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Ein Leben ohne Kinderwagen

 

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Im Oktober schon wird der Sohn zwei Jahre alt. Vom Kind, das auf dem Rücken lag, das sich irgendwann drehen konnte, das begann zu robben und krabbeln ist er zu einem schneller Läufer geworden. Er steigt die Treppen hoch und runter und hält sich am Geländer fest oder probiert es oft auch ohne jedes Festhalten. Wenn wir unterwegs sind, läuft er so lange, bis er irgendwann auf den Arm genommen werden möchte: Für mich das Signal, dass er nicht mehr laufen kann. Nicht, dass er nicht mehr laufen möchte, sondern dass seine Kräfte ihn einfach verlassen haben.

Kinder und Bewegung – beides gehört zusammen

Kinder lieben Bewegung. Sie lieben es, sich und ihren Körper zu spüren, sich zu erproben. Sie sind den ganzen Tag mit ihrer Art von Lernen beschäftigt. Dabei erforschen sie, wie die Dinge funktionieren, wofür alles da ist und auch, wie sie sich selbst verhalten können. Schaffen sie es schon, auf dem schmalen Bordstein zu balancieren? Können sie in die Luft hüpfen und sicher wieder auf beiden Füßen ankommen? Es ist die Lust am Ausprobieren, die wir ihnen ansehen. Und genau dabei lernen sie: Sie lernen, was sie können, was sie nicht können und sie probieren unaufhaltsam aus und verfeinern ihre Fertigkeiten.

Nicht anders verhält es sich mit dem Laufen: Kinder lernen nach und nach das Laufen. Erst richten sie sich ganz vorsichtig auf, laufen dann meist seitwärts entlang der Möbel und halten sich an ihnen fest. Das Gleichgewicht in der aufrechten Position muss erst erlernt werden. Irgendwann wagen sie die ersten freien Schritte. Oft sind es am Anfang erst wenige. Manche Kinder sind ungestüm und rennen nahezu los ohne zu wissen, wie sie das Laufen eigentlich wieder stoppen. Sie lernen nach und nach das richtige Tempo, wie man die Füße nacheinander gut aufsetzt ohne zu stolpern und wie man sicher den Gang anhält. Für all diese Dinge haben sie einen inneren Ansporn und möchten es von sich aus nach ihrem eigenen Tempo erlernen.

Wichtig ist, dass sie die Möglichkeit haben, sich selbst zu erproben. Sie brauchen eine Umgebung, die es ihnen ermöglicht, all die Feinheiten des Laufens zu erlernen. Sie müssen gerade Strecken laufen können und auch Treppen steigen dürfen. Nach ihren Fähigkeiten und ihrer Entwicklung bauen sie nach und nach ihr Können aus. Dazu gehört auch, wie weit die Strecken sind, die sie zurück legen können. Deswegen ist es wichtig, ihnen die Möglichkeit zu geben, diese Strecken selbst einzuschätzen. Setzen wir sie bei jedem Gang außer Haus sofort in den Kinderwagen, haben sie nicht die Möglichkeit, sich selbst zu erproben. Sie lernen erst langsam, wie weit sie wirklich laufen können.

Ein Kind 2 Jahre tragen – das geht?

Meine beiden Kinder habe ich von Anfang an im Tuch getragen. Mittlerweile habe ich eine kleine Sammlung an verschiedenen Tüchern: kurz, lang, mittel, verschiedene Muster und Marken. Natürlich habe ich auch beruflich einige Modelle für verschiedene Zwecke, aber besonders auch privat ist mir die Auswahl mittlerweile wichtig.

Den Sohn habe ich ganz am Anfang im Tuch getragen in der Wickelkreuztrage oder auch der Känguru-Trage. Ich fand es angenehm, auf diese Weise auch ganz unauffällig stillen zu können. Allerdings kam der Sohn im Herbst 2012 zur Welt, auf den dieser lange und kalte Winter folgte. Ich stellte fest, dass im hohen Schnee und unterwegs mit zwei Kindern das Tragetuch zu unflexibel für mich war (in Hinblick auf schnelles rein und raus) und nutzte beim Sohn dann auch als Tragehilfe den Bondolino (anfangs mit Verengung des Stegs durch eine Tuch).

Mit etwa 6 Monaten habe ich den Sohn dann auch angefangen im Sling auf der Hüfte zu tragen – was ich bei der Tochter erst mit 9 Monaten machte. Der Sling ist für mich gerade zu Hause eine enorme Erleichterung, wenn im Haushalt etwas gemacht werden muss, aber das Kind den Körperkontakt sucht. Er ermöglicht schnelles Hinein- und Hinausnehmen. Da ich auch die Tochter schon im Sling getragen hatte, hatte ich noch einen von Didymos, der mich seither begleitet. Anders als die Tochter hat der Sohn aber auch die Rückentrage kennen und schätzen gelernt und er mag es, wenn er möglichst hoch gebunden auf meinem Rücken ist und über meine Schulter sehen kann. Das ist mit herkömmlichen Tragehilfen nicht so einfach zu machen (abgesehen natürlich vom Tuch), aber mit dem Meitai.

Der Meitai ist sozusagen die Urform der Tragehilfe. Er besteht in seiner ganz ursprünglichen Form aus einem rechteckigen Stück Stoff, dessen Ecken mit Bändern verlängert sind. Die oberen Verlängerungen dienen als Träger und die unteren als Hüftgurt. Das Kind “sitzt” in dem Stoffrechteck. Hier bei uns sind besonders die Meitais von Fräulein Hübsch bekannt geworden. Mittlerweile habe ich auch eine kleine Auswahl an Meitais zu Hause. Wie auch bei den Tragetüchern gilt auch hier: Die Stoffqualität ist wichtig für den richtigen “Sitz” des Kindes. Wie oben erwähnt, ist für das richtige Tragen eine bestimmte Haltung notwendig und besonders auch die Stützung des Rückens. Je jünger das getragene Kind ist, desto wichtiger sind diese Qualitätsmerkmale, damit es gut gehalten werden kann. Kleine Babys sollten deswegen nur in besonders hochwertigen Meitais getragen werden, in denen der Rücken optimal unterstützt wird.

Irgendwann zwischen 18 Monaten und der Zeit nun hat es sich so entwickelt, dass der Sohn zuerst immer laufen möchte, wenn wir raus gehen. Mittlerweile kann er tatsächlich lange Strecken laufend zurück legen. Wenn er doch irgendwann erschöpft ist, trage ich ihn im Sling. Für den alten Sling von Didymos ist er allerdings nun zu groß und zu schwer; zu oft musste ich beim Tragen die Tuchbahnen nachziehen. Daher habe ich mich für einen neuen Sling von Pavo entschieden, dessen Stoff dicker ist und der auch bei einem fast Zweijährigem wunderbar sitzt. Für unterwegs ist der Sling hervorragend, weil ich ihn in der Tasche tragen und bei Bedarf heraus holen kann. Er nimmt weniger Platz ein als ein Meitai oder eine andere Tragehilfe. Ist er also erschöpft oder müde, nehme ich ihn im Sling auf die Hüfte.

Ist ein Alltag ohne Kinderwagen möglich?

Wenn ich davon berichte, dass ich ausschließlich trage, werde ich oft gefragt, wie das denn im Alltag gehen würde. Oder es wird schlichtweg festgestellt, dass das gar nicht möglich sei, denn man müsse ja auch einkaufen etc. Tatsächlich aber geht es sehr gut. Ich kaufe im Alltag mit meinen Kindern zusammen ein. Wenn ich den Einkauf nach Hause tragen muss, kaufe ich nur kleine Mengen für den jeweiligen Tag ein und gehe eben am nächsten Tag wieder einkaufen mit den Kindern. So haben wir auch immer frische Lebensmittel zu Hause und ich kann spontan entscheiden, was es zu essen gibt. Einen kleinen Einkauf kann ich sehr gut zusätzlich zu dem auf meiner Hüfte sitzendem Kind tragen.

Auch sonst erweist sich das Tragen im Alltag in der Stadt sehr hilfreich: Mit dem Tragen muss an S- und U-Bahnstationen kein schwerer Kinderwagen hoch oder runter getragen werden, man ist nicht auf Aufzüge oder helfende Passanten angewiesen. Und mit einem zweiten Kind an der Hand sind schöne Spaziergänge möglich.

Manchmal werde ich auch gefragt, ob ich nicht Rückenschmerzen oder andere Probleme durch das Tragen hätte. Doch ich muss auch hier ganz ehrlich sagen: Ich habe einen sehr gesunden Rücken mit einer durch das Tragen starken Muskulatur. Bereits meine Tochter habe ich zwei Jahre getragen und hatte davon keine Nachteile – so erwarte ich es auch jetzt. Bislang jedenfalls sind keine Beschwerden oder Haltungsschäden aufgetreten. Natürlich ist für diejenigen, die lange tragen, wichtig, dass sie auch richtig tragen. Wer also den Wunsch hat, lange und ausschließlich zu tragen, kann eine Trageberatung in Anspruch nehmen, um sich umfassend über die Möglichkeiten und das korrekte Binden informieren zu lassen. In größeren Städten gibt es auch mittlerweile an vielen Stellen offene Tragegruppen, bei denen Tragetechniken besprochen werden.

Mein persönliches Resümée

Ich habe zwei Kinder nun (fast) zwei Jahre getragen mit unterschiedlichen Tragehilfen. Von den Vorurteilen, dass getragene Kinder nie laufen wollen würden, habe ich in beiden Fällen nichts gespürt. Meine beiden Kinder laufen gerne und viel, sie gehen mit einkaufen, wir laufen oft weite Strecken in Berlin auch wenn wir die Bahn benutzen könnten. Sie laufen, weil sie es einfach gerne tun, weil sie sich daran erfreuen und es von Anfang an so kennen gelernt haben. Sie haben vermittelt bekommen: Probiere Dich aus, laufe und wenn Du zu müde wirst, machen wir eine Pause – im Tragetuch oder einfach eine Pause auf einer Bank oder bei einem Getränk in einem kleinen Café auf unserem Weg.

Ob Trage oder Kinderwagen: Kinder sollen laufen dürfen und sich selbst erproben

Aber ob nun Trage oder Kinderwagen: Beides ist möglich – und auch beides ist ausschließlich möglich. Doch lassen wir – egal wofür wir uns entscheiden – unseren Kindern auch die Wahl, selbst zu entscheiden, ob sie laufen wollen oder von uns befördert werden möchten. Lassen wir sie sich ausprobieren und geben wir ihnen die Möglichkeit, sich ihrer Grenzen bewusst zu werden und sich dann zurück zu ziehen, wenn es für die notwendig ist.

Oft sind wir Erwachsenen es, die es eilig haben und die Kinder lieber schnell irgendwo hin transportieren wollen – in der Trage, im Kinderwagen, auf dem Arm oder im Auto. Doch versuchen wir einmal, auf diese Situationen zu achten und uns zurück zu nehmen dafür, dass wir den Bedürfnissen unserer Kinder nach Bewegung nach kommen. Nicht nur sie sind uns dafür dankbar, sondern auch wir uns selbst eines Tages.

Ausschließlich tragen, ist das für Euch denkbar?
Ich freue mich über Eure Berichte,
Eure

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