Tag: 28. November 2018

In guten wie in schlechten Zeiten…

Es gibt Phasen, in denen fällt uns das geborgene, liebevolle Leben mit unseren Kindern einfach: Zeiten, in denen nahezu alles zu stimmen scheint, in denen wir „im Flow“ sind mit unseren Kindern und dem Alltag. Zeiten, in denen wir milde lächeln können und entspannte Nachmittage mit Kind auf dem Sofa genießen. Und es gibt Phasen, in denen es all das nicht gibt. In denen es schwierig ist, in denen an unserer Kraft gezehrt wird. Phasen, in denen wir uns fragen: Wird das jemals wieder gut? Und: Mach ich das vielleicht doch alles nicht richtig? Manchmal nagen Zweifel an uns, ob der eingeschlagene Weg wirklich der richtige ist, wenn er vielleicht gar nicht so entspannt ist wie gedacht. In genau diesen Zeiten können wir an ein Mantra denken und es uns immer wieder sagen: „In guten wie in schlechten Zeiten!“

Manchmal fällt es einfach

Genügend Schlaf, genügend freie Zeit, genügend Unterstützung. Ein Kind mit einem aktuell leicht zu begleitendem Temperament oder ein Baby, dessen Bedürfnisse leicht erkannt und beantwortet werden können. Es kann manchmal so einfach sein. Wenn die Grundvoraussetzungen stimmen, kann der Alltag entspannt begleitet werden und bindungorientiertes Leben ist recht einfach und umgänglich.

– manchmal aber auch nicht

Manchmal kommt es aber auch ganz anders: Zeiten mit wenig oder häufig unterbrochenem Schlaf, viel Termindruck und wenig entspannte Freizeit, wenig Unterstützung und vielleicht auch noch ein Kind, dessen Bedürfnisse geradezu schwer erkannt oder im Alltag beantwortet werden können – das macht einen entspannten Alltag viel schwieriger. Bindungsorientiert antworten und Feinfühligkeit haben und zeigen, das fällt unter Stress wesentlich schwerer. Wir haben einfach nicht die Augen und Ohren, um in einem trubeligen Alltag auch noch feinfühlig die kleinen Signale wahrnehmen zu können. Stress kann dann eher zu negativem Erziehungsverhalten führen: Wir reagieren weniger emphatisch, sind genervt, verlangen mehr vom Kind als es geben kann und übersehen die eigentliche Kooperationsbereitschaft. Hierdurch reagiert das Kind (verständlicherweise) mit Anspannung und muss die Bedürfnisse und Überforderung noch stärker zeigen – ein Teufelskreis beginnt.

Ausstieg aus der Negativspirale

In solchen Phasen hilft nur ein Anhalten – auch wenn das gerade jetzt besonders schwer ist. Denn in einem stressigen Alltag mit zu wenig Zeit und zu vielen Aufgaben auch noch bewusst verlangsamen? Das kann nicht gut gehen, sind wir vielleicht im ersten Moment verleitet zu denken. Aber eine Familie ist kein lineare Aufgabe, die so einfach und logisch zu lösen ist. Eine Familie ist ein System, das viele komplexe Inhalte hat. Um aus einem Negativkreislauf auszubrechen, können wir mit Kindern nicht auf Durchhalten und Abwarten setzen. Wir müssen wieder einen Schritt auf sie zu gehen und sie und uns liebevoll an die Hand nehmen.

In guten wie in schlechten Zeiten auf Bindungsorientierung setzen bedeutet, dass wir uns auch in den stressigen Zeiten vor Augen führen, was unser eigentlicher Leitstern für eine Beziehung ist und müssen uns wieder darauf ausrichten: Kurz anhalten, den Stern am Himmel suchen und dann langsam gemeinsam wieder darauf zu gehen.

Im Familienalltag bedeutet das: Sich mit Kind eine Auszeit gönnen, einen Nesttag einlegen, Verabredungen absagen. Es bedeutet, ganz bewusst nicht nach Hause zu hetzen nach Kita oder Schule, sondern den Weg vielleicht als Entdeckungsreise zu sehen: Einmal andere (vielleicht auch Umwege) gehen und zusammen entdecken, was auf dem Weg liegt. Zu Hause alte Muster durchbrechen für mehr Entspannung: Das Abendessen kann mal als Picknick auf dem Boden gegessen werden oder es ist Mit-den-Händen-Esstag. Zu Hause das Handy ganz bewusst als erstes in das Regal legen und nicht darauf achten, Digital Detox für einen entspannten Nachmittag. Mit kleinen Kindern baden, mit größeren Kindern können wir Wohlfühloasen schaffen und massieren und kuscheln. Gerade Hautkontakt kann in stressigen Phasen ein guter Helfer sein, um zur Ruhe zu kommen durch das Kuschel- und Bindungshormon Oxytocin, das uns alle wieder entspannt und beruhigt. Entschleunigung ist das Zauberwort für diese angespannten Zeiten.

Schlechte Zeiten gibt es immer mal wieder im Familienleben. Stressige Zeiten sind – auch wenn sie nicht schön sind – normal. Wichtig ist nur, dass wir durch sie nicht an uns und unseren Leitlinien zweifeln und wir einen Moment warten, um wieder zurück auf den Weg zu kommen. In guten wie in schlechten Zeiten geht das durch Einfühlsamkeit, Ruhe und das Hinfühlen dahin, was wir gerade wirklich brauchen.

Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik), Familienbegleiterin und Mutter von 3 Kindern. 2012 hat sie „Geborgen Wachsen“ ins Leben gerufen, das seither zu einem der größten deutschsprachigen Magazine über bindungsorientierte Elternschaft gewachsen ist. Sie ist Autorin diverser Elternratgeber, spricht auf Konferenzen und Tagungen, arbeitet in der Elternberatung und bildet Fachpersonal in Hinblick auf bindungsorientierte Elternberatung mit verschiedenen Schwerpunkten weiter.