Jeden Tag die Welt begreifen

Da sitzt du und streckst deinen kleinen Arm immer wieder in die Luft. Ich beobachte dich von einem Sessel aus und frage mich, was du so engagiert tust. Immer wieder greift deine kleine Hand ins Leere. Deine Hände schließen sich um nichts und gehen gleich wieder auf, um es erneut zu probieren. Ich sehe ganz genau zu und plötzlich erkenne ich, was du tust: Du spielst mit einem Sonnenstrahl. Durch das Fenster strahlt er hinein, darin tanzen kleine Staubkörnchen in der Luft. „Du kannst ihn nicht anfassen“, möchte ich dir sagen. Doch dann schweige ich lieber und beobachte dich weiter. Du merkst es ja selbst. Jetzt gerade, in diesem Moment begreifst du die Welt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mit deinen kleinen Händen lernst du diese Welt kennen. 

Ich kann dir so viel erzählen von dieser Welt. Und ich tue es auch jeden Tag. Ich erzähle von den Bäumen und ihren Farben, von dem kleinen bellendem Hund, vor dem du keine Angst haben brauchst. Ich berichte dir wie gut das Essen schmeckt und wie schön die Blumen duften. Aber die wesentlichen Dinge lernst du nicht von mir, du lernst sie von dir. Ich gebe dir nur den Raum, um sie erfahren zu können.

Einen Raum geben, bedeutet, dass du dich frei bewegen und Deine Erfahrungen machen kannst. Ein Raum, in dem vieles möglich ist und ich nicht beständig aufpassen und Nein! rufen muss. Raum bedeutet auch, sich selbst zurück zu nehmen mit den eigenen Erfahrungen und den Kindern nicht mit Sprache die Welt zu erklären, wie wir sie wahrnehmen. Du handelst, du entdeckst. Du hast die große Chance, alles noch einmal neu zu entdecken, neu wahrzunehmen und vielleicht wirst du auf dieser Basis auch eine andere Welt gestalten. Du musst nicht denken und handeln wie ich. An vielen Stellen wünsche ich mir auch, dass du es nicht tun wirst.

Auf einmal drehst du dich um. Der Sonnenstrahl hat seinen Reiz verloren. Vielleicht hast du auch verstanden, dass du ihn nicht fassen kannst. Vielleicht wirst du es an einem anderen Tag noch eimal versuchen. Du hast die Zeit dafür. Du hast alle Zeit, um diese Welt kennen zu lernen – auf deine Weise. Und ich bin da und begleite dich auf deinem abenteuerlichen Weg. Ich gehe neben dir, hinter dir, manchmal fange ich dich auf. Und dann lasse ich dich wieder los, um die Welt zu entdecken.

Eure

3 Kommentare

  1. So so schön und treffend geschrieben! Wenn ich es als Mutter lese, fühle ich es richtig und denke JA, Gefühle perfekt in Worte umgewandelt! Danke!

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