Mit anderen Menschen über „Erziehung“ sprechen

Wir kennen es alle: Die Familienfeier, auf der auf einmal das Thema schwenkt auf die „fehlende Erziehung“ der Enkelkinder/Nichten/Neffen, der Spielplatz, auf dem fremde Eltern auf einmal anmerken, „bei ihnen gibt es ja sowas nicht“. Erziehung ist ein Thema, über das diskutiert wird – und manchmal sogar gestritten. Während es uns bei Fremden manchmal leichter fällt, unsere eigene Haltung darzulegen und sich dabei gut zu fühlen, ist das bei der eigenen Familie oder im Bekanntenkreis schon schwerer. Wie aber kommen Eltern nun gut durch solche Gespräche?

Die neue Rolle als Eltern finden, ist nicht immer einfach

Gerade am Anfang des Elternseins ist es schwer, in die neue Rolle zu finden: Nicht mehr das Kind zu sein, das den eigenen Eltern folgt und ihre Ratschläge annimmt, sondern eine eigene kleine Familie haben, für die die eigenen Leitsterne gelten, die sich manchmal unterscheiden von dem, was selbst erfahren wurde als Kind. Schnell passiert es, dass bei Familienzusammenkünften das Gefühl entsteht, unter beobachteten Augen zu stehen und sich Eltern verunsichert fühlen. Manches Mal kommen auch Empfehlungen und Belehrungen dazu oder es entsteht eine Diskussion darum, warum nun alles anders gemacht wird, schließlich sei doch früher alles auch gut gelaufen.

Manche Großeltern oder andere Familienmitglieder lassen sich leichter auf neue Ansätze ein, andere schwerer. Manchmal gibt es auch solche, die gar nicht erst überzeugt werden müssen, weil sie von sich aus auch schon ähnlich mit ihren Kindern gelebt haben. Und dann gibt es Menschen, auf die wir treffen, die in ihren Ansätzen und Meinungen nicht nachgiebig sind. Es ist schwer, in solchen Situationen entspannt und bei den eigenen Grundsätzen zu bleiben.

9 Tipps für gute Gespräche

Um weniger verunsichert zu sein bei solchen Gesprächen, gibt es einige Punkte, die wir vorbereiten können, um uns in solchen Gesprächen sicherer zu fühlen.

  • Klarheit über die Erwartungen: In Diskussionen haben wir nicht selten die Vorstellung oder den Wunsch, dass wir die andere Person davon überzeugen, dass wir richtig liegen und sie falsch. Allerdings werden wohl die wenigsten Familienangehörigen/Großeltern auf einmal sagen: „Ach so, stimmt. Das war damals alles nicht so gut, ab jetzt machen wir es anders.“ Fundamentale Änderungen setzen eine Auseinandersetzung mit der (oft schmerzhaften) eigenen Vergangenheit voraus, die oft Zeit braucht. Erwarten wir also gar nicht erst, in einem einzelnen Gespräch eine Meinung grundlegend zu ändern. Wir können einen Samen sähen, ein Bewusstsein öffnen – vielleicht. Ansonsten stellen wir dar, dass wir einen anderen Standpunkt haben, den es zu akzeptieren gilt.
  • Emotionen nicht das Gespräch führen lassen: In Erziehungsfragen wird es schnell emotional. Denn wenn wir darüber sprechen, was wir heute warum anders machen, sprechen wir indirekt auch darüber, was uns vielleicht verletzt hat, was wir nicht gut fanden. Doch im Hier und Jetzt soll es eigentlich nicht um die eigenen Verletzungen gehen (obwohl auch das ein wichtiges Thema ist, das in Ruhe besprochen werden kann), sondern um die aktuelle Situation mit den eigenen Kindern. Daher: Die eigenen Verletzungen kennen, aber in diesem Gespräch trennen von dem, worum es aktuell geht.
  • Wohlwollen anderen gegenüber: Auch unsere Eltern wollten das Beste für uns – nur waren die Wege aus ihrer Sicht anders. Vorwürfe sind in solchen Diskussionen nicht zielführend. Gehen wir lieber davon aus, dass die Person ein gutes Ansinnen hat (schließlich möchte unser Gegenüber auch das Beste für dieses Kind jetzt – und weiß nicht, dass dahin vielleicht ein anderer Weg führt als der bislang bekannte).
  • Verständnis: Argument gegen Argument bringt uns nicht voran. Was uns aber voran bringen kann, wenn unterschiedliche Meinungen aufeinander treffen, ist das Nachfragen, damit wir die Beweggründe unseres Gegenüber besser verstehen: „Warum gehst du davon aus?“ „Warum denkst du das?“ „Interessanter Gedanke, erzähl mir mir davon, was dich dazu bewegt.“ Oder auch: „Interessant, verstehe ich Dich richtig, dass…“
  • Auf Basis der Gleichheit argumentieren: Wenn wir die Beweggründe unseres Gegenüber kennen, werden wir wahrscheinlich darin Punkte finden, die auch uns bewegen. Diese können wir aufgreifen und dann unsere Erkenntnisse damit verbinden: „Du möchtest auch, dass [das Kind] es leicht hat im Leben, so geht es mir auch. Und deswegen machen wir xy, weil die Forschung heute gezeigt hat, dass Kinder, die xy aufwachsen…“
  • Themenzentriert bleiben: Gerade in Diskussionen um Erziehung passiert es schnell, dass generalisiert wird. „Ja, wo kommen wir denn hin, wenn alle Kinder…“ oder „Wir sehen ja an der Jugend heute, dass…“ Aber darüber sprechen wir aktuell gar nicht. Wir sprechen jetzt gerade hier über dieses Kind, über diese Familie und diese Situation.
  • Ich-Botschaften verwenden: Sprich über dich und das, was du empfindest. Im Gegensatz zu Du-Botschaften werden diese Äußerungen weniger als Kritik empfunden, daher muss sich die andere Person nicht verteidigen, sondern erfährt etwas von der Gefühlswelt der sprechenden Person.
  • Fachwissen haben: Eltern müssen keine Psychologen oder Pädagogen sein. Dennoch ist es hilfreich in Diskussionen mit anderen, einige gute Studien oder Facherkenntnisse aufführen zu können, warum das, wie man es anders macht, nicht nur „moderner Schnickschnack“ ist, sondern tatsächlich Hand und Fuß hat. Ein paar Studien zum Schlafen von Babys und Kleinkindern, Fakten zum Stillen bzw. warum eine Beziehung auch gut sein kann ohne Stillen, Erkenntnisse aus der Hirnforschung zum Thema „Trotzphase“ geben eine solide Basis.
  • Sicherheit: Jede Familie darf ihren eigenen Weg gehen, um gemeinsam zu wachsen. – Und du gehst mit deiner Familie den Weg, der genau zu euch passt. Niemand kennt euer Kind so gut wie ihr. Niemand kennt eure Familiendynamik so gut wie ihr. Ihr geht den Weg, der für euch richtig ist. – Sich das immer wieder zu sagen oder vielleicht sogar als Erinnerungszettel an den Spiegel zu hängen, ist gut.

Mit diesen Hinweisen kannst du ein wenig entspannter in Familienfeiern und andere Diskussionen starten. Lass dich nicht verunsichern und bleib bei dem, was dir wichtig ist.
Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur:
Mierau, Susanne (2018): Rundum geborgen …weil es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind großzuziehen. München: Kösel
Rosenberg, Marshall B. (2016): Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. – Paderborn: Junfermann Verlag.
v. Kempis, Franzi (2019): Anleitung zum Widerspruch. Klare Antworten auf populistische Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien. – München: Mosaik Verlag.

3 Kommentare

  1. Das ist ein wirklich schwieriges und wichtiges Thema. Danke für den Artikel und die vielen guten Tipps. Über etwas zerbreche ich mir schon lange den Kopf: Wenn die Großeltern da sind und dann doch etwas machen, das für uns Eltern gar nicht geht (z.B. Kind beschämen oder tadeln, schimpfen), wie soll man dann reagieren? Das ist für mich das Schwierigste, weil man sich ja auf die Seite der Kinder stellen muss, wenn es eine solche Grenzüberschreitung gibt. Aber dann fühlen sich die Großeltern sofort stark kritisiert oder unrecht behandelt. Ich muss da so oft „Stopp“ sagen und die Kinder in Schutz nehmen, aber das ist so schwierig, hier einfühlsam zu sein. Auch macht es mich wahnsinnig, dass ich mit verschiedenen Erklärungsversuchen über unsere „Erziehung“ bisher auf taube Ohren gestoßen bin. Vielleicht verschenke ich einfach endlich mal Dein Buch!

    • Ja, das finde ich auch schwierig, vor allem, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Kind in dieser Situation hilflos ist und ich reagieren muss. Mache ich dann aber auch und erkläre dann, ähnlich wie im Text beschrieben, WARUM ich es so mache und nicht anders. Wenn es sich um kleinere Verfehlungen handelt, hilft auch Humor… Z.B. „Hast du dir denn heute schon die Zähne geputzt, Oma?!“ wenn sie mein Kind damit öffentlich „bloß stellt“…

  2. Interessanter Artikel. Ich hatte letztens ein Schlüsselerlebnis, als ich ein Familienwochenende u.a. mit meinen Bruder, meiner Schwägerin und Babynichte verbrachte. Ständig dachte ich: Nein, das kann doch nicht sein. Mit fünf Monaten SO viel Brei? Das haben meine mit einem Jahr noch lange nicht gegessen … Oder: Macht man das nicht so und so? Sollte man nicht lieber …
    Ich habe natürlich nichts gesagt. Und was war? Natürlich lag ich immer falsch.
    Es ist eben erstens doch meist so, dass die Eltern ihr Kind am besten kennen. Weil sie schon als Babys so unterschiedlich sind.
    Und zweitens lösen kleine Babys ein Hilfs- und Beteiligungsbedürfnis aus, das wirklich krass ist. Gerade im Familienkreis. Da müssen echt Urinstinkte angesprochen sein.
    Alles Liebe und entspannte Familientreffen wünsche ich!

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