Schlagwort: Familientisch

Mein Kleinkind ist mäkelig beim Essen

“Nein, ich will das nicht essen!”
“Aber probier doch wenigstens mal!”
“Nein.”
“Aber es ist gesund.”
“Ist mir egal, ich will das nicht.”
“Aber du kannst doch nicht immer dasselbe essen. Einen Happen!?”
“Nein! Ich! Will! Das! Nicht!”
Punkt.

An welche Situation hast Du gerade gedacht? An einen Erwachsenen und ein Kind? Lies es noch einmal und denke an zwei Erwachsene. Denke an Dich. Wie lange würdest Du dieses Gespräch mitmachen? Wann würdest Du Dich fragen, ob Du Deinen Standpunkt nicht schon ausreichend klar gemacht hast? Ich würde bei meinem zweiten Nein denken, dass mein Gegenüber verstanden haben sollte, dass ich meine Meinung dargelegt habe. Frage Dich: Warum eigentlich gelten für Kinder andere Regeln? Warum vertrauen wir nicht auf ihr Bauchgefühl? Warum wollen wir Kinder immer zum Essen überreden?

Die Angst der Eltern: Mein Kleinkind will nicht essen

Unsere Kinder sind uns wichtig und wir sind um ihr Wohlergehen besorgt. Jeden Tag, ihr ganzes Leben lang haben wir dieses Wohlergehen im Auge. Wir wünschen uns, dass es ihnen gut geht, dass sie gesund sind und natürlich spielt Ernährung dabei eine wichtige Rolle. Es ist normal, dass wir uns sorgen, unser Kind könnte sich nicht gut ernähren. Doch diese Sorge darf nicht zu groß werden und sich nicht in Druck verwandeln. Wenn ein gesundes Kind Hunger hat, isst es. Und wir Eltern stellen hierfür eine gesunde Auswahl zur Verfügung. Wenn uns als Eltern das Essverhalten des Kindes besonders bebekümmert, lohnt sich manchmal die Frage: Warum mache ich mir solche Sorgen? Woher kommt meine Angst? Manches Mal haben wir auch nur keinen guten Überblick über das Essen, wenn gerade Kleinkinder viel “zwischendurch” essen und wenig zu den Hauptmahlzeiten. Hier kann es sich lohnen, einmal konkret zu beobachten, was das Kind den ganzen Tag über zu sich nimmt.

Wenn Du Dir wirklich Sorgen machst, notiere über den Zeitraum von einer Woche, was Dein Kind wann ist und wieviel. Diese Notizen können eine gute Basis sein, um die Situation bei einer Beratung einzuschätzen. Oft können Eltern dadurch auch sehen: Mein Kind isst gar nicht schlecht, aber über viele Kleien Mahlzeiten verteilt.

Die richtige Auswahl

Wenn es Süßes und Fettiges zur Wahl gibt, wird das Kind mit großer Wahrscheinlichkeit dieses bevorzugen, erklärt der Arzt Herbert Renz-Polster u.a. in seinem Buch “Kinder verstehen”. Nicht, weil es von sich aus ungesund leben will, weil es uns ärgern möchte, sondern einfach, weil es sich auf diese Weise einen Vorrat anlegen will, der früher einmal sinnvoll war in Zeiten, in denen nicht sicher war, wann und wie viel besonders reichhaltige Nahrung vorhanden war. Heute jedoch sind wir eigentlich auf diesen Vorrat nicht mehr angewiesen. Deswegen ist es so wichtig, unseren Kindern eine gesunde Auswahl anzubieten, aus der es sich etwas auswählen darf. Wenn es nicht essen möchte, möchte es nicht essen.

Manches Mal ist es auch die Esssituation, die dem Kind Schwierigkeiten bereitet. Essen ist eine sinnliche Erfahrung und auch im Kleinkindalter wollen Kinder noch mit allen Sinnen erfahren: Sie möchten die Speisen riechen, befühlen und kosten. Zu strenge Tischmanieren können die Freude am Ausprobieren hemmen.

Wenn Kleinkinder Essen ablehnen, ist das auch normal

In manchen Phasen haben Kinder besondere Bedürfnisse: Sie brauchen besonders viel Kohlehydrate und ein anderes Mal vielleicht besonders viel Eiweiß. Sie zeigen uns dies, indem sie über einen längeren Zeit das gleiche wünschen und andere Speisen ablehnen. Das als “Neophobie” bezeichnete Ablehnen von neuen Speisen ist eine aus Kindersicht sinnvolle Handlung: Sie schützt davor, Unbekanntes unbedacht in den Mund zu stecken. Hier hilft es nicht, das Kind zum Probieren zu zwingen, sondern das regelmäßige Anbieten ist eine gute Methode, damit das Kind irgendwann doch einmal probiert. Immer und immer wieder anbieten und Vorbild sein! Manches Mal wird die Speise dann auch lieber vom Teller der Eltern probiert als vom eigenen. Und manchmal sind es auch noch einmal andere Gründe, die dem Kind den Hunger nehmen: Wenn es im Sommer heiß ist, ist der Appetit oft geringer und Kinder essen eher viele kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt. Auch das ist normal und sogar ganz sinnvoll.

Das eigene Essverhalten in den Blick nehmen

Eine gesunde Auswahl anzubieten bedeutet auch, das eigene Essverhalten in den Blick zu nehmen. Als Eltern sind wir Vorbilder: In dem, was wir sagen und dem, was wir tun. Kinder beobachten genau und sehen, wenn wir als Erwachsene aus unserem Essen aussortieren oder beim Frühstück immer einen bestimmten Aufstrich haben wollen. Sie nehmen auch die kleinen Anzeichen wahr, wenn wir ihnen ein gesundes Gemüse anbieten, das wir selber nicht mögen. Sie hören, wenn wir schwindeln und sehen, wenn wir ein wenig die Nase rümpfen.

Auch wenn wir es mit bester Absicht machen: Oft macht es keinen Sinn, von Kindern das Essen einer Speise zu erwarten, die wir selber ablehnen. Denn dass ein Kind die Signale des Elternteils feinfühlig wahrnimmt, ist sinnvoll: Als Kind kann es noch nicht gut einschätzen, was verträglich ist und was nicht und verlässt sich deswegen auf das erfahrene Elternteil. Nimmt es unterschiedliche Signale wahr (du kannst das essen – ich lehne es ab), kann es aus Verwirrung das Essen ganz ablehnen. Ein guter Familientisch berücksichtigt deswegen nicht nur, was vermeintlich gut für das Kind wäre, sondern nimmt auch Rücksicht auf andere Familienangehörige, so dass Essen authentisch angeboten und empfohlen werden kann.

Dein Kind will nicht Essen?
10 Tipps für mehr Entspannung

  1. keinen Druck ausüben
  2. dem Kind Speisen immer wieder anbieten
  3. gemeinsame Mahlzeiten in entspannter Atmosphäre
  4. gemeinsames Zubereiten von Mahlzeiten
  5. zusammen einkaufen gehen: Was magst Du?
  6. eine gesunde Auswahl bieten und bewusst zu Hause haben
  7. Wünsche akzeptieren
  8. Befühlen erlauben
  9. Vorbild sein
  10. sich fragen: Isst es wirklich wenig? Oder ist das meine Angst?

Niemals Druck ausüben

Essen ist lange Zeit Spiel und bleibt eine sinnliche Erfahrung. In vielerlei Hinsicht ist das Essen heute auch mehr als nur Nahrungsaufnahme, sondern hat neben der Sinneserfahrung auch soziale Komponenten des Miteinander. Solange sich Kinder gesund entwickeln, sollte die Nahrungsaufnahme auch genau das bleiben. Babys und Kleinkinder müssen kein Häppchen für Oma oder die Tante zu sich nehmen, sie sollten nicht ausgetrickst oder abgelenkt werden, um zu essen und natürlich nicht bedroht oder unter Druck gesetzt werden. Speisen müssen nicht aufgegessen werden, es muss nicht probiert werden, aber das Probieren kann vorgeschlagen werden. Wer nicht probieren oder aufessen möchte, muss keine Sanktionen fürchten wie die Streichung anderer Speisen. Und das Essen sollte auch nicht zur Bestrafung oder Belohnung eingesetzt werden: Kinder müssen nicht an einem Extratisch sitzen, wenn sie mäkeln oder so lange sitzen bleiben, bis sie aufgegessen haben. Sie werden für ein Verhalten weder bestraft im Sinne von “Weil Du xy gemacht hast, bekommst Du nur eine kleine Portion” und auch nicht mit Essen belohnt: “Weil Du heute so brav warst, gibt es einen Nachtisch.”

Manchmal sind Kinder mäkelig beim Essen. Meistens haben sie einen Grund dafür. Sie essen dann, wenn sie Hunger haben. Die tägliche Nahrungsmenge unterscheidet sich ebenso wie die individuellen Vorlieben für Geschmacksrichtungen und Speisen. Dass gesunde Kinder ab und zu Speisen ablehnen und/oder andere bevorzugen, ist ein normales Verhalten. Als Eltern sollten wir dieses Verhalten annehmen und versuchen, die Gründe dafür zu verstehen. Auf diese Weise können wir auch unsere Sorgen abstreifen und Kindern eine selbständige und druckfreie Nahrungsaufnahme ermöglichen.

Eure

Breifrei seit einem Jahr

Vor etwa einem Jahr habe ich mein Breifrei-Buch “Breifrei durch die Babyzeit. Gemeinsam Essen entdecken: Stück für Stück” veröffentlicht und mit Kursen für Eltern begonnen, in denen ich ihnen erkläre, wie wunderbar Babys auch ohne Brei in die Beikostzeit starten können, welch Genuss das gemeinsame Essen ist und wie viel Freude Babys am Kennenlernen von unterschiedlichen Konsistenzen und Geschmäckern haben. Fast 200 Mal wurde es seither verkauft und ich habe viele Workshops in Berlin gegeben, um Eltern diesen Weg der Beikosteinführung zu zeigen. Auch Fachpersonal habe ich in dieser Zeit weiter gebildet, das das Wissen ebenso weiter gibt in Workshops, Hausbesuchen und Kursen. Doch noch oft treffe ich auf Eltern, die mit “Breifrei” noch nichts anfangen können. Deswegen gibt es heute noch einmal eine kleine Einführung.

Woher Breifrei oder BLW eigentlich kommt

Gill Rapley, Hebamme, Stillberaterin und Mutter von drei Kindern, hat den Begriff des “Baby-Led Weaning” geprägt. Wie sei selbst jedoch schreibt, hat sie nur dem einen Namen gegeben, was viele Eltern ganz natürlich mit ihren Kindern schon seit Generationen praktizieren: Das Kind ohne extra gekochten Brei an feste Nahrung heran führen. Auch Herbert Renz-Polster führt in seinem Buch “Kinder verstehen” aus, dass Kinder evolutionär betrachtet schon immer das aßen, was auf dem mütterlichen Speiseplan stand – und zwar entweder mundgerecht zerlegt oder vorgekaut. Dies hatte auch den Vorteil, dass das Kind den Geschmack der Speisen bereits über die Muttermilch vermittelt bekommen hat. Auch Skelettfunde sollen die These der gröberen Beikost untermauern: Erst ab dem 17. Jahrhundert sind Kieferfehlstellungen zu beobachten durch die zunehmend weichere Babykost.

Sind Kinder dazu fähig, sich selbst mit passender Nahrung zu versorgen?

Baby-Led Weaning geht davon aus, dass Babys sich mit dem, was sie brauchen, in gewissem Sinne selbst versorgen können. Vorausgesetzt wird, dass das Angebot, das sie von ihren Eltern erhalten, gesund und ausgewogen ist. Wird ihnen eine Auswahl an gesunden Nahrungsmitteln täglich angeboten, wählen sie selbst, was sie gerade benötigen. Vielleicht gibt es Phasen, in denen sie immer wieder ganz bestimmte Nahrungsmittel bevorzugen weil sie es gerade für die Entwicklung benötigen. Über einen längeren Zeitraum zeigt sich jedoch, dass bei einer breiten Auswahlmöglichkeit über die Zeit eine gute und vollwertige Ernährung erfolgt.

Wann Babys bereit sind

Damit das Baby also selbst isst, muss es bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Nach Gill Rapley ist das geeignete Alter für den Beikoststart ohne Brei um den sechsten Monat herum – bei gesunden und zum normalen Geburtstermin geborenen Kindern ohne gesundheitlichen Einschränkungen. Kinder sollten (mit wenig Hilfe) sitzen und das Essen selbst zum Mund führen können. Denn es geht nicht nur einfach darum, dass das Baby feste statt breiiige Lebensmittel bekommt. Es soll vielmehr ganz selbstbestimmt das Essen vom Teller nehmen dürfen (sich dabei aussuchend, was genau es vom Teller nehmen möchte) und es selbst zum Mund führen und ganz nach Bedarf dieses Lebensmittel mit dem Mund erkunden und langsam verspeisen. Das langsame Erkunden ist dabei ganz besonders wichtig, denn Babys wissen ja noch nicht, dass Nahrung satt macht. Erst aus Freude am Erkunden nehmen sie die Lebensmittel in den Mund und lernen dann nach und nach, dass diese auch satt machen.

Babys brauchen Zeit, um in Ruhe ein Nahrungsmittel zu erkunden: Wie fühlt es sich an, wie hart oder weich st es? Wie berühre ich es? Wie kann ich es am besten in den Mund stecken? Wie fühlt es sich im Mund an, wie zerdrücke ich es? An jedem Nahrungsmittel gibt es viel zu entdecken. Dass Nahrung so lange im Mund des Babys hin und her gewendet wird, hat ebenfalls Vorteile: Im Speichel sind bereits Verdauungsenzyme enthalten, die schon mit der Verwertung des Essens beginnen. Und nicht nur jede Mahlzeit braucht ihre Zeit, sondern auch insgesamt verläuft die Entwicklung der Aufnahme der Nahrungsmittelmenge vielleicht langsamer als bei der Breikosteinführung. Auch dies ist jedoch ganz im Sinne des Kindes: Schließlich ist im ersten Lebensjahr das Hauptnahrungsmittel die (Mutter-)Milch.

Breifreie Beikosteinführung hat insgesamt viele Vorteile für Babys: vom achtsamen Umgang mit dem Kind und seinen Bedürfnissen bis hin zu handfesten Vorteilen in Hinblick auf die Entwicklung der Kiefermuskulatur. Es ist ein wunderbarer Weg, um Kinder an das Familienessen heran zu führen. Stück für Stück.

Breifrei_Buchcover

Breifrei durch die Babyzeit. – Nun in der 2. Auflage