Die Tür des Schrankes geht nicht auf. Immer und immer wieder zieht eine kleine Hand an dem Griff, aber sie bewegt sich kein Stück seit ich sie mit einem Riegel versehen habe, damit die Putzmittel dahinter nicht erreicht werden in einem unbeobachteten Moment. Irgendwann ist die Geduld des kleinen Kindes am Ende, voller Frustration und verzweifelt wirft es sich auch den Boden. Auf dem Bauch liegt es da und ist wütend. Kurz bevor ich es auf den Arm nehme, um es zu trösten und zu erklären, dass es den Inhalt dieses Schranken wirklich nicht bespielen dürfe, denke ich: Ach so bist Du also, wenn es nicht klappt. Willkommen in meiner dritten „Trotzphase“ als Mutter.
An dem Bedürfnis der Autonomie kommen wir nicht vorbei
Warum ich den Begriff „Trotzen“ nicht richtig finde, habe ich hier schon einmal ausführlich beschrieben. Tatsächlich habe ich auch nach 8 Jahren Mutterschaft noch immer nicht das Gefühl, dass sich eines meiner Kinder aus Trotz gegen mich aufbäumen würde. Sie haben immer ihren Grund für ihr Verhalten. Manches Mal ist er nicht einfach zu erkennen für mich und es dauert, bis wir einen Weg gefunden haben. Manchmal gibt es auch keinen Weg, der uns beide zufrieden stellen würden und einer von uns muss eine Situation annehmen. Ist es mein Kind, das die Situation annehmen muss, begleite ich es dabei. Und manches Mal bleibt auch mir nichts anderes übrig, als eine Situation einfach anzunehmen und zu erkennen, dass nicht mein Kind nervt, sondern ich genervt bin. Je mehr Kinder zu unserer Familie dazu kamen, desto mehr unterschiedliche Bedürfnisse entstehen und wollen gehört werden. Das ist nicht immer einfach zu vereinbaren, denn jedes Kind braucht seinen Raum, seine Zuwendung, seine Ressourcen. Und jedes Kind drückt diese Bedürfnisse anders aus.
Jedes Kind „trotzt“ anders
Ich kenne das Raunen im Supermarkt, wenn ein Kind sich auf den Boden wirft und schreit und manche umstehenden Erwachsenen darüber tuscheln, dass dieses Elternteil wohl sein Kind nicht „im Griff“ hätte oder das Kind schlecht erzogen sei. Ich sehe mir diese Erwachsenen an und frage mich, wie viele Kinder sie wohl haben, wie viele sie durch diesen Lebensabschnitt begleitet haben und ob sie wissen, was ich weiß: Jedes Kind ist anders. Auch wenn es nicht immer einfach ist, bin ich froh darum, dass ich drei ganz unterschiedliche Kinder habe. Drei Kinder, die in ihrem Temperament und ihrem Ausdruck unterschiedlich sind, die unterschiedliche Lieblingsspeisen und Lieblingsspiele haben. Und die eben auch ganz unterschiedlich reagieren, wenn es anders kommt als geplant. Wie unsere Kinder reagieren, hängt zwar in gewisser Weise auch von unserem Verhalten ab und davon, was sie für eine Reaktion von uns erwarten oder befürchten, aber vor allem hängt es auch von ihrem Temperament ab.
Temperament und Autonomie
Das Temperament eines Kindes ist angeboren. Durch unser Verhalten als Eltern und durch die Erfahrungen im Laufe des Lebens gibt es immer kleine Veränderungen, aber die grundlegende Ausgestaltung des Temperaments bleibt erhalten. Es gibt laute und leise Kinder, zurückhaltende und offensive – und welche dazwischen. Und so, wie sich das Temperament im Alltag zeigt, zeigt es sich auch in schwierigen Situationen: Manche Kinder verschränken die Arme, andere stampfen mit dem Fuß auf und wieder andere werfen sich auf den Boden. All das gibt es und all das ist normal. Jedes Kind ist anders, jedes Kind zeigt seine Gefühle auf andere Weise. Nur weil das erste Kind sehr besonnen war und wenig extrovertiert seine Unzufriedenheit zeigte, muss es beim nächsten Kind nicht genauso sein. Studien zeigen sogar, dass eine nahe Geburtenfolge zu einem ausgeprägterem Einfordern von Selbständigkeit führt und auch das Geschlecht einen Einfluss auf den Ausdruck haben soll und Jungen oft vehementer auftreten als Mädchen.
Wir wissen am Anfang noch nicht, wie unser Kind eines Tages zeigen wird, dass es etwas möchte oder gerade nicht will oder im Alltag überfordert oder erschöpft ist. Wir wissen nicht, wohin die Reise geht und sie ist auch jedes Mal wieder etwas anders. Aber weil wir wissen, dass wir nichts wissen, sollten wir entspannt sein und bleiben: Wir können nichts daran ändern, wie unser Kind sich ausdrücken möchte und welches der gerade richtige Kanal dafür ist. Es drückt sich aus, wie es sich eben ausdrücken muss und kann. Es leitet seine Gefühle so ab, wie es für dieses Kind gerade richtig ist. Und wir können dies annehmen und begleiten und auch nach und nach helfen, es besser auszuhalten und anders ausdrücken zu können – aber es braucht Zeit und Geduld.
Es ist wichtig, dass wir nicht nur mit unseren Kindern geduldig sind, sondern auch mit uns selbst und unseren Erwartungen. Und wir sollten immer dann geduldig sein, wenn wir andere Eltern mit Kindern sehen, die gerade eine schwierige Situation erleben. Vielleicht ist dieses Kind ganz anders als unseres. Vielleicht drückt es sich ganz anders aus. Es geht seinen Weg und der ist in Ordnung so für dieses Kind und diese Familie. Aber es sagt nichts über Erziehung oder einen Mangel daran aus, ob sich ein Kind auf den Boden wirft. Jedes Kind sollte das Recht haben, sich auf den Boden werfen zu dürfen – und manche machen davon Gebrauch und andere eben nicht.
Eure
„Jedes Kind sollte das Recht haben, sich auf den Boden werfen zu dürfen – und manche machen davon Gebrauch und andere eben nicht.“ … herrlich geschrieben, der Satz bringt alles auf den Punkt! Vielen Dank!