In den letzten Monaten bin ich immer wieder auf Artikel gestoßen zum Thema Geschlechtsidentität entwickeln, Entwicklung von Mädchen, Frau werden, die mir gezeigt haben, dass es momentan ein wirklich wichtiges Thema ist. Auch unter den Mütter-Bloggerinnen ist es längst ein Thema. @dasnuf schrieb im September über „Neuigkeiten aus dem frisch duftenden Freudental“ und der Feststellung, dass aufwachsende Mädchen und Frauen heute durch Pflegeprodukte in den Glauben versetzt werden, dass der weibliche Genitalbereich grundsätzlich stinken würde und man mit diversen „wohlriechenden“ Pflegeprodukten Abhilfe schaffen müsste. @berlinmittemom Anna Luz de León beschäftigt sich derzeit in einer Artikelreihe damit, dass Studien zum Ergebnis kamen, dass „in Deutschland 64 Prozent aller Mädchen im Teenageralter aufhören, die Dinge zu tun, die sie lieben, weil sie sich mit ihrem Äußeren unwohl fühlen“. Und dann gibt es auch noch Werbespots, die zwar erst einmal offensiv mit Weiblichkeit umgehen und Mädchen eine Art des freudvollen Umgangs mit der Menstruation beizubringen scheinen, dann aber doch nur die „heimliche“ Zustellung eines Menstruationssets bewerben: „It’s like christmas for your vagina!“ Zu solchen Anbietern zählt auch „Madame Ladybug„, wo man sich – je nach Bedarf preislich gestaffelt – eines von drei Menstruationspaketen monatlich zusenden lassen kann. Die beiden teureren Pakete enthalten auch gleich das Schmerzmittel „Midol“ neben Tee und Snacks. Welches Bild erhalten Mädchen also vom Frausein? Und was sollten wir anders tun?
Es fängt – wie immer – am Anfang an. Ich möchte hier in diesem Rahmen nicht auf die Sex-Gender-Debatte und auf rosa Mädchensachen, Barbie und Co. eingehen. Hier soll es nur um das Körpergefühl gehen, das wir unseren Kindern vermitteln. Und das vermitteln wir von Anfang an. Es beginnt damit, wie wir Geschlechtsorgane bezeichnen, bzw. ob wir ihnen überhaupt einen Namen geben. Denn oft genug höre ich auch heute noch die Bezeichnung „untenrum“, wenn sich irgendwas auf die primären Geschlechtsorgane bezieht. Doch natürlich brauchen Körpergliedmaßen einen Namen, denn wie sollen sie namenlos für ein Kind real existieren? Was keinen Namen hat, darüber spricht man nicht. Doch gerade Kinder müssen über ihr Geschlecht und ihre Geschlechtsorgane sprechen.
Schon Babys brauchen den Raum, um sich mit sich selbst vertraut zu machen – Mädchen und Jungs gleichermaßen. Im Nacktsein dürfen sie ihren ganzen Körper erfahren. Für die Entwicklung des Körpergefühls ist es wichtig, dass der gesamte Körper selbst erkundet werden darf. Heute, wo viele Babys in unserer Kultur die meiste Zeit des Tages in einer verschlossenen Windel verbringen, sind gerade auch die Wickelsituationen besonders bedeutsam. Was vermitteln wir einem Kind, wenn wir angeekelt in die volle Windel blicken und mit schnellen, unsanften Bewegungen den Windelinhalt beseitigen? Wenn wir uns entscheiden, mit Windeln zu wickeln und das Kind nicht abzuhalten (windelfrei zu praktizieren), ist dies unsere Entscheidung und nicht die des Kindes. Und so müssen wir auch unsere eigene Konsequenz daraus ziehen. In diesem Fall bedeutet es, dass natürlich nicht das Kind in irgendeiner Weise negativ zu behandeln ist, weil es die Windel voll gemacht hat. Im Gegenteil: Das Windeln wechseln sollte ein Moment der Ruhe sein können, in dem das Baby beteiligt werden kann, in dem man ihm Ruhe lässt. Je nach Alter darf es auch an der Wickelsituation beteiligt werden. Vielleicht kann es einfach schon selbst ein Papiertuch halten oder nach dem ersten Säubern durch Mutter oder Vater kann das Kind selbst noch einmal nachwischen. Sprache ist auch hier wichtig: Das Wickeln ist ein wunderbarer Moment, um miteinander zu reden, in den Austausch zu kommen. Der Wickelnde kann beschreiben, was er tut. Er kann Empfindungen des Babys umschreiben: Der Waschlappen fühlt sich nass an, oder? Je mobiler das Baby wird, desto weniger einfach sind diese Wickelsituationen ruhig zu gestalten, weil das Kind vielleicht lieber krabbeln oder laufen möchte. Doch wenn man dem Kind von Anfang an die Möglichkeit gibt, selbst beteiligt zu sein, ist das Wickeln oftmals einfacher und ganz nebenbei erfährt das Baby Wertschätzung für den Windelbereich.
Und noch etwas anderes ist wichtig, wenn es darum geht, ein gesundes Körperbild von Anfang zu entwickeln: Andere Menschen sehen. Und zwar nicht nur die halbnackten „Schönheiten“ auf den Werbeplakaten. Mit meiner Tochter bin ich schon oft am Kindertag im Hamam gewesen. Dort unter Frauen kann sie sich ein eigenes Bild machen von der Vielfältigkeit des Frauseins. Ich erinnere mich noch an die Situation, als wir einmal dort waren und sie mich fragte: „Mama, warum hat die Frau so verschrumpelte Brüste?“ Es war eine alte Frau und im ersten Moment war mir die Situation unangenehm, denn ich war mir ziemlich sicher, dass die Frau sie gehört hatte. Doch dann sagte ich ihr einfach, dass die Frau eben schon viel älter sei und das normal wäre und fand es auf einmal ganz großartig, dass meine Tochter an diesem Ort so viele verschiedene Frauen sehen konnte: jung und alt, dick und dünn, verschiedenen kulturellen Ursprungs und doch alle gemeinsam an diesem Ort, an dem sie sich der Körperpflege hingeben. Jede auf ihre Art mit ihrem Körper.
Körperlichkeit hat von Anfang an auch mit den Worten zu tun, die wir nutzen. Wie beschreiben wir unser Kind? Necken wir es, indem wir ihm Unzulänglichkeiten vor die Nase halten? Ich erinnere mich noch heute daran, wie unangenehm es mir war, dass mich meine Tante sicher die ersten 10 Lebensjahre immer „Pummelchen“ nannte. Selbst, wenn wir es als Liebkosung meinen, hinterlassen solche Worte Spuren in uns. Deswegen sollten wir den Körper unserer Kinder mit dem Respekt behandeln, den wir uns selbst wünschen. Nicht nur mit Respekt im manuellen Umgang, sondern auch mit sprachlichem Respekt. Kinder sollten nicht als dick, pummelig, steif oder sonstwas bezeichnet werden. Sie sind, wie sie sind. Und sie sind immer aus gutem Grund so, wie sie sind.
Ganz selbstverständlich gehört zum positiven Körpergefühl auch, dass das Kind keine negativen Körpererfahrungen machen muss, d.h. dass es nicht geschlagen oder anderweitig misshandelt oder missbraucht wird. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit für viele Eltern, aber leider zeigen Studien immer wieder, wie viele Kinder missbraucht und/oder misshandelt werden, was natürlich schwerwiegende Folgen für die Entwicklung des Körpergefühls hat. Kinder haben Rechte. Und eines davon ist das Recht auf gewaltfreie Erziehung.
Dies alles sind nur die Vorbereitungen, die wir treffen können: Kinder ihren Körper selbst erfahren lassen, ihre Geschlechtsteile benennen, respektvoll mit ihrem Körper umgehen – sowohl verbal als auch im alltäglichen Umgang. Dazu sind wir selbst natürlich wichtige Vorbilder und beeinflussen, wie sie ihren Körper betrachten. Sagen wir, dass wir uns hässlich fühlen, dass wir zu viel wiegen würden oder mäkeln hier und da an unserem Aussehen vor den Kindern herum? Unsere Kinder finden uns schön. Viele, viele Jahre lang. Wenn wir ihnen vorleben, dass wir uns selbst schön finden und zufrieden sind mit uns, dann ist das ein sehr guter Grundstein dafür, dass auch sie sich in ihrer Haut wohl fühlen.
Was Mädchen betrifft, hat auch der Umgang mit der Menstruation großen Vorbildcharakter: Zeigen wir unserer Tochter monatlich, wie schlimm, schmerzhaft, unangenehm, eklig die Menstruation ist? Oder können wir es – wenigstens ein kleines Stück – als Fest der Weiblichkeit feiern? Mein eigener Eintritt in das Frausein war vor 20 Jahren nicht so, wie ich es mir für meine Tochter wünschen würde. Umso mehr habe ich eine Vorstellung davon, wie ich mit ihr diesen Tag begehen möchte: Eine Feier soll es sein zwischen Mutter und Tochter, in der ich sie in einen neuen Lebensabschnitt aufnehme. Ein Fest für uns, an dem wir es uns gut gehen lassen. An dem wir ganz Frau sind. In früheren Zeiten gab es Zeremonien, die extra für diesen Übergang zelebriert wurden. Leider sind uns solche heute verloren gegangen. Einer Tradition zufolge wird der jungen Frau zur ersten Menstruation ein roter Stein geschenkt. Für meine Tochter habe ich den Ring mit rotem Stein schon hier. Er ist noch von meiner Großmutter. Ich hoffe, ich werde ihn einer selbstbewussten jungen Frau an den Finger stecken, die sich in ihrem Körper wohl fühlt und einfach glücklich ist. So, wie sie ist.