Tag: 18. Juli 2018

Manchmal läuft es nicht rund – Ist das schlimm?

„Ich kann nicht immer…“, „Heute habe ich es nicht geschafft…“, „Gerade geht es mir nicht so gut, dass ich immer…“ Diese Sätze höre ich immer wieder und sage sie auch selbst. Manchmal schaffe ich es nicht, die Bedürfnisse meiner Kinder ausgewogen wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Manchmal übersehe ich Bedürfnisse, manchmal beantworte ich Bedürfnisse nicht richtig. Und manchmal mache ich es auch falsch, obwohl ich es eigentlich besser weiß, weil ich gerade nicht anders kann, weil meine Energiereserven nicht mehr ausreichen und Handlungsmuster in Stresssituationen frei werden, die ich aus meiner eigenen Kindheit verinnerlicht habe.

„Manchmal“, „gerade“ und „heute“ sind nicht immer

In der Erkenntnis des „Falschmachens“ schwingt oft ein Bedauern mit. Und das ist auch gut, denn wenn wir wahrnehmen, dass gerade etwas schief läuft in der Beziehung zum Kind, dann bedeutet es auch, dass wir es eigentlich richtig wissen – oder wissen, dass es so jedenfalls nicht richtig ist. Wenn wir sagen „gerade“, „heute“, „momentan“, dann bedeutet das: Jetzt gerade, aber es gibt auch andere Tage. Das ist es, an dem wir uns festhalten können und sollten: Es gibt andere Tage. Wir wissen ja, dass es gerade schlecht läuft und sonst anders. Und oft formulieren wir auch die Gründe, warum es gerade nicht rund läuft: „Ich kann gerade nicht so sensibel sein, weil ich so gestresst bin“. Oft können wir direkt formulieren, woran es gerade hapert, warum es gerade schwer ist. 

Stress führt oft zu negativem Verhalten – in der Beziehung zu unseren Kindern, wie auch in anderen sozialen Interaktionen.

Dies eröffnet uns den Blick darauf, was wir ändern können, damit es wieder besser geht. Wir wissen: Stress führt oft zu negativem Verhalten – in der Beziehung zu unseren Kindern, wie auch in anderen sozialen Interaktionen. Es gilt, genau diesen Stress zu vermeiden langfristig. Wir hören unsere Worte, wir fühlen das Bedauern. Manchmal ist es aber schwer, die Situation zu ändern – zumindest kurzfristig, um wieder auf den ursprünglichen Weg zu kommen. Dann müssen wir uns nach Hilfen und Unterstützung umsehen, um Situationen langfristig ändern zu können. Wir brauchen Entlastung – denn ja: Familien sind einfach oft überlastet mit zu vielen Aufgaben und zu vielen Bedürfnissen, um die sich nur ein oder zwei Erwachsene kümmern.

Die Reaktion unserer Kinder als Zeichen

„… und dann ist auch noch mein Kind…“ Wenn es uns nicht gut geht und wir wenig Einfühlungsvermögen haben und wenig auf die Bedürfnisse unserer Kinder eingehen können, zeigen sie uns das oft direkt in ihrem Verhalten: es entstehen negative Kreisläufe. Das Kind zeigt uns, dass es mit der Art, wie wir mit ihm umgehen, nicht zufrieden ist und reagiert auf seine Weise empört. Vielleicht, indem es besonders anhänglich ist und besonders Kuscheleinheiten einfordert, um sich unserer wieder sicher zu sein. Vielleicht auch mit Wut, weil es verärgert ist über unser Eingreifen, über unsere ruppige Art. Wenn wir gestresst sind, schnell machen wollen und unserem Kleinkind nicht die Möglichkeit geben, selbst aktiv zu sein, wird es verärgert und wütend reagieren, weil sein Bedürfnis nach Selbständigkeit übergangen wird. Vielleicht reagiert unser größeres Kind auch mit Rückzug und Abwehr, wenn es ausdrücken möchte, dass diese Situation nicht in Ordnung ist. Wie es reagiert, ist abhängig vom Alter und auch Temperament des Kindes und der jeweiligen Situation. Und auch wenn es uns zunächst noch mehr stresst, ist es gut, denn das Verhalten unseres Kindes kann ein Zeichen sein und wenn wir unsere Kinder als „anstrengend“ wahrnehmen, können wir uns fragen, ob es vielleicht auch etwas mit uns zu tun hat.

Bedauern aber nicht Gram

Es ist gut, wenn wir unser Verhalten bedauern und reflektieren. Es ist gut, sich beim Kind zu entschuldigen und sich zu erklären in dem Maße, in dem es Kinder verstehen können. Aber es ist eben auch normal, dass es manchmal nicht rund läuft, dass wir schlechte Tage oder auch mal eine schlechte Woche haben. Bedauern ist gut und wichtig und das Wahrnehmen dessen. Aber manches Mal sind wir auch zu hart mit uns und messen einer kleinen Situation im Alltag oder einer kleinen Phase der zu geringen Feinfühligkeit eine zu große Bedeutung zu. Wir sind heute schnell darin, uns selbst zu verurteilen als „schlechte Mutter“ oder „schlechter Vater“.

Wenn aus „manchmal“ „immer“ wird

Schwierig wird es da, wenn aus einem „manchmal“ ein „immer“ wird: Wenn wir immer wieder gestresst sind, wenn wir  nur noch in einem Kreis des Schimpfen stecken. Und auch dann, wenn wir merken, dass wir immer wieder in ganz bestimmten Situationen negativ auf unser Kind reagieren: Immer schimpfen, wenn es sich bekleckert hat. Immer schimpfen, wenn es weint. Immer schimpfen, wenn es sich überschwänglich freut. Wenn wir dies wahrnehmen, lohnt es sich, genauer hinzusehen: Warum ist das eigentlich so? Warum berühren mich die immer gleichen Situationen und warum reagiere ich immer genau dann mit Abwehr und negativem Verhalten? Hier lohnt es sich, hinein zu spüren: An was rüttelt das in mir, an meiner eigenen Vergangenheit, an meiner Kindheit und dem, was ich selbst gelernt habe? Manchmal können wir selber diesen Situationen auf den Grund gehen, manchmal brauchen wir dazu aber auch professionelle Hilfe von außen, die uns aufzeigt, warum wir wie handeln und einen Weg hinaus ermöglicht zu einer neuen Wahrnehmung und neuen Handlungsansätzen.

Wichtig ist die Grundstimmung

Für unsere Kinder, unsere Bindung und unser Familienklima ist es wichtig, dass unsere Grundtendenz richtig ist. Dass wir Bedürfnisse wahrnehmen und darauf angemessen nach Alter des Kindes reagieren. Es ist wichtig, dass wir den Alltag angemessen gestalten und unserem Kind Sicherheit geben darin, dass wir für sie da sind und für ihr Wohlergehen sorgen in den vielen kleinen Momenten des Alltags. Es ist wichtig, dass sich unsere Kinder bei uns umsorgt, geliebt und geschützt fühlen und wir ihnen das in einem Grundgefühl vermitteln.

Manchmal gibt es Tage, an denen es nicht gut läuft, an denen wir etwas übersehen, an denen wir nicht feinfühlig sind. Ich glaube, diese Tage gibt es in jeder Familie. Auf jeden Fall gibt es sie auch hier. Es ist gut, sie wahrzunehmen, diese Tage, und den Finger darauf zu legen und es anders machen zu wollen morgen. Aber heute dürfen wir uns auch selbst verzeihen.

Eure