Tragen und/oder Kinderwagen? Ein Rückblick auf das erste Jahr

Nun ist das erste Lebensjahr meines dritten Kindes vorbei und ich blicke in dieser Woche ein wenig zurück auf dieses Jahr, auf die Entwicklung und die Dinge die ich mir vorgenommen hatte und darauf, wie sie dann tatsächlich waren. Denn natürlich gilt auch hier: Manchmal nimmt das Leben eben doch andere Wege als gedacht.

Wofür ich einen Kinderwagen brauchte

Als ich mit dem dritten Kind schwanger wurde, dachte ich: Nun brauche ich aber wirklich einmal einen Kinderwagen, wenn ich mit drei Kindern unterwegs bin, vielleicht noch Einkäufe habe und die Schulsachen meines Schulkindes untergebracht werden müssen. In der Stadt sind wir viel ohne Auto unterwegs und haben dennoch oft lange Strecken zurück zu legen, wenn wir in den Park gehen, Freunde und Freundinnen besuchen, zum Musikkurs gehen oder zum Malraum. Wie praktisch es doch wäre, nicht immer alles tragen zu müssen und vielleicht auch mal das Baby einfach zu schieben statt zu tragen? Doch natürlich wollte auch dieses Baby – wie seine Geschwister zuvor – viel lieber getragen als geschoben werden. Schließlich war es so nah an meinem Körper, gewärmt, geschuckelt und an der Nahrungsquelle. Der Kinderwagen wurde zum Gepäckwagen, gefüllt mit den kleinen und großen Dingen des Alltags – nur eben ohne Baby. Lediglich auf dem Spielplatz lag das Baby bisweilen in der Wanne neben mir im Sand, um vor der Sonne und umher rennenden Kindern geschützt zu sein und um einen guten Ort für das Windelwechseln zu haben.

Wie lange kann ein Kleinkind laufen?

Aber ein anderes Kind eroberte sich den Kinderwagen, nämlich das mittlere. Auch wenn es Eltern gibt, die Kleinkind und Baby gleichzeitig tragen, war das für mich keine Option für den Alltag. Doch nicht mehr getragen zu werden, war für den dreijährigen großen Bruder eine große Umstellung. An manchen Tagen war sie auch einfach zu viel und es machte uns den Tag schwerer, wenn er erklärte, dass er nicht mehr laufen wolle. Denn natürlich sind seine kleinen Beine manchmal auch einfach erschöpft und er kann nicht mehr weiter laufen. Es ist nicht sinnvoll, dann in einen Streit zu geraten, denn die Kraft eines Kindes ist nichts, das wir mit Argumenten beeinflussen könnten. Wenn mein Kind müde ist, ist es müde – egal welche guten Worte ich auch haben mag. Zuvor wurde er einfach in die Trage auf den Rücken gesetzt und konnte sich dort ausruhen. Vielleicht mischte sich in all dies auch ein wenig noch der Anspruch nach weiteren elterlichen Ressourcen und Zuwendung: „Schau hin, auch ich bin noch klein und auch ich brauche Aufmerksamkeit und Schonung und Zuwendung!“ Die Wege am Nachmittag wurden manchmal einfach zu lang oder zu spät – und so eroberte er den Wagen, nahm ihn als sein Babyteil in Anspruch und wurde geschoben, wenn er es brauchte. Manchmal ist es einfach erlösend, sich den Alltag einfacher zu machen und die Blicke der anderen Menschen zu ignorieren, die vielleicht der Meinung sind, ein dreijähriges Kind müsse nicht geschoben werden. Muss es vielleicht nicht, kann es aber, wenn es so viel mehr Entspannung bringt und weniger Streit.

Das Baby ins Leben tragen

Und während der größere Sohn also im Kinderwagen saß, wurde das Baby getragen. Zum Einschlafen, auf allen Wegen, zu Hause beim Kochen oder während des Bastelns mit den Geschwisterkindern. Es wurde morgens bis abends getragen und war kaum von meinem Körper getrennt. Zunächst in der Wickelkreuztrage, später im Sling auf der Hüfte und schließlich die ersten Male auf dem Rücken.

Während ich bei den ersten Kindern noch öfter auf das Tragen angesprochen wurde, gehört es heute wunderbarerweise schon ziemlich zum normalen Anblick. Dass Kinder im Tragetuch genügend Sauerstoff bekommen, scheint sich herum gesprochen zu haben. Und auch, dass hierdurch keine Haltungsschäden hervorgerufen werden. Aus der Erfahrung mit meinen Kindern kann ich auch nicht erkennen, dass sich die Kinder motorisch langsamer entwickelt hätten – im Gegenteil. Mit 10 Monaten lief das Baby die ersten unbeholfenen Schritte durch die Wohnung. Nun, mit 12 Monaten, krabbelt es kaum noch. Jedes Kind ist anders, jedes geht seinen Weg in unterschiedlichem Tempo.

Der Vorteil von einem Jahr getragen werden? Es kommt langsam an in dieser Welt. Es wird gewiegt, ähnlich wie im Bauch. Es hat eine schützende, umfassende Hülle um sich wie dort. Position und Rhythmus können bei Bauchschmerzen helfen, bei Krankheit ist die Nähe heilsam und wirkt auf die Temperaturregulation. Ganz nah ist es, so dass seine Signale schnell wahrgenommen werden können. Da ich stille, ist es nah an der Nahrungsquelle und auch unterwegs schnell (und diskret) mit Muttermilch versorgbar. Es erfährt von der Welt nach und nach: Es kann sich zurück ziehen, wenn es das möchte. Und wenn es größer und abenteuerlustiger wird, kann es einen Arm ausstrecken, kann auf die Dinge zeigen. Und wenn es doch wieder Rückzugsraum braucht, kehrt es in das Tuch zurück. Auch bei seinem Vater in der Tragehilfe hat es diese Möglichkeit und erfreut sich daran, mit ihm „im Gespräch“ zu sein.

Kinderwagen oder Tragetuch?

Es gibt kein richtig oder falsch. Es gibt nicht die eine immer richtige Lösung. Für uns war der richtige Weg, das Baby zu tragen. Und dem größeren Kind mit dem Kinderwagen gleichzeitig ein wenig mehr „Babysein“ und Rücksicht zu geben. Babys brauchen keinen Kinderwagen. Aber manchmal brauchen Eltern einen.

Eure

 

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10 Kommentare

  1. Kathinka

    HIhi, das kommt mir sehr bekannt vor. Auch bei uns war der Kinderwagen meist nur Gepäckträger, als solcher aber unersätzlich für mich. Obwohl ich ja prinzipiell gar nichts dagegen habe, meine Kinder auch mal zu schieben. Vorausgesetzt, sie akzeptieren das. Aber zumindest der Große wollte das als Baby überhaupt nicht. Heute, als Dreijähriger, findet er es dagegen manchmal ganz angenehm und dann kommt der Einjährige eben auf den Rücken. Ich finde auch, dass man da ganz pragmatisch sein darf. Allerdings meldet sich bei mir doch irgendwann der Rücken, wenn ich viel trage. Hast du einen speziellen Trick, um keine Rückenschmerzen zu bekommen? LG, Kathinka

  2. die Müllvermeiderin

    Du sprichst mir aus der Seele. Am Montag ertappte ich mich dabei, der Kindergärtnerin ein entschuldigendes „sie ist noch ein bisschen krank“ zu erwidern auf ihr Kommentar, das Baby gehöre doch in den Wagen und nicht die Große (3,5J). Ab heute ist schluss damit, danke für den Hinweis! 😀

  3. Bei uns läuft das auch so, ich hab auch kein Problem, wenn unsere fünfjährige Mal in den Kinderwagen will, solange sie sich nicht mit dem dreijährigen streitet. Unsere einjährige, allerdings schüttelt immer öfter und immer stärker den Kopf wenn ich sie auf den Rücken nehmen will. Sie will die Welt selber entdecken, und hat Angst was zu verpassen, selbst wenn sie schon sehr müde ist. So wird die Tragezeit vielleicht schon bald zu Ende gehen, das macht mich schon etwas traurig und wehmütig.

  4. Quasselette

    Ich bevorzuge den Kinderwagen deshalb, weil ich gar nicht weiß, wie ich mit dem Tragesystem und Baby vor mir den ganzen Kram aus der Wickeltasche mitschleppen soll. Wie machst du das?

  5. Liebe Susanne!
    Ich habe mit meiner Tochter (jetzt fast 15 Monate) einen Mix aus Kinderwagen und Tragetuch praktiziert bzw tue dies weiterhin. Was mich sehr interessiert und ich mich schon lange frage: Woher nimmst du die körperliche Kraft und Energie zum ausschließlichen Tragen? Achtest du dabei auf deinen Beckenboden bzw hast du da spezielle Übungen oder Tricks? Über eine Antwort würde ich mich sehr sehr freuen. 🙂
    Katrin

  6. Danke für die schönen Einblicke! Bei uns ist es so, dass der Dreijährige manchmal einfach Nähe braucht und ich ihn dann in der Trage auf dem Rücken trage, weil ich es kann und ihn gerne so trage. Unsere einjährige Tochter sitzt dafür gerne in seinem Buggy. Vor ein paar Tagen war ich genau so im Bus unterwegs und eine Frau sprach meinen Sohn direkt an: „Du bist doch schon groß! Du kannst doch stehen! Das ist nicht gut für den Rücken deiner Mama!“ Ich musste auf Durchzug schalten und mich abwenden, innerlich aber brodelte es und ich wurde auch sehr traurig. Er ist doch erst drei Jahre alt! Wieso sollte er nicht getragen werden, wenn er müde ist oder Nähe braucht? Hundert Gedanken schossen mir in den Kopf, viele Argumente bauten sich auf. Aber gesagt habe ich nichts. Wie gerne würde ich denken, dass die meisten Beobachter dachten, ach wie schön, er fühlt sich so bestimmt sehr geborgen.

    Liebe Susanne, danke dass Du uns mit Deinem Blog jeden Tag die Bestätigung gibst, die wir für unsere geborgenen Wege brauchen.

  7. Danke für diesen und die anderen Trageartikel! Ich kann mich auch an die vielen Kommentare erinnern, die mich so unendlich traurig aber auch wütend gemacht haben. „du verwöhnt dein Kind zu sehr“, „es gewöhnt sich dann zu sehr und will dann immer getragen werden“ usw.usf. Mir tun die Kinder so leid, die aufgrund dieser immer noch herrschenden haarsträubenden Ansichten dieser wundervollen Möglichkeit beraubt werden, ein besonderes Vertrauen in diese Welt zu entwickeln, Geborgenheit zu erleben. Auch in unserer community erlebe ich leider mamies, die ihre babies lieber wie einen nassen Sack über dem Arm tragen, wenn sie etwas anderes machen müssen oder es minutenlang im kinderwagen draußen im Hof weinen lassen, während sie eins ihrer anderen Kinder in die Räume der Kita bringen:(

  8. Bei uns wurde der Kinderwagen weitaus häufiger genutzt als die Manduca oder bei meinem Mann die Kraxe. Unsere Tochter wurde von Anfang an nur ungern getragen und konnte dabei auch nicht einschlafen. Daher bin ich jeden Tag bei Wind und Wetter mit dem Kinderwagen im Park unterwegs gewesen und habe morgens und mittags meine Runden gedreht, damit die Tochter ihr Schläfchen machen konnte. Es war doch aber auch ganz praktisch, so konnte ich anfangs ganz bequem die Wanne mit ins Haus nehmen und den Wagen in die Garage schieben. Später habe ich den Wagen dann durch den Garten und über die Terasse ins Haus geschoben. So hatte ich die Möglichkeit, wenn die Tochter schlief auch ein Nickerchen auf der Couch zu machen. Für zns perfekt.

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