Der Winter in Deutschland kann ganz schön lang sein. Gerade dann, wenn der Spaß mit
Schnee und Eis vorüber ist und der Frühling trotzdem noch so lange auf sich warten lässt. Von vielen Eltern habe ich in den letzten Tagen Nachrichten gelesen, dass die Kinder gerade so ungern nach draußen gehen. Gleichzeitig tut es der Familie gut, wenn sich die Kinder an der frischen Luft austoben können und alle einmal tief durchatmen können.
In der Wildnispädagogik gibt es den Ansatz, jeden Tag eine Frage mit nach draußen zu nehmen. Diese Frage bildet den Kern des Naturaufenthalts und soll dazu anregen, die Aufmerksamkeit bei jedem Mal auf unterschiedliche Aspekte der Natur zu lenken. Auch in dieser scheinbar unspektakulären Zwischen-Jahreszeit im Februar und März, in der der kalte Winter schon vorüber ist, aber der Frühling noch auf sich warten lässt, gibt es einige Fragen, denen man nachgehen kann. In der Natur gibt es nämlich schon einiges zu entdecken.
Schlafen Knospen im Familienbett oder alleine?
Die heutige Frage, der dieser Artikel nachforscht, lautet: Was machen die Blätter und Blüten der Bäume im Winter?
Wer die Äste der Bäume genauer ansieht, entdeckt sie: Sie halten Winterschlaf, sind dick
eingemuckelt und fest eingepackt, damit Kälte und Frost ihnen keinen Schaden zufügen.
Ihre Betten sind mal lang und schmal, mal kurz und knollig. Die Einen schlafen zu mehreren in gewissen Abstand nebeneinander, andere drängen sich dicht an dicht und wärmen sich wie Pinguine in einer Kolonie. Andere schlafen lieber alleine, brauchen mehr Platz und teilen nicht gerne.
Knospen drängen sich nicht auf. Sie zu entdecken vermag nur der, der mit offenen Augen durch die Natur läuft. Erst wenn die Blätter austreiben und ihr Knospenbett verlassen, bemerken die meisten Menschen: Oh, der Frühling ist da! Eure Kinder können dieses Jahr einen Schritt voraus sein. Mit eurer Anleitung können sie die Zauberwelt der Knospen entdecken und kennenlernen. Denn zauberhaft ist die Welt der Blätter und Blüten im Winterschlaf wirklich. Ihr wisst bestimmt, wie groß so ein Kastanienblatt im Sommer mal sein wird, oder? Und vielleicht habt ihr auch ein Bild von den riesigen weißen Blütenständen der Kastanie vor Augen, an denen sich im Sommer die Hummeln und Bienen tummeln. All das ist in den Knospen bereits vorbereitet. Jetzt ist eine Kastanienknospe nicht unbedingt die kleinste aller Knospen. Aber dennoch finde ich es so erstaunlich und be-wunder-nswert, dass all diese Anlagen bereits in den vielen Schuppen der Knospe vorhanden sind und ihren Winterschlaf halten, bis ihre Zeit gekommen ist.
Äste zum Sammeln schneiden
Auf Knospen-suche zu gehen bedarf keiner besonderen Vorbereitung. Dort, wo es Laubbäume gibt, gibt es auch Knospen. Ihr könnt also eure ganz gewöhnliche Spazierroute wählen und sie neu entdecken. Geht mit den Kindern los und erzählt ihnen vorher eine kurze Geschichte über den Winterschlaf der Blätter. Wie sie sich warm eingepackt in ihre Betten gekuschelt haben, um auf den Frühling zu warten. Und wie jede Baumart ein anderes Bettchen für seine Blätter vorbereitet hat.
Mit einer Gartenschere ausgerüstet, könnt ihr verschiedene Äste sammeln. Mit solchen Aussagen bin ich vorsichtig, denn als studierte Naturschützerin (ihr schmunzelt vielleicht, aber das kann man tatsächlich studieren), weiß ich natürlich, dass das Ausreißen von Pflanzen und Pflanzenteilen in vielen Fällen nicht erlaubt ist. Ich bin aber der Meinung, dass Natur für Kinder etwas be-greifbares sein muss. Sie müssen durch einen Wald laufen dürfen, um zu begreifen, was ein Wald ist. Sie müssen einen Ast fühlen, anfassen, auch damit auf den Boden schlagen dürfen, die Rinde abpulen und ihn schnitzen dürfen, um ihn zu be-greifen. Man kann nur dann eine Verbindung mit der Natur aufbauen, wenn man sie begreifen darf. Deshalb denke ich, es ist viel mehr gewonnen, wenn ihr ein paar Äste abschneidet und sie zum Sammeln mit nach Hause nehmt, als wenn die Kinder einmal auf den Ast schauen und beim zweiten schon gelangweilt nach Hause wollen. Sammeln ist immer eine gute Idee mit Kindern; und wir brauchen die Äste für unsere Nachbereitung der Knospenwelt zu Hause.
Welche Knospen zu welchen Tieren?
Die gesammelten Äste (ihr braucht pro Baumart eigentlich nur einen) werden zuhause nebeneinander auf dem Tisch ausgebreitet. So nebeneinander aufgereiht sieht man die
Unterschiede der verschiedenen Knospen besonders gut. Je nach Altersgruppe kann mit unterschiedlichen Ansätzen an die Knospen herangegangen werden.
Kleine Kinder können die Knospen mit Tiergruppen vergleichen, so wie ich es oben getan habe. Beispiele: Die Knospen der Kirschen stehen so dicht gedrängt wie Pinguine in einer Kolonie. Die Kastanienknospe schläft lieber alleine, sie thront groß am Ende des Zweiges und ist furchtbar klebrig. Da kann man sich die Frage stellen, warum sie so klebrig ist: Weil sie Besucher damit abschrecken will? Oder weil sie eigentlich gar nicht so gerne alleine schläft und gerne jemanden bei sich hätte?
Eine andere Idee ist das Lesen von Emotionen und Gesichtern in den Knospen. So sehen
die Knospen von Walnuss und Esche wie breit grinsende Gesichter aus. Der Essigbaum ist dicht behaart, sein Ast fühlt sich an wie von einem dichten Winterfell überzogen. Seine Knospenbetten sind besonders kuschelig. Für den Anfang ist es nicht wichtig, welcher Ast zu welcher Baumart gehört. Einen spielerischer Zugang zu ermöglichen, macht den Kindern viel mehr Freude an der Sache. Und für die, die es genauer wissen wollen, gibt es jede Menge Bestimmungsliteratur im Netz.
Die gesammelten Materialien zum Basteln und Lernen verwenden
Außerdem können die Äste nach dem Begutachten noch für weitere Aktivitäten genutzt werden: Auf Papier dienen sie als Schablonen beim Malen. Die Kinder können dann auf dem Bild den Frühling bereits willkommen heißen und Blüten und Blätter an die Äste malen.
Und wer wissen will, was er sich da alles ins Haus geholt hat, stellt die Äste ins Wasser auf die Fensterbank. Jetzt habt ihr ein kleines Forschungslabor im Wohnzimmer. Innerhalb der nächsten Tage und Wochen können die Knospen beobachtet werden: Welche Schuppenschicht öffnet sich zuerst, welches Blatt spitzt heraus? Zusammen mit den Blättern lassen sich dann auch die Baumarten leichter bestimmen.
Wer den Kindern Materialien zur Verfügung stellt, mit ihnen in die Bibliothek zum Ausleihen von (kindgerechten) Naturführern geht oder im Internet die ein oder andere Quelle bereit stellt, gibt ihnen die Möglichkeit ihre Neugierde zu vertiefen. Als ersten Schritt jedoch müssen sie gepackt werden von den kleinen Wundern der Natur. Denn mit der vielen möglichen Ablenkung heutzutage durch die neuen Medien, die scheinbar viel größere Wunder am laufenden Band liefern, hat die Natur einen schweren Stand.
Es liegt an uns Eltern, den Kindern die kleinen Wunder des wahren Lebens zu zeigen.
Dafür müssen wir selbst sie wieder sehen lernen. Dieser Frühlingsbeginn ist ein guter
Zeitpunkt dafür.
Veronika hat Biologie, Naturschutz und Landschaftsplanung studiert und ist Mutter einer Tochter. In ihrer Kolumne „Naturorientiertes Aufwachsen“ berichtet sie von Wegen, auf denen Kindern die Liebe und der Respekt zur Natur als Samenkorn mitgegeben werden können. Mehr über Veronikas Arbeit und ihre aktuellen Texte zu grünen Themen findet ihr auf ihrer Homepage, Instagram oder Twitter.