Tag: 10. Juni 2020

Wie wir Zeit oder zumindest Streit einsparen, wenn wir uns in unsere Kinder hineinversetzen

„Jetzt stell dich doch nicht so an!“, „Komm, mach mal schnell!“, „Ist doch jetzt wirklich nicht so schlimm…“ – In unserem Alltag haben wir immer wieder Situationen, die wir als Erwachsene ganz anders einschätzen als unsere Kinder es offenbar tun. Situationen, in denen unsere Kinder aus unserer Sicht „falsch“ oder „überreagieren“. Situationen, von denen wir denken: Das ist doch eigentlich kein Problem. Wir müssen doch nur mal kurz… Aber aus diesem „kurz“ wird dann ein „lang“, weil wir damit umgehen müssen, dass das Kind die Situation nicht annimmt, sich nicht einfügt, vielleicht in einen Gegenwillen geht. Dabei hätte es doch so schnell gehen können, denken wir.

Kinder sind nicht wie Erwachsene. Sie denken nicht wie Erwachsene. Gerade bei Kleinkindern dominiert die Gefühlswelt noch im Handeln und in den Reaktionen und die Kinder können sich nicht in unsere erwachsenen Gedanken, Absichten und Handlungsabfolgen hineinversetzen. Während wir denken „Wir gehen mal ganz schnell kurzfristig los, um noch eben Äpfel zu kaufen, weil der Laden gleich zu macht.“ denkt das Kind nicht daran, dass es morgen keinen Apfel zum Frühstück haben wird, sondern fühlt sich vielleicht übergangen in der Selbständigkeit, wenn es nun schnell Schuhe und Jacke angezogen bekommt. Oder es wollte doch eigentlich gerade noch weiter spielen. Die Wut kommt auf, das Kind macht nicht mit und die Situation wird zu einem Problem.

Im Alltag mit Kleinkindern gibt es meistens kein „Ich mach mal schnell und das Kind macht mit“. Es hilft uns, wenn wir diesen Gedanken als Option einfach streichen. Wir gewinnen in den meisten dieser Fälle keine Zeit, können nicht das Gewünschte durchführen, dafür kommen wir oft in Stress und Streit. Das ändert sich wieder, wenn unsere Kinder sich mehr in uns hinein versetzen können und einen besseren Überblick über Abläufe und Pläne haben.

Alternativ aber können wir doch zu unserem Ziel kommen, wenn wir nämlich nicht planen, dass das Kind unsere Pläne kurzfristig und selbstverständlich mitmacht, sondern wenn wir aus der Kinderperspektive von Anfang an denken. Das bedeutet, dass wir vorher abwägen:

  • Ist das eine Tätigkeit, die überhaupt in der aktuellen Verfassung meines Kindes jetzt problemlos umgesetzt werden kann?
  • Wie wird sich mein Kind dabei fühlen?
  • Welche Herausforderungen gibt es hierbei (anziehen, fehlende Selbstbestimmung, Reize wie Wärme oder Kälte, Spiel unterbrechen,…) und wie kann ich diese Probleme umwandeln, so dass sie nicht zu einem Streit führen?
  • Gibt es kleine Punkte, an denen ich durch geringe Änderungen das Interesse meines Kindes gewinnen kann („Du schiebst dann den Einkaufswagen.“ „Du kannst aussuchen, was wir zum Frühstück kaufen.“ „Komm, wir probieren heute einfach aus, barfuß zu gehen.“…)?

Oft lässt sich durch das Mitdenken und Vordenken ein Streit umschiffen. Wenn wir Glück haben, können wir mit diesem Vorgehen Zeit einsparen. Zumindest aber können wir damit oft eine kräftezehrende und anstrengende Auseinandersetzung vermeiden. Und ja: Manchmal ist es nicht möglich, manchmal müssen wir wirklich kurzfristig eine Entscheidung treffen und die Kinder müssen mitmachen. Aber ganz oft geht es eben auch anders. Und dadurch konfliktärmer – und das ist für einen stressigen Alltag doch auch ganz schön.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de