Die Neugierde treibt dich voran: „Ich da hoch, ja, Mama?!“ Lustig jauchzend springen Kinder auf der Hüpfburg vor Dir auf und ab. „Ich da auch hoch, ja?!“ Ich mag keine Hüpfburgen, denke ich mir und denke zugleich, dass ich Dir keine Angst vor dem Leben mit auf den Weg geben möchte. „Ja, geh da auch rauf. Ich warte hier.“ sage ich. Zwei unbeholfene Beine, die doch selbst noch gar nicht so lange laufen können, klettern empor. Ein kleines Stück, dann bleibst Du stehen und kommst zurück gerannt in meine Arme. Wieder zurück in die Hüpfburg, ein Stück weiter jetzt, wieder zurück in meine Arme. Wieder ein Stück tiefer in die Hüpfburg, wieder in meine Arme. Ein wenig wie im Leerbuch, denke ich, bevor Du wieder voll Abenteuerlust davon rennst. Ein Stück weiter jetzt, denn Du fühlst Dich sicher.
Mut entwickelt sich
„Jetzt geh endlich hüpfen!“ hätte ich auch sagen können, ungeduldig. Ob mein Kind dann ausdauernd springen gegangen wäre? Manchmal braucht es es ein wenig Zeit, um Mut zu fassen. Das kennen wir Erwachsene auch: Erst einmal vorsichtig den Weg ausprobieren, der gefährlich aussieht. Vorsichtig den Fuß aufsetzen: trägt mich die Brücke? Vielleicht noch einmal zögern, vielleicht doch einen Schritt zurück gehen. Nachdenken: alles ist in Ordnung. Mein Kleinkind ist noch nicht erwachsen, analysiert nicht die Situation und zieht Schlüsse. Mein Kleinkind trifft Entscheidungen noch auf einer sehr begrenzten Auswahl an Erfahrungen – manchmal sind die Entscheidungen falsch. Worauf es sich oft beruft, neben der Neugierde, die es antreibt, bin ich: Vertraue ich ihm hier? Erscheine ich entspannt? Und bin ich da, um aufzufangen, zu trösten, Hilfe zu leisten? Gibt es einen sicheren Hafen für eine Rückkehr?
Jeden Tag erleben wir mit einem Kleinkind viele Male die Situation, dass es sich von uns entfernt, um etwas zu erkunden, neugierig die Welt zu entdecken, um dann zu uns zurück zu kommen, um in der Nähe zu sein und schließlich wieder aufzubrechen. Ein Kreislauf aus Nähe und Distanz. Aus der Sicherheit, uns als sichere Basis zu wissen, bricht das Kind immer wieder zu Abenteuern auf.
Auch Eltern brauchen Mut
Für uns Eltern bedeutet diese Phase des Kindes, dass auch wir Mut aufbringen müssen: Mut und Vertrauen in das Kind und seine Fähigkeiten. Es los lassen, damit es selbst erkunden kann und darauf vertrauen, dass es uns signalisiert, wenn es unsere Unterstützung braucht. Mut, nicht vorher einzugreifen*, um das Kind nicht einzuschränken. Da sein, aber als Beobachter*in. Mut, auszuhalten, an einem Ort zu sein, nur um für den Notfall da zu sein. Die Ruhe und eventuell Stille aushalten, die es mit sich bringt, wenn man nur dafür da ist, damit jemand zu einem zurück kommen kann. Mut, sich nicht von anderen Dingen ablenken zu lassen, sondern auf genau dieses Hier und Jetzt einzulassen. Mut, unsere eigenen Ängste nicht auf das Kind zu übertragen und toll zu finden, wie das Kind die Welt erkundet – auch wenn es das anders macht, als wir es uns vielleicht wünschen würden. Mut, genau dieses Bedürfnis des Kindes jetzt zu zu lassen und es zu begleiten, wenn nötig. Und auch den Mut, dann notwendige Entscheidungen zu treffen, wenn sie von einem erwachsenen Menschen getroffen werden müssen.
Was Abenteurer*innen brauchen
Kinder, gerade Kleinkinder, brauchen den sicheren Hafen. Als sicherer Hafen sind wir der Ort, an den sie zurück kehren können. Manchmal reicht aber auch nur der Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass der Hafen nicht weit weg ist. Manchmal braucht es die Sicherheit, dass er noch in Rufweite ist. Es tut gut, zu erfahren, dass das, was man gerade tut, von einer anderen Person wertgeschätzt wird. Dafür brauchen wir keine großen Worte, keine langen Ausschweifungen. Es kann ein Blick sein, eine Geste: Ich sehe Dir zu, weil ich Dir gerne zusehe. Ich habe gesehen, dass Du gerade etwas gemacht hast, dass Du noch nie zuvor geschafft hast. Wichtig ist vor allem: Es überhaupt wahrnehmen zu können. Wir müssen nicht die ganze Zeit auf das spielende Kind fokussiert sein, aber wir können es im Blick haben, in der Nähe sein und aufmerksam bleiben für das, was nun gerade kommt: Nähe oder Erkundung. – Und sie dann wieder abwechselt.
Eure
* gefährliche Situationen (wie Straßenverkehr u.a.) sind hiervon ausgeschlossen
Susanne Mierau ist u.a. Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik), Geburtsvorbereiterin, Familienbegleiterin und Mutter von 3 Kindern. 2012 hat sie „Geborgen Wachsen“ ins Leben gerufen, das seither zu einem der größten deutschsprachigen Elternblogs über bindungsorientierte Elternschaft gewachsen ist. Sie ist Autorin diverser Elternratgeber, spricht auf Konferenzen und Tagungen, arbeitet in der Elternberatung und bildet Fachpersonal in Hinblick auf bindungsorientierte Elternberatung mit verschiedenen Schwerpunkten weiter.
Liebe Susanne, ich habe diesen Artikel gerade gelesen, nachdem ich mein Wochenende in Bildern (29./30.September) geschrieben hatte, in dem es auch um Mut und Entschlossenheit geht! Du vertiefst diesen Gedanken hier auf wunderbare Weise, und auf die Kinde bezogen. Danke dafür, es öffnet den Blick! <3