinbekommen, weil viele von uns wegen all dieser Aufgaben erschöpft sind.

Wir brauchen nicht Dank, sondern mehr Unterstützung. Aber vor allem sollten wir zunächst aufhören, den Stress, den wir haben, zu relativieren und zu glorifizieren indem wir erklären, wie toll die Mütter sind, weil sie alles wuppen. Sie wuppen das alles – bis sie müde umfallen – weil sie es müssen. Nicht, weil wir als Frauen und Mütter dazu besonders gut geeignet wären. Nicht, weil es ein Mama-Gen geben würde, das uns viel belastbarer machen würde oder durch das wir alles besser koordinieren könnten. Wir machen das, weil es von uns erwartet wird, weil wir selber schon annehmen, dass wir das leisten müssen. Weil wir uns selbst in Frage stellen, wenn wir das alles nicht schaffen – weil alle anderen das doch anscheinend auch können. Weil doch alle anderen Moms auch grandios sind und nur wir etwa nicht? Weil wir doch auch mithalten können müssen. Aber die Wahrheit ist: Wir haben keine Superkräfte als Mütter, sondern sie werden uns abverlangt.

Deswegen wünsche ich mir ein bisschen weniger „Ach wie toll doch Mütter sind“ und ein bisschen mehr „Lasst uns mal hinsehen, warum Mütter so viel tun müssen“.

Eure