Glaubenssätze hinterfragen

Wir alle kennen jene Situationen, in denen wir etwas wollen, aber das Kind möchte etwas anderes. Schnell sind wir verleitet, zu denken: „Ich bin hier die erwachsene Person, ich bestimme, wo es lang geht!“ Tatsächlich ist es ja eine wichtige Aufgabe von uns Erwachsenen, dass wir innerhalb des Bindungssystems die Funktion übernehmen, das Kind sicher zu begleiten: Als Erwachsene haben wir einen Erfahrungsvorsprung, unsere Gehirne funktionieren anders, was uns ermöglicht, Situationen anders einzuschätzen und damit dem Kind einen sinnvollen Weg aufzuzeigen und es sicher zu begleiten. Das alles ist richtig – und dennoch gibt es manchmal Situationen, in denen auch wir Erwachsene mit unserer Einschätzung daneben liegen.

Erlernte Glaubenssätze leiten uns

Manchmal leiten uns nicht wirklich realistische Einschätzungen einer Situation oder eine wirkliche, verletztende Grenzüberschreitung, sondern es sind vielmehr verinnerlichte Glaubenssätze, die uns denken lassen, dass wir hier und jetzt in einer bestimmten Art reagieren sollten: Das Kind will keine Jacke anziehen – wir denken, wir müssten das Anziehen jetzt durchsetzen, weil man das so macht im Herbst/Winter/Frühling. Das Kind will die süße Nachspeise zuerst essen – wir denken, dass zuerst die „richtige“ Mahlzeit gegessen werden muss und erst nach der Sättigung damit die Nachspeise erlaubt sei. Das Kind sagt ein Schimpfwort und wir reagieren laut und verärgert, weil Kinder doch höflich sein müssen. – In all diesen Fällen leiten uns bestimmte Glaubenssätze, die wir verinnerlicht haben und nicht eine wirklich erzieherische Notwendigkeit. Wir denken, dem Kind müsse kalt sein, weil uns so kalt ist oder es würde sich sonst erkälten. Wir denken, dass eine richtige Mahlzeit herzhaft sein muss und eine Nachspeise eine Belohnung sei für das Aufessen. Wir denken, Kinder dürfen sich nicht schlecht gegenüber Erwachsenen benehmen, weil das auf schlechte Erziehung hinweist.

Diese Art von verinnerlichten Glaubenssätzen machen uns den Familienalltag manchmal schwerer, als er sein müsste, denn sie führen zu Konflikten, die wir vermeiden könnten: Wir können die Jacke mitnehmen und das Kind zieht sie an, wenn es friert. Wir können Nachspeisen nicht als Belohnung einsetzen für das Aufessen, sondern Süßigkeiten einen eigenen Raum geben ohne Zusammenhang mit anderen Mahlzeiten. Wir können es annehmen, dass das Kind gerade extrem verärgert ist und Alternativen erklären, statt Verbote auszusprechen.

Der Ursprung deiner Glaubenssätze

Unsere Glaubenssätze bilden sich im Laufe unseres Lebens aus durch die Erfahrungen, die wir machen und die Werte, mit denen wir selbst geprägt werden. Oft speisen sie sich aus eigenen Kindheitserfahrungen in unseren Ursprungsfamilien, aber auch aus dem weiteren Umfeld und den Medien, die wir konsumieren. Gerade wenn wir mit einer anderen Erziehung selbst aufgewachsen sind, können sich bestimmte Gedanken in uns manifestiert haben, die uns heute unbewusst leiten.

Ist das wirklich wichtig?

In Konflikten mit Kindern – gerade wenn es Themen sind, die regelmäßig auftreten – lohnt sich daher eine Reflexion der eigenen Annahmen: Warum ist mir das so wichtig? Ist das wirklich sinnvoll? Warum nehme ich an, dass wir das genau so machen müssen und nicht anders?

Vielleicht stellen wir dann an der ein oder anderen Stelle fest, dass wir hier einen Weg verfolgen, der so gar nicht gegangen werden muss und können aus den Fußstapfen der Vergangenheit heraustreten und neue Wege gehen. Das erfordert manchmal einige innere Anstrengung, ist aber lohnenswert.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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