«Jetzt beeil dich! Wir müssen los!», «Bist du immer noch nicht weiter?» Viele Kinder hören den ganzen Tag über immer wieder, dass sie doch bitte etwas schneller sein sollen. Sie:
- bummeln am morgen
- trödeln beim Essen
- träumen vor sich hin, wenn sie eine Aufgabe erledigen sollen
und treiben damit die Erwachsenen um sie herum regelmässig in den Wahnsinn. Uns Erwachsene mit unseren Uhren, Plänen, To-Do-Listen, Strukturen, Pflichten, Agenden, uns, die immer irgendwo hinmüssen, nicht zu spät kommen dürfen, niemanden enttäuschen wollen, den Bus auf keinen Fall verpassen möchten. Wie können wir als Eltern damit umgehen, wenn unsere Kinder langsam und verträumt sind und alles ewig dauert – in einer Welt, die das immer weniger zulässt?
Vorbereitung hilft gegen Stress am Morgen
Meine Kinder (4 und 7) gehören zu den Menschen, die es morgens gerne gemütlich angehen lassen. Meist bleiben sie noch im Pyjama, spielen zuerst eine Stunde, essen dann etwas und ziehen sich erst nach dem Frühstück an. Seit sie in die Schule und in den Kindergarten gehen, ist es mit den gemütlichen Morgenstunden vorbei. Um 7.50 beginnt für beide die Schule und um 7.32 Uhr müssen sie den Bus erwischen (Anmerkung: In der Schweiz gehört der Kindergarten ab 4 Jahren zur obligatorischen Schulzeit). Nun bleibt uns morgens nicht viel Zeit: Wecken, Anziehen, Frühstücken, Pausenbrot einpacken, Jacke, Schuhe etc. anziehen und den Bus erwischen: All das muss in 45 Minuten Platz haben.
Da ich unter Druck selbst eher apathisch werde, alles Mögliche vergesse und mein Gehirn vor 9 Uhr sowie nicht wirklich funktioniert, habe ich mir angewöhnt, den Morgen zu entschlacken. Dabei gilt: Je weniger man als Elternteil am Morgen tun muss, desto gemütlicher kann man in den Tag starten. All das lässt sich am Abend erledigen, wenn die Kinder im Bett sind:
- Die Kleider für den nächsten Tag bereitlegen.
- Für das Frühstück bereits den Tisch decken.
- Schultasche packen.
- Die Pausenbox vorbereiten und einpacken.
- Schuhe, Jacke, Schal etc. im Gang bereitlegen, sodass die Kinder nur noch reinschlüpfen müssen.
Auf diese Weise muss man am Morgen nur noch den Kindern ein wenig beim Anziehen helfen und den Brotaufstrich aus dem Kühlschrank nehmen.
Das selbständige Anziehen gelingt den Kindern leichter, wenn man die Kleider in Form eines Kleidermännchens bereitlegt: Hose und Pulli zuunterst, T-Shirt, Unterwäsche und Socken darauf – in der Reihenfolge, in der das Kind die Kleider anziehen muss. Eine Alternative ist der Kleiderparcours. Dazu legen Sie beispielsweise die Unterwäsche neben das Bett, die Socken auf die Türschwelle, das T-Shirt in den Gang, die Hose auf den Weg zur Küche und den Pullover auf den Stuhl in der Küche. Das Kind bewegt sich damit während des Anziehens automatisch vom Bett zur Küche und läuft nicht Gefahr, sich wieder auf das Bett zu setzen und Löcher in die Luft zu starren. Wenn die Kinder etwas älter werden, mehr Routine entwickeln und sich selbständiger anziehen, können nach und nach wieder mehr dieser Punkte in den Morgen verschoben werden.
Eine kleine Trickkiste, um das Aufstehen zu erleichtern
Meine Vierjährige ist abends fit und munter, morgens dafür todmüde. Im ersten Kindergartenjahr hat sie zum Glück zwei Vormittage frei. Und so stellt sie mir jeden Morgen die gleiche Frage: «Habe ich heute frei?». Auf die Antwort: «Nein, heute ist Kindergarten» dreht sie sich knurrend um und zeigt mir überdeutlich, was sie davon hält, so früh aus den Federn zu müssen. Ein paar Kniffe erleichtern uns das Aufstehen.
Musik: Wenn morgens der Song «Let it go.» aus dem Disneyfilm Frozen aus den Boxen dringt, fällt meiner Tochter das Aufwachen deutlich leichter.
Kleider anwärmen: Im Winter wird es über Nacht etwas kalt im Kinderzimmer. Angenehmer wird das Aufstehen, wenn man die Kleider auf der Heizung bereitlegt oder sie ein paar Minuten vor dem Aufstehen zum Anwärmen unter die Bettdecke schiebt.
Verständnis: Begründungen wie «Mach jetzt! Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät!» führen kaum dazu, dass Kinder sich beeilen. Gerade die verträumten Kinder werden oft umso langsamer, je mehr Druck die Eltern aufsetzen. Verständnis kostet nichts und tut gut: «Du würdest gerne noch weiterschlafen, hm? Ich auch. Schon gemein, dass wir so früh aufstehen müssen. Komm, ich helfe dir.»
Beim Anziehen helfen: Wenn meine Tochter an ihren freien Tagen ausschlafen, spielen und frühstücken durfte, geht sie nach oben ins Zimmer und zieht sich alleine an. Das gelingt ihr nicht, wenn ich sie morgens wecken muss. Sie ist zu müde – also helfe ich ihr. In unserer Kultur wird Selbständigkeit so großgeschrieben, dass viele Eltern Angst bekommen, sie könnten ihre Kinder zu sehr verwöhnen oder zur Unselbständigkeit erziehen, wenn sie ihnen morgens in die Kleider helfen. Ich glaube, das dürfen wir ruhig etwas gelassener sehen.
Manchmal braucht alles etwas länger
Eltern von kleinen Kindern kennen es: Man hat sich verabredet, will aus dem Haus und sobald das Kind endlich angezogen ist, muss es auch schon wieder aufs Klo oder die Windeln müssen gewechselt werden.
In dieser Phase fand ich den Satz «Ich rufe dich an, sobald wir unterwegs sind.» sehr entlastend. Oft spielt es keine Rolle, ob man sich um 14 oder 14.30 Uhr trifft, doch sobald man eine bestimmte Uhrzeit vereinbart hat, beginnt man hektisch auf die Uhr zu schielen und das Kind anzutreiben. Muss man mehrmals hintereinander die Eltern, Schwiegereltern oder Freunde anrufen und ihnen gestehen, dass man es wieder nicht rechtzeitig schaffen wird, beginnt man an sich zu zweifeln.
Sobald man im Bus, Zug oder Auto sitzt, lässt sich die Zeit hingegen genauer angeben. Ein Anruf mit den Worten «Wir fahren jetzt los – sind in einer halben Stunde da.» lässt der anderen Person immer noch die Möglichkeit, sich etwas vorzubereiten und sich auf den Besuch einzustellen.
Je weniger wir uns vornehmen, desto seltener machen uns Kinder einen Strich durch die Rechnung
Wie sehr wir uns als Erwachsene vom Alltag und unseren Kindern stressen lassen, hängt stark davon ab, welche Erwartungen und Ziele wir im Kopf haben. Wenn wir uns innerlich sagen: „Ich muss heute unbedingt noch…“, setzen wir uns unter Druck. Jedesmal, wenn sich unserem Ziel etwas in den Weg stellt, reagieren wir mit Frust und Ärger. In dieser Situation können wir vom Kind verlangen, dass es spurt, schnell macht, sich alleine beschäftigt, uns nicht stört – oder wir können uns ein Stück weit von unseren Plänen lösen.
Als meine Kinder noch jünger waren, half es mir sehr, meinen Fokus zu ändern und mir ganz bewusst das Ziel zu setzen: „Ich verbringe Zeit mit meinen Kindern.“ Alles andere, das Einkaufen, Kochen, Haushalt war nicht mehr das erste Ziel, sondern etwas, das ich tue, während ich Zeit mit meinen Kindern verbringe. Sobald man diesen Fokus hat, geht es nicht mehr darum, möglichst rasch durch den Supermarkt zu eilen oder ungestört zu kochen. Vielmehr plaudert man mit den Kindern, bindet sie in den Einkauf ein oder freut sich, weil sie beim Kochen immer besser mithelfen können.
Probieren Sie es aus: Setzen Sie sich in der nächsten Woche an zwei Nachmittagen das Ziel, Zeit mit Ihren Kindern zu verbringen und sich auf deren Rhythmus einzulassen. Dabei gilt: Alles kann, nichts muss. Betrachten Sie es als Bonus, wenn Sie in dieser Zeit einkaufen oder die Wohnung aufräumen können. Fragen Sie sich am Ende dieser Nachmittage: Wie habe ich mich gefühlt? Wie war die Stimmung zwischen mir und den Kindern? Was haben wir gemacht?
Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor. Gemeinsam mit seiner Kollegin Stefanie Rietzler hat er das Buch Geborgen, mutig, frei – wie Kinder zu innerer Stärke finden geschrieben. Zudem schreibt er regelmäßig für das Schweizer Elternmagazin Fritz+Fränzi. Mehr erfahren Sie unter mit-kindern-lernen-ch
Also ehrlich: Dieser Artikel spricht mir Wort für Wort ganz genau aus dem Herzen!!! Vielen Dank dafür – jetzt habe ich auch von pädagogischer Seite her die Bestätigung, dass ich richtig liege!!
Hi, hi, wie gut ich das kenne! Ich musste meinen Sohn täglich eine halbe Stunde VOR dem eigentlichen Aufstehen anfangen zu wecken damit er dann zeitig aufstand! Mittlerweile hat sich das ergeben. Ich helfe heute teilweise noch beim Anziehen! (mittlerweile ist er 12!) Er kann es natürlich selber, aber es ist ein liebgewonnenes Ritual geworden. Er erzählt mir dann schon was ihn beschäftigt.
Auslöser des „Zurückschaltens“ war eine Aussage meines Sohnes; als ich wieder hetzte und sagte mach, mach, du muesch i chindsgi, stand er traurig auf dem Treppenabsatz und sagte; aber mami, e mache jo scho! Das hat mich irgendwie sehr traurig gemacht! Leider ist das Tempo seit dem Chindsgi und bis heute bei jedem Schulgespräch ein Thema! Es darf keine gemütlichen Menschen geben in der heutigen Zeit, das verkraftet das System leider nicht!
Wir können mittlerweile sehr gut damit umgehen, teilweise entschleunigt es auch unser Leben weil wir automatisch schon mehr Zeit einberechnen!
Übrigens haben wir nach der Episode auf dem Treppenabschnitt angefangen den Time Timer zu benutzen, So konnte unser Sohn die Zeit visualisieren und es hat keinen Stress mehr gegeben (für beide Seiten) ,weil er wusste, wenn das rote Feld weg ist, dann muss er parat sein und aus dem Haus gehen!
An sich schöne Ideen – aber kennt das jemand, dass das Kind auf jeden Fall selbst entscheiden möchte, was es anzieht und was in die Brotdose soll? Und die Entscheidung vom Vorabend ist natürlich morgens schon wieder eine völlige Fehlentscheidung…
Das dachte ich auch beim Lesen. Und der Apfel ist dann schon sehr braun und das Brot trocken oder durchgeweicht und und…
Meine sieht dann auch vor Müdigkeit den Stapel Kleidung nicht, stolpert zum Schrank sogar darüber obwohl sie es selbst dort hingelegt hatte. Auch zum Frühstück möchte meine täglich etwas anderes aber das muss auch erst gründlich überlegt werden
Was uns da sehr hilft: keine offenen Fragen stellen. Nicht „Was möchtest du frühstücken?“, denn dann erschlägt die schiere Auswahl. Sondern besser „magst du ein Brot oder Müsli? Brot? Ok, mit Marmelade oder Käse? Marmelade? Ok, mit Erdbeere oder Aprikose?“ Aus die Maus. Nur noch binär, hü oder hott.
Bei der Kleiderfrage handhaben wir es so: ich habe 5 gleiche Boxen gekauft, da legen wir sonntags das Gewand zurecht. 5x Unterwäsche rein, 5x Socken rein, in jede Box dann obendrin ein Oberteil, das sich meine Tochter selbst ausgesucht hat (Vorgabe nur lang oder kurz). Dann hat sie 5 Boxen mit Oberteilen vor sich und braucht sich morgens nur eine davon zu greifen.
Wollte gerade in etwa dasselbe sagen wie Josefine ?
Lieben Dank für diesen Beitrag! Ich lebe genau diese Einstellung: je weniger wir uns vornehmen, desto seltener machen uns Kinder einen Strich durch die Rechnung.
Allerdings habe ich mich in letzter Zeit gefragt, ob das so richtig ist. Und ob ich die Kinder nicht zu sehr verwöhne, indem ich möglichst oft auf ihr Tempo eingehe…. Jetzt fühle ich mich wieder sehr bestärkt in meinem Tun 🙂
Danke auch für die vielen, tollen Tipps zum Lernen und Themen wie „Lob und Tadel“. Ihr seid ganz grosse Klasse und ich habe schon den ein oder anderen wichtigen Tipp erfolgreich umgesetzt!
LG aus München
Mein Sohn ist nun fast 16 Jahre alt und es ist immer noch so. Ich möchte die Verantwortung übergeben, doch die Motivation aufzustehen und vorwärts zu machen, ist sehr klein. Ich muss ihn oft verbal wieder „in den Morgenablauf zurück holen“. Das versuche ich natürlich sehr freundlich, motivierend und geduldig. Aber es zerrt unglaublich an mir. Jedesmal wenn er pünktlich aus dem Haus ist, fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich bin ausgebildete Sozialarbeiterin mit zig Weiterbildungen im Kinder- und Jugendbereich… berate Eltern zu genau den Themen… und zu Hause gerate ich regelmässig an meine Grenzen.
Oh Mann. Ich werde echt nie verstehen, wieso in unserer Gesellschaft dem frühen Aufstehen ein solcher Wert zugemessen wird. Früh gleich gut. Spät gleich böse und faul. Es gibt nunmal Eulen. Die würden ab 9 oder 10 Uhr wesentlich effektiver arbeiten. Aber nein. Schon die kleinsten sollen wohl verinnerlichen: Nur wer morgens um 6 Uhr aufsteht, wird es zu etwas bringen. Es nervt.
Gez.: Eule, Frau einer Eule, Mutter einer Eule.
@Christiane: Du hast so recht. Unsere Kinder müssen um 7:20 in der Schule sein, das heißt wir müssen das Haus um 7:05 verlassen. Für mich und meine große Tochter (9) eine Qual. Da gibt es doch unzählige Studien, die zeigen, dass das nicht gut ist. Und mit einem Schulkind ist man dann regelrecht in Sippenhaft – man kommt aus der Nummer einfach nicht raus. Ich kämpfe regelmäßig mit depressiven Verstimmungen, und es gibt eine ziemlich eindeutige Korrelation mit Schul- und Ferienzeiten. Wenn ich gemütlich aufwachen kann, geht es mir wesentlich besser.
Die meisten Tipps, die oben gegeben werden, funktionieren doch nur, wenn es den Eltern nicht auch so geht …
Und wenn ich das Vesper am Vortag vorbereite, ist es in der Pause zu trocken oder die Marmelade ins Brot eingesogen, die Apfelschnitze schon leicht oxidiert … und dann bringt sie es knallhart wieder mit nach Hause, und ich kann es wegwerfen. Kleider und Schultaschen bereiten wir schon abends vor, das beschleunigt aber wenig, wenn das Kind zwanzig Minuten die Müslischüssel anstarrt. Frühstück weglassen geht aber auch nicht, weil die Kinder dann in der Schule ganze zehn Minuten Frühstückspause haben. Da schafft meine Tochter grad mal ein halbes Brot.
@Helena genau so ist es auch bei uns auch. Ich selbst bin auch schon schlecht gelaunt und übermüdet weil es so früh los geht und ich weiß wie das gleich dann wieder abläuft. Ich versuchte wirklich lange Zeit nett und Verständnisvoll zu sein aber wenn mein Kind (9J.) seit 20 Minuten das Müsli anstarrt und nur ein bisschen gegessen hat und es eigentlich in 5 Minuten schon aus dem Haus soll und natürlich noch nicht angezogen ist und keine Zähne geputzt sind dann werde ich auch aus der Verzweiflung heraus laut und pampig. Erst dann kommt auch Bewegung in meine Tochter weil sie weiß jetzt wird es eng, aber immer erst wenn ich laut werde, ich möchte das aber überhaupt nicht. Ich bin schon oft abends mit ihr zusammen gesessen und habe das Szenario durchgespielt und sie gefragt was man verbessern könnte. Sie verspricht dann immer etwas besser mit zu arbeiten aber am nächsten Tag hat sie es dann schon wieder vergessen