Mach das so wie immer! – Wenn Kinder Beständigkeit fordern

„Nein, so ist das falsch! Mach das so wie immer!“, „Ich will den Apfel nicht so essen, sondern nur in vier Teile geschnitten wie immer!“, „Nein, kein neues Buch vorlesen, sondern das wie immer!“ – Manchmal gibt es Phasen, in denen unsere Kinder immer und immer wieder das Gleiche einfordern: die gleichen Abläufe, die gleichen Geschichten, die gleichen Mahlzeiten,… Und vielleicht denken wir uns: Stimmt mit dem Kind etwas nicht? Ist das nicht langweilig? Aber es ist alles in Ordnung, auch wenn wir am zehnten Abend in Folge das gleiche Buch vorlesen.

Eine neue Welt, in der sich alles wandelt

Manchmal denken wir, dass unsere Kinder doch schon so groß sind und wissen, wie die Welt funktioniert. Dabei verlieren wir manchmal aus den Augen, dass das Kind nicht schon 3, 4 oder 5 Jahre ist, sondern dass es erst so lange auf dieser Welt ist. Einige Jahre, in denen es schon einige Erfahrungen gemacht hat, aber viel von dem, was es täglich sieht und erlebt ist neu. Jeden Tag erlebt es neue Dinge und lernt die Welt mit allen Sinnen kennen. Jeden einzelnen Tag macht es Lernerfahrungen im Außen und zugleich wandelt es sich im Inneren: das Gehirn vernetzt sich weiter, der Körper entwickelt sich und wächst und lässt damit neue Erfahrungen zu: Was vor einem halben Jahr noch nicht erreichbar war, kann nun problemlos angefasst werden, weil es endlich in Reichweite ist. Das Kind lebt in einer Welt voller Neuerungen.

Es ist spannend, diese Neuerungen zu erfahren, aber es ist auch aufregend und anstrengend. Und es tut gut, neben dieser Aufregung und Anstrengung ein Gegengewicht zu haben. Gerade in den Zeiten, in denen vielleicht gerade besonders viel Wandel stattfindet, in dem sich das Kind gerade besonders entwickelt, geben gleichbleibende Abläufe eine Gewissheit und Sicherheit. Sie sind ein Fels in der Brandung. Etwas, woran sich Kinder festhalten können in einer Zeit des Wandels.

Manche Kinder brauchen mehr Gleichförmigkeit

Manche Kinder brauchen mehr Beständigkeit, andere weniger. Manche Kinder hören lieber jeden Abend ein anderes Hörspiel, während andere wieder und wieder das gleiche Hörspiel hören wollen. Nichts davon ist falsch! Denn auch hier zeigt sich wieder, wie unterschiedlich Kinder sind und mit welch unterschiedlichen Eigenschaften und Vorlieben sie zu uns kommen. Tatsächlich scheint das Bedürfnis nach dem Regelmäßigen, Gleichen mit der Dopamin-Ausschüttung im Körper zusammenzuhängen und ist damit viel weniger beeinflussbar als wir manchmal denken.

Aber warum auch immer unser Kind gerade jetzt darauf besteht, das Gleiche wie sonst auch haben zu wollen: Es ist – wie so viele Dinge – ein Zeichen, ein Ausdruck eines Empfindens. Es ist kein Machtspiel, kein Druckmittel. Es ist ein Zeichen eines kleinen Kindes, das noch ganz neu in dieser Welt ist und gerade jetzt etwas genau so haben will, wie es sonst auch ist. Zum Festhalten. Und genau das sind auch wir Eltern, wenn das Kind sich darauf verlassen kann, dass wir die Nöte und Bedürfnisse des Kindes sehen – auch wenn wir sie nicht immer nachspüren oder verstehen können. Aber wir sind beständig darin, auf das Kind einzugehen und ihm helfen zu wollen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

5 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen so wunderbaren Beitrag. Es berührt mich gerade sehr. Ich muss mich in den letzten Tagen so oft bei Freunden und Bekannten dafür rechtfertigen, dass mein 2jähriger Sohn NOCH eine Flasche zum Einschlafen braucht. Dabei ist es für ihn geliebte Gewohnheit und Abendritual und fühlt sich so wunderbar und richtig an…

    • Christiane

      Unser 2 jähriger Sohn bekommt auch jeden Abend seine Milch vorm schlafen gehen. Ich find es gar nicht schlimm und was andere sagen ignorier ich sowieso 😀 nur die Eltern selbst wissen oder erleben was für ihr Kind das richtige ist. Und nur das zählt 🙂

  2. Vielen Dank fuer den Artikel! Wir haben hier ein Kind (6) das schon immer sehr viel von dieser Bestaendigkeit einfordert, es gibt genau 1 Hoerspiel das geduldet wird (Petersson und Findus bis zu 3 mal am Tag) und neue Buecher verstauben im Schrank weil sie nicht gewuenscht werden. Gar nicht so leicht, ohne Druck neue Dinge anzubieten weil ich weiss, es gibt vieles das ihr gefallen wuerde, wenn sie sich ‚traut‘.

  3. Danke für diesen wertvollen Beitrag, der sehr zum Verständnis beiträgt und für Klarheit sorgt. Immer wieder das Gleiche einfordern ist ja auch eine Strategie, um das Bedürfnis nach Sicherheit zu erfüllen. Ich finde es äußerst feiernswert, wenn Kinder schon über so viel Kompetenz verfügen, um sich selbst Bedürfnisse zu erfüllen bzw. darum zu bitten. Außerdem zeugt es von Vertrauen und einer sicheren Bindung, wenn Kinder sich diese Beständigkeit fast schon empört einfordern. Ich hatte da als Kind nicht den Mut dazu. Also liebe Eltern: feiert, wenn eure Kinder ihre Bedürfnisse erfüllen. 🙂

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