Immer wieder reden wir davon, wie wichtig es ist, dass unsere Kinder selbstbewusst sind und für sich und ihre Bedürfnisse einstehen. Immer wieder sprechen wir über Würde und Anerkennung und dass wir Kinder brauchen, die für Werte einstehen und sie als Erwachsene leben. Wie wichtig Akzeptanz, Kreativität, Liebe, Verständnis und Achtung anderem Leben gegenüber ist. Aber nicht selten denken wir, dass das eben aus den Kindern kommen müsste. Die Jugend muss das so umsetzen, diese Werte. Aber unsere Kinder und „die Jugend“ kann nur das umsetzen, was sie selbst verinnerlicht hat. Und dafür ist es wichtig, was wir unseren Kindern über sich selbst vermitteln.
Es sind die kleinen Dinge im Alltag, die sich in uns festsetzen, die ein Bild davon prägen, wie wir sind, wie unser Verhältnis zur Umwelt ist. Unsere und die Entwicklung unserer Kinder findet im Alltag statt: Mit welchen Herausforderungen schaffen wir es, wie um zugehen. Was ist uns erlaubt, was ist verboten – und warum?
Schauen wir auf ein paar Alltagssituationen
Es gibt viele Beispiele, wie sich das Selbstbild des Kindes ausbildet: Stolpert ein Kind häufig, können wir es fragen, ob die Schuhe zu klein sind oder zu groß. Oder wir erklären: Du bist gerade gewachsen und du musst dich erst wieder an deine neuen Körpermaße gewöhnen. Das Kind erfährt: Es gibt Gründe, warum mir das passiert und wir können sie beheben oder damit umgehen. Oder aber wir heben hervor, dass das Kind immer tollpatschig ist und richten unser Augenmerk auch zukünftig darauf, verdrehen beim Stolpern und Fallenlassen die Augen. Das Kind wird verinnerlichen, dass es tollpatschig ist und das auch zukünftig so annehmen. Es wird zum Teil des Selbstbildes.
Das Mädchen, das gerne mit dem Schnitzmesser umgehen möchte, kann einfach am Schnitzen teilnehmen. Vielleicht verletzt es sich einmal wie alle anderen Kinder auch. Wir erklären, dass das völlig normal ist und allen so geht. Mit etwas Übung wird das aber bei allen besser. Oder wir erklären, dass das nichts für Mädchen sei und sie deswegen eben nicht schnitzen könnte. Sie wird ein Bild von sich ausbilden (in Verbindung mit anderen ähnlichen Erfahrungen), dass sie aufgrund ihres Geschlechts für bestimmte Tätigkeiten nicht geeignet sei.
Der Junge, der malt und malt und malt. Immer wieder das gleiche Bild, wie viele Kinder in dem Alter es tun. Wir können das Bild ansehen und fragen, was er malt. Sagen, dass das anscheinend ein wirklich wichtiges Thema für ihn ist und danach fragen, warum. Er merkt, dass wir unsere Aufmerksamkeit teilen und Interesse haben an seinem kreativen Werk. Oder wir sagen, dass das nicht besonders einfallsreich ist, immer das gleiche Motiv zu malen. Und man könne kaum etwas erkennen. Macht er die Erfahrung öfter, verinnerlicht er, dass er nicht kreativ ist. Wahrscheinlich wird er weniger malen.
Unsere Zuschreibungen bestimmen ihr Selbstbild
Tollpatsch, Logiker, Emotionale, „typisch“ Mädchen, „typisch“ Junge – wir prägen die Bilder, die unsere Kinder sich von sich machen mit unserem Verhalten im Alltag. Ob unsere Kinder ein gutes Bild von sich selbst verinnerlichen, hängt im Wesentlichen auch davon ab, welche Erfahrungen sie mit uns machen.
Wenn wir unseren Kindern Verletzlichkeit und Ängste nicht zugestehen, müssen sie stark sein und verinnerlichen, dass sie Schwäche nicht zeigen dürfen – und später auch bei anderen nicht anerkennen. Wenn wir unseren Kindern heute kein Gefühl für ihren eigenen Körper erlauben und ihnen immerzu erklären, wann sie Hunger oder Durst haben und wann sie auf Toilette müssen, können sie kein gutes Körpergefühl entwickeln und es fällt ihnen auch später schwer, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen.
Statt Zuschreibungen: Anerkennung und Unterstützung
Was unsere Kinder brauchen ist, dass wir sie beobachten und annehmen, wie sie sind, mit ihren Interessen und Gefühlen. Sie spüren die breite Palette der Emotionen und wir können sie dabei begleiten, anstatt zu erklären, dass manche Gefühl nicht gefühlt werden sollten. Wo sollen sie denn sonst hin? Unsere Kinder sind nicht wir, sie setzen nicht unser Leben fort und müssen nicht unsere Interessen teilen. Wir wählen nicht den Weg für sie aus, sondern begleiten sie auf dem Weg, der zu ihren Möglichkeiten, Bedürfnissen und ihrem Temperament passt. Wir beschämen sie nicht, sondern ermutigen sie. Wir bestrafen nicht, sondern finden gemeinsam Lösungen. Wir leben nicht gegeneinander, sondern miteinander.
Und so wird es dann auch etwas mit den Werten, denn sie sind mit diesen Werten aufgewachsen, haben sie selbst gefühlt und verinnerlicht und können sie dann weiter geben. Es beginnt und endet damit, wie wir miteinander umgehen: im Kleinen und Großen.
Eure
Es gibt Sätze, die treffen einen und man weiß, da ist genau der wunde Punkt aus der eigenen Kindheit: „Gefühle, die nicht gefühlt werden sollten“ z. B., oder: „Wir wählen nicht den Weg für sie aus.“ Auch ohne das aufzuarbeiten, weiß ich, dass ich diese Fehler nicht mache und dieses Negative nicht weitergebe. Aber es ist schwer, sich selbst kein Bild vom eigenen Kind zu machen, sondern es sich verändern zu lassen. Eben noch war die Große bei Fremden oft schüchtern, der Kleine völlig unbefangen, nun springt sie durch die Partymenschenmenge und der Kleine zieht sich lieber in sein Zimmer zurück. Die Welt wird ständig komplexer für die Kinder, ihr Charakter auch und sie finden immer wieder neu heraus, wer und wie sie sein wollen. Eine hübsche Prinzessin im langen Kleid? Ein starkes, sportliches Mädchen, das schneller rennt als die Jungs und keine Kleider mehr trägt, weil man damit nicht gut laufen kann? Eine kluge Detektivin und Forscherin? Eine Schriftstellerin, die ein Buch veröffentlichen möchte? Ich merke, wie gut es tut, das alles zu beobachten und zu bestätigen, wie toll das ist. Alles davon. Und dass sie sich nicht festlegen muss und auch nichts von anderen einreden lassen muss. Genauso wie der Kleine gerade nicht mutig sein muss, nur weil er ein Junge ist. Es wird schwieriger, je mehr die Reaktionen von anderen anfangen eine Rolle zu spielen.
Wow, das ist gerade wieder ein Augenöffner genau zur richtigen Zeit! Meine 6jährige habe ich heute als Trantüte bezeichnet, zum Glück nur meinem Mann und nicht ihr selbst gegenüber. Das ist nicht, was sie über sich verinnerlichen soll, und sie soll auch keine genervte augenrollende Mama haben. Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag!
Danke für diesen wertvollen Artikel , dennoch gibt es bei uns Situationen in denen wir erklärend eingreifen bzw. Erinnern wie z.B. an Toilettengang vor dem schlafen gehen oder an genug Trinken da sonst Verdauungprobleme…