Babys tragen – Warum es Trageberaterinnen gibt und warum sie wichtig sind

Kürzlich las ich in einem Artikel, dass es manchmal befremdlich ist, dass sich seit einiger Zeit so viele verschiedene Arbeitsbereiche rund um die Elternschaft etablieren: Neben Hebammen und Pädagog_innen gibt es Geburtsvorbereiter_innen, Doulas, Familienbegleiter_innen, Kursleiter_innen jeder pädagogischen Richtung, Mütterpflegerinnen, Stillberaterinnen und und und. Der Markt scheint sehr weit zu reichen.
Warum das so ist? Ich teile nicht die Annahme, dass es sich hierbei um eine Entwicklung handelt, die direkt mit dem Verschwinden der Hebammen zu tun hat. Weder nehmen diese Arbeitsbereiche die Arbeit der Hebammen weg, noch verdrängen sie die Hebammen vom Markt. Es zeigt vielmehr, wie wenig Wissen rund um Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft in unserer Gesellschaft noch breit gefächert vorhanden ist. Es zeigt, dass wir nicht mehr genügend Menschen um uns haben, die uns unterstützen, die mit uns ihre Erfahrungen teilen und durch die wir auf altes Wissen zurück greifen können. Gerade das Stillen und die Notwendigkeit von Stillberaterinnen ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Hebammen mussten vielmehr ihr Wissen immer weiter ausdehnen, um diesen Bedarf aufzufangen. Denn problematisch an der Situation ist, dass viele dieser Leistungen, die Eltern benötigen, von Krankenkassen etc. nicht übernommen werden, obwohl sie so unterstützend und hilfreich sind. Problematisch ist, dass von Hebammen diese Hilfen und Unterstützungen mittlerweile erwartet werden und auch, dass sie im Leistungsspektrum enthalten sein sollen, das die Krankenkasse deckt. Doch diese Bedürfnisse sind tatsächlich nicht neben der einfachen Arbeit aufzufangen – weder ist dies zeitlich machbar noch finanziell in irgendeiner Weise zu verantworten. Dadurch, dass in unserer Gesellschaft viel Wissen und Unterstützung verloren gegangen ist, wird quasi von Hebammen erwartet, all diese Bereiche und Bedürfnisse abzudecken – ohne zusätzliche Honorierung. Eine Unmöglichkeit, wenn man sich dies vor Augen führt.

Wie wichtig dieses Wissen jedoch ist, habe ich erst kürzlich wieder erfahren, als ich zum Netzwerktreffen der Trageberaterinnen eingeladen wurde. Hier haben sich Trageberaterinnen vieler verschiedener Trageschulen und Arbeitshintergründe zum Austausch getroffen. In den drei Tagen dieses Netzwerktreffens ist mir klar geworden, wie wichtig ausgebildete Trageberaterinnen sind und wie sehr sie mit kleinen Ticks und Tricks, die man tatsächlich nur kennt, wenn man sich ausführlich mit dem Thema beschäftigt hat, weiter helfen können. Meine ganz persönlichen Erfahrungshighlights sind diese:

1. Tragen – die Vielfalt macht es möglich

Oft habe ich bereits gehört, dass das Tragen einfach nicht klappt, weil das Baby die Trage einfach nicht mag. Oder weil die Tragenden einfach selber Rücken- oder Schulterschmerzen davon bekommen. Oder weil einfach kein wirklicher Grund gefunden werden kann, aber es sich einfach nicht gut anfühlt.

Mittlerweile gibt es aber eine wirkliche Vielfalt an unterschiedlichen Tragen auf dem Markt. Ich selber habe mehrere Tücher, 2 Slings, eine Emei-Trage, einen Bondolino, eine Manduca, einen Bebinaer-Mei Tai. Hört sich viel an? Ist es aber gar nicht, wenn man den tatsächlichen Markt betrachtet. Tatsächlich gibt es mittlerweile eine unglaubliche Anzahl verschiedener Modelle und unter den einzelnen Modellen verschiedene Hersteller. Neben den ganz großen Marken auch viele, die selber nähen. Und hier wird es nämlich besonders spannend: Natürlich haben die, die selber nähen, Modelle entworfen, die besonders an sie und ihre Bedürfnisse angepasst sind. Wer also eine passende Trage sucht, sollte nicht nur auf Material und Optik achten, sondern idealerweise auch ein Wissen darum haben, für welche Körperform die Trage ursprünglich gedacht war. Dies ermöglicht schon eine Eingrenzung auf dem riesigen Markt und lässt natürlich auch die Wahrscheinlichkeit steigen, ein Modell zu haben, das lange Freude gewährt.

2. Pflege – Tragen wollen gewaschen und nicht kaputtgewrungen sein

Sehr erhellend war auch ein Vortrag von Tina Hoffmann von Didymos über Tücher, Webkunst und Warenkunde. Hier berichtete sie u.a. davon, wie wichtig es sei, Tragetücher wie alle anderen Kleidungsstücke regelmäßig zu waschen. Und ja, auch mir war schon zu Ohren gekommen, dass Eltern erzählt haben, sie würden die Tücher nur im Notfall waschen, damit sie für die Kinder gemütlich und weich wären. Ein Irrtum, wie Tina Hoffmann berichtete. Es sei sogar so, dass Schmutz die Fasern kaputt machen würde und sie früher besonders viele Reklamationen von Tüchern hatten, die zerschlissen waren – nicht von der Abnutzung, sondern durch mangelnde Pflege. So eindrücklich wie sie vor zu wenig Pflege warnte, sprach sie sich auch gegen den neuen Trend aus Amerika aus, Tragetücher nach dem Ankommen zu über irgendwelche harten Kanten zu ziehen und das Gewebe damit zu zerstören.
Wer sein Tuch weich machen möchte, dem sei das Waschen und Bügeln an erster Stelle empfohlen. Beim Waschen sei auf möglichst wenig Waschmittel zu achten und ggf. die Verwendung eines Wasserenthärters (oder einfach Essig nehmen). Bügeln eines Tuches ist deswegen so wichtig, damit sich die Falten nicht immer wieder an derselben Stelle bilden, da die Tücher sonst zu schnell kaputt gehen.

3. Die richtige Anleitung ist sooo wichtig

Ich bin seit über 5 Jahren tragende Mutter und dennoch lerne ich immer wieder neu. Und an diesem Wochenende beim Tragenetzwerk hatte ich das Glück, in eine Arbeitsgruppe mit Madame Jordan zu kommen, die hier in Berlin einen eigenen Laden zur Trageberatung und Verkauf von Tragehilfen und Tüchern hat. Unter ihrer Anleitung haben wir in einer kleinen Arbeitsgruppe alle wichtigen Schritte zum Anlegen der Wickelkreuztrage besprochen und schließlich ein Video erstellt, in dem alle wichtigen Punkte enthalten sind. Mir hat es einmal wieder gezeigt, wie wichtig es ist, fachlich kompetent angeleitet zu werden, denn der Blick von Außen bringt noch einmal so viel mehr und kann auf Details achten, die man selber nicht mehr bedenkt oder die man in der langen Zeit der Praxis vergessen hat.Unser Anleitungsvideo möchte ich mit Erlaubnis aller Teilnehmer der Arbeitsgruppe hier mit Euch teilen:

Ja, es ist schade, dass wir auf dieses Wissen nicht einfach so zurück greifen können und dass wir hierfür Geld bezahlen müssen. Mir aber hat der Workshop wieder einmal gezeigt, dass manche Dinge auch einfach wirklich einen Wert haben und die Beratung zum richtigen Tragen definitiv dazu gehört. Tragen ist nämlich viel mehr als nur Transport. Mit dem Tragen unserer Kinder können wir ihnen so unglaublich viel mit auf den Weg geben und der Körperkontakt die daraus erfolgenden positiven Aspekte sind nur einige davon. Deswegen: Ja, Trageberatung ist heutzutage eine Dienstleistung, aber eine, die wirklich ein Dienst und ein Mehrwert ist.

Habt Ihr auch noch besondere Tipps und Tricks für das Tragen?
Teilt Eure Anregungen hier mit anderen Eltern.
Eure

 

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11 Kommentare

  1. Ich hatte letztens ein Interview mit Erika Pichler (eine wirklich großartige Hebamme, die sich auch viel mit Pränatal-Psychologie beschäftigt). Sie hat mich darauf hingewiesen, dass eben früher als die Frauen noch hauptsächlich zu Hause geboren haben, da die Klinikgeburt nicht bezahlt wurde, Hebammen sich ja noch wirklich “rund um die Uhr” – also während der Schwangerschaft und auch noch lange danach um die Frauen gekümmert hätten.
    Die Klinikgeburten allerdings hätten dann, als sie für alle möglich waren, positive Auswirkungen auf zwei Seiten gehabt: Die Gebärenden, die dann endlich einmal “Urlaub” von der Arbeit zu Hause hatten, wo ein richtiges Wochenbett kaum möglich war, und auch die Hebammen, die durch die geregelten Dienstzeiten erstmals Anspruch auf bezahlten Urlaub und geregeltes Privatleben hatten. Leider aber hat das auch bedingt, dass die einzelnen Hebammen weniger Zeit für die einzelne hatten bzw. auch mehrere Frauen gleichzeitig betreuen mussten. Von langwieriger Vor- und Nachbetreuung oder irgendwelchen Zusatzthemen ganz zu schweigen.

    • Na ja, aber da ist die Frage, wann dieses “Früher” eben war. Denn vor nicht ganz so langer Zeit war die Zeit des Wochenbetts und der Versorgung der Wöchnerin noch ganz normal und ist es ja in anderen Gesellschaften auch heute noch.
      Und die Geschichte des Hebammenberufes belegt eigentlich, dass Hebammen eben nicht die Rundumversorgerinnen waren, wie wir es heute erwarten. Jedenfalls nicht die Hebammen, wie wir sie heute kennen.

      • Frau Pichler hat sich auf die 50er, 60er Jahre bezogen. Ich glaub auch nicht, dass sie die Rundumversorgerinnen waren, aber soweit ich es von ihr verstanden hab, hat zumindest das, was sie vor der Klinikzeit tun konnten zumindest den Anforderungen genügt. Heute sieht sie sowieso ganz viel Bedarf in alle möglichen Richtungen.
        Hab ein Video zu ihrem Vortragsklassiker gefunden: https://www.youtube.com/watch?v=gbUS6B_0Nqg

  2. Ich habe mir zwei Trageberatungen gegönnt, eine zum Sling, da war das Kiddo noch ganz winzig, und eine für das Hüftkänguru (für die BerlinerInnen: bei Nina im Kurz&Klein, sie ist einfach ganz toll). Mittlerweile trage ich das Kiddo mit der Manduca auf dem Rücken. Für das Hüftkänguru ist sie viel zu zappelig geworden, und ich zu ungeduldig. Den Sling verwende ich immer noch gern, da hält sie auch am liebsten ihr Nickerchen. Frl. Hübsch und MySol habe ich verkauft, ich bin wohl eher so der Fullbuckle-Typ, und das Gewicht auf den Schultern wurde mir irgendwann zu arg. Nen Ergo hab ich hier noch rumliegen, da stören mich die sehr breiten Schultergurte ein wenig. Und ein Buzzidil wohnt bei uns, das nutzt der Mann am liebsten, während mir da der Hüftgurt immer ein bisschen zu sehr den Bauch quetscht. Also – ich kann es nur bestätigen, die eigene Körperform spielt eine tragende (haha) Rolle. Bei mir ist es ausgerechnet die schnöde olle Manduca, die als Rückentrage am besten passt 😉

  3. Schön war es! Ich habe das Tragenetzwerktreffen sehr genossen und unser Kennenlernen ebenfalls.
    Erlaube mir nur eine kurze Ergänzung: die Arbeitsgruppe hat nicht unter Mme Jordans Anleitung die wichtigen Schritte besprochen, wir haben in diesem Workshop als Projekt zusammengetragen, was uns jeweils in unseren Betragungen wichtig ist und warum, auch Trageschulenübergreifend. Das zeigt und erlaubt den Blick darauf, dass die Beratungen so individuell sind, weil jede/jeder einen etwas anderen Weg zum Ziel hat, für jeden etwas anderes gut funktioniert. Oder halt eben auch ggf eine andere Trage gut paßt als die, von der die beste Freundin schwärmt. Und manchmal sind es halt diese kleinen Nuancen, die über bequem oder unbequem entscheiden. Oder darüber, ob das Binden als kompliziert oder einfach empfunden wird. Weil einem selbst das “bißchen anders” binden besser klappen würde. Und so kann der Eine oder die Andere mit Video oder Anleitungsheft super lernen – und für manchen, für den das vielleicht nicht klappt, ist es gut, dass es uns Elternberaterinnen gibt. Oder auch einfach für den Austausch. Ich hätte mir das in vielen Bereichen gewünscht, als ich selbst vor über 7 Jahren Mutter wurde; in ländlichen Bereich, ich selbst und mein Umfeld 70er – Jahre – Kinder; meine Familie konnte mir mit so vielen Fragen, die ich mit den Bedürfnissen meines Kindes hatte, nicht weiterhelfen, weil zu der Zeit Dinge ganz anders “üblich” waren.
    Herzlichen Gruß
    Lena

  4. Oder ich lege mein einfach Kind in den Kinderwagen. Deutlich Zeit gespart, ich muss weniger schleppen – perfekt!

    • Wenn man damit tatsächlich Zeit spart 😉 Ich hab meine Tochter schneller auf dem Rücken, als den Kinderwagen vorm Haus. Außerdem kommt man mit so nem Wagen nicht überall hin… da ist eine Trage (welcher Art auch immer) erheblich “geländegängiger”. Mal abgesehen davon… schiebt sicher keiner sein Kind im Wagen durch die Wohnung… ich kenn aber viele Trageeltern, die ihre kleinen Menschen auch zu Hause tragen und so ehreblich mehr erledigen können. Und zum Thema weniger schleppen… mag ja sein… ich spar mir dabei aber das Fitnessstudio, seh (in meinen Augen) hübsch aus und als Bonus… hab ich ein zufriedenes Kind;-) Aber das nur so als Gedanke…

  5. Hallo Susanne,

    seit der Geburt meiner Tochter verfolge ich Deinen Blog und habe auch schon
    Dein Buch gelesen. Jetzt bin ich aber gerade wegen des Tragens in die
    Zwickmühle geraten. Meine Kleine schreit allerdings so gut wie immer wenn ich sie ins Tragetuch setze die ersten Minuten.

    Jetzt bin ich unschlüssig, ob ich ihr mit dem Tragen meinen Willen aufzwingen
    (weil ich so unbedingt tragen möchte) und sie nur mit dem Weinen aufhört, weil
    sie mittlerweile weiß, dass es nichts bringt (analog wie du es für diese Schlaf-Programme erklärt hast).
    Wenn sie sich dann aber beruhigt hat, dann schläft sie oft bis zu 2 Stunden
    ganz friedlich im Tuch.
    Kann es sein, dass manche Babies das Tragen wirklich nicht mögen? Und wenn ja,
    woran würdest Du das festmachen?
    Eine Trageberatung hab ich übrigens schon mal gemacht, aber da war die Kleine
    zu Abwechslung ganz friedlich.

    Hast Du einen guten Tipp für mich?

    Danke
    Andrea

    • Liebe Andrea,
      ich hääte ja jetzt zuerst gesagt: Besuch eine Trageberatung. Aber wenn Du das schon gemacht hast, macht das wahrscheinlich wenig Sinn. Wie alt ist sie denn? Vielleicht ist ja die Position gerad enicht mehr passend? Meine Kinder wollten beispielsweise irgendwann weniger gerne vorn getragen werden und ich habe sie dann auf die Hüfte genommen, wodurch sie besser sehen und interagieren konnten und wieder zufriedener waren. Wäre das einen versuch wert?

      • Mh ja, wäre möglich. Hab jetzt nochmal einen Termin bei einer “freien” Trageberaterin vereinbart (der erste war mit “Vertrieb” und wer weiß welcher Quali?) und auch ne Trage zum Test. Bin gespannt ob sich somit ihr Unmut lösen lässt. Werde berichten. ..
        Danke einstweilen…und Grüße

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