Dein geschützter Raum für die Geburt

Auch wenn wir es manchmal anders lesen: Es gibt nicht den einen perfekten Raum für die Geburt. Dafür sind wir alle zu unterschiedlich, unsere Lebensbedingungen unterscheiden sich, unsere Bedürfnisse unterscheiden sich. Was mir persönlich wichtig ist, damit ich mich sicher und wohl fühle, kann etwas ganz anderes sein als das, womit du dich wohl und sicher fühlst. Und noch mehr: Es kann sich auch von Geburt zu Geburt bei einer Person verändern.

Wohl und sicher

„Wohl und sicher“ sind genau die Rahmenbedingungen, die wir brauchen. Gebärende sollten sich bei der Geburt wohl und sicher fühlen. Welche Faktoren dabei Wohlbefinden oder ein Gefühl von Sicherheit auslösen, ist unterschiedlich: Während Sicherheit für einige darin besteht, ein Netzwerk an moderner Medizin im Hintergrund zu wissen, ist es für andere ausreichend, auf das Können der Hebamme zu vertrauen. Für wieder andere Gebärende kann der Sicherheitsbegriff noch einmal anders gefasst sein und es ist von noch größerer Bedeutung, nur vertraute Personen um sich zu haben und genaue Absprachen in Bezug auf Eingriffe zu treffen.

Wir alle bringen unsere eigene Geschichte, unsere eigenen Erfahrungen zur Geburt mit und für jede Gebärende können die Rahmenbedingungen daher variieren, die das Gefühl von Sicherheit herstellen. Auch wie wir mit Schmerz umgehen, wie wir Schmerz wahrnehmen, unterscheidet sich – und somit auch der Umstand, wie wir bei der Geburt eventuell damit umgehen oder unterstützt werden (müssen). Unsere eigene Vergangenheit beeinflusst uns auch unter der Geburt und bei manchen Gebärenden kann die Angst vor dem Schmerz oder Geburt auch so groß sein, dass Sicherheit für sie bedeutet, sich diesen Gefühlen nicht auszuliefern. Als Außenstehende können wir nicht beurteilen, was sich für einen anderen Menschen wie anfühlen sollte. Wir sollten akzeptieren, dass jeder Mensch anders ist, anders fühlen kann, Bedürfnisse in einer anderen Ausprägung hat.

Wichtig in Bezug auf Wohlbefinden und Sicherheit sind auch die Menschen, die die Geburt begleiten: Der französische Gynäkologe Michel Odent spricht in seinem Buch „Die Natur des Orgasmus“ sogar davon, dass Angstgefühle übertragen werden können und Menschen mit einem hohen Adrenalinspiegel in der Nähe einer Gebärenden dazu führen, dass auch bei ihr der Adrenalinspiegel ansteigen kann. – Wir müssen uns sicher fühlen bei der Geburt und in guten Händen.

Fühlen wir uns sicher und geschützt bei der Geburt, wird auch das Hormon Oxytozin ausgeschüttet, das nicht nur die Kontraktionen der Gebärmutter verursacht, sondern auch die Schmerzgrenze hebt und Mut gibt. Es entsteht also ein Kreislauf der Unterstützung, wenn wir uns sicher fühlen. Positiv auf die Ausschüttung dieses Hormons wirken sich auch Wärme, Ruhe und Abgeschiedenheit aus.

Den geschützen Raum herstellen

Wärme, Ruhe, Abgeschiedenheit, Vertrauen – diese Rahmenbedingungen sind in der aktuellen Situation um die Geburtshilfe schwer zu finden. Die außerklinische Geburtshilfe ist stark zurück gegangen, in den Kliniken unterliegen Geburten ebenfalls Personalmangel (insbesondere Hebammenmangel) und Klinikroutinen. Gebärende benötigen aber dennoch den geschützten Raum der Geburt, um Problemen vorzubeugen, die als traumatisch erlebte Geburten nach sich ziehen. Aktuell setzen sich dafür Vereine wie motherhood e.V. ein und auch der Roses Revolution Day macht jedes Jahr aufmerksam darauf, woran es aktuell mangelt. Und dennoch besteht dieser Mangel weiterhin und wir können nur versuchen, in diesem Mangel es so angenehm wie möglich zu machen.

Zunächst einmal ist daher wichtig, für sich selbst zu bestimmen: Was bedeutet für mich Sicherheit und Wohlbefinden? Welche Faktoren müssen für mich erfüllt werden? Dabei ist es nicht wichtig, welche Entscheidungen andere Gebärende aus Familie, Freundeskreis oder Geburtsvorbereitungskurs getroffen haben, sondern was ganz individuell ein Gefühl von Sicherheit gibt: Wer sich für eine außerklinische Geburt entscheidet, nur weil das andere gemacht haben, sich dabei aber nicht wohl fühlt, tut sich selbst keinen Gefallen – und andersrum. Nur du kannst entscheiden, ob du dich wohl fühlst zu Hause, im Geburtshaus, in einer „normalen“ Geburtsklinik oder einer Klinik mit Perinatalzentrum. Einfluss auf die Entscheidung nehmen natürlich auch Schwangerschaftsverlauf und eventuelle Diagnosen.

Nachdem die grundlegenden Fragen nach dem individuellen Sicherheits- und Wohlbefindensgefühl geklärt sind, kann dann im zweiten Schritt betrachtet werden, wie an dem ausgewählten Ort in besonderer Weise dafür gesorgt werden kann: Eine außerklinische Geburt wird von einer freien Hebamme begleitet. Wie sieht es aber in der Klinik aus: Gibt es Beleg-Hebammen? Wie ist die Versorgungssituation vor Ort: Brauche ich vielleicht neben Geburtspartner*in noch eine weitere vertraute Person, die vor Ort ist, damit sich diese privaten Geburtsbegleiter*innen abwechseln können und die Gebärende nicht allein ist? Das Verlassenheitsgefühl ist es oft, das Gebärende als sehr belastend unter der Geburt erleben. Welche sonstigen Rahmenbedingungen können für ein persönliches Sicherheitsgefühl und Wohlbefinden sorgen: Gibt es Musik, Kuschelkissen, Kuscheldecken, Düfte, Teesorten, Essen,… die sich positiv auswirken könnten? Es erscheint uns rational vielleicht absurd, zur Geburt mit solchen Dingen zu kommen, aber hier, an diesem Tag und zu dieser Zeit zählt, dass sich die Gebärende wirklich wohl und sicher fühlt. Und wenn dafür der alte Kuschelteddy dabei sein muss, dann ist das so. Unbedingt von Vorteil ist auch, wenn die begleitende(n) Person(en) sicher sind: gut informiert über die Geburt, weil sie selbst an einem Geburtsvorberitungskurs teilgenommen haben, gut selbst versorgt mit Nahrungsmitteln und darum wissend, dass auch sie mal eine Pause brauchen und sich nehmen können. Wir können auch schon vorsorgen für die Zeit nach der Geburt: Zu Hause das Nest einrichten, in dem sich die Familie finden kann. Familie und Freunde informieren, womit sie uns nach Geburt unterstützen dürfen: vom Bekochen/Bebacken über Aufräumhilfe bis Babysitting von Geschwisterkindern. Sollte es Probleme mit dem Stillen geben, schon vorab die Liste an Stillberaterinnen zur Verfügung haben, die in der Nähe sind. Wissen, ob Kinderarzt/Kinderärztin die erste U-Untersuchung auch zu Hause durchführt. – Auch solche Vorarbeiten können Sicherheit vermitteln.

Mit diesen Überlegungen können wir versuchen, einen guten Raum für die Geburt herzustellen. Nicht immer beugen diese Rahmenbedingungen Eingriffen vor oder können die so genannte Interventionskaskade verhindern. Es liegt nicht alles in unserer Hand – auch das sollten wir vorab wissen. Wenn es anders läuft, ist das nicht deine Schuld. Manchmal verläuft die Geburt ganz anders als geplant. Manchmal ist der Start ins Elternleben anders als geplant – und dennoch kann auf so viele verschiedenen Arten eine gute, sichere Beziehung zwischen Eltern und Kind hergestellt werden. Aber es gibt nicht per se ein „besser“ oder „schlechter“ in Bezug auf den Geburtsort. Richtig ist zunächst das, wo du dich ganz persönlich geschützt, begleitet und umsorgt fühlst in qualifizierten Händen und unter Berücksichtigung deiner individuellen Bedürfnisse.

Eure

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