Hilfe, mein Kind nörgelt ständig!

Die meisten Eltern kennen wohl Nörgel-Situationen: Das Kind ist beim Einkaufen mit dabei und möchte noch eine Süßigkeit haben. Das Kind will auf dem Rückweg vom Spielplatz nicht mehr laufen und getragen werden. Das Kind möchte heute unbedingt etwas länger fernsehen. Das Kind möchte am Wochenende lieber zu einer Freundin als zur Familienfeier. Solche Situationen kommen immer mal wieder vor und sind – je nach Intensität des Nörgelns – oft anstrengend für die Bezugspersonen. Manchmal gibt es auch Phasen, in denen Kinder scheinbar besonders viel nörgeln. Wir denken schnell, dass das Kind „einfach so sei“, aber auch hier lohnt es sich, einmal einen Blick auf Gefühle und Bedürfnisse hinter dem Verhalten zu werfen.

Kinder haben wenig Entscheidungsraum

Nörgeln ist anstrengend, aber ein Verhalten, dass das Kind zeigt, um etwas auszudrücken: Mit zunehmender Entwicklung möchte das Kind selbstwirksam sein und seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse umsetzen. Es nimmt wahr, dass es einen Unterschied darin gibt, wer was innerhalb der Familie bestimmen kann und möchte darauf aufmerksam machen, dass es seine eigenen Interessen vertreten möchte. Unser Alltag ist oft sehr an den Bedürfnissen und den zeitlichen Möglichkeiten von Erwachsenen orientiert und weniger an denen des Kindes. Es erlebt sich selbst als hilflos und unwirksam in Bezug auf die eigenen Wünsche und versucht dann, über die Aktivierung des Bindungssystems bei den Bezugspersonen, an sich und seine Wünsche/Bedürfnisse zu erinnern. Gerade in Zeiten, in denen Eltern manchmal besonders viel zu tun haben, wenig Zeit haben oder anderen Stress, nehmen sie dann ihre Kinder als besonders nörgelig wahr, ohne den Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit und der aktuellen Einschränkung dessen zu sehen.

Verbindung einfordern, Frustration herauslassen

Viele Eltern kennen es noch aus der Babyzeit: Das Weinen des Babys führt zu Fürsorgeverhalten. Das Weinen ist ein starkes Signal an Bindungspersonen (und auch andere), dass man Schutz und Fürsorge benötigt. Das Jammern eines älteren Kindes drückt dies ebenfalls aus: Kümmere dich um meine Belange, ich will gesehen werden! Wenn Kinder nörgeln, lohnt sich ein Blick darauf, was sie jetzt gerade bewegt. Manchmal brauchen sie auch die Möglichkeit, um angestaute Frustration auf sprachliche Weise herauszulassen. Ein nörgeliger Tonfall kann auch eine Einladung dazu sein, nachzufragen, was das Kind gerade drückt und es dazu anzuhalten, die Last auf den Schultern herauszulassen.

Mit Nörgeln umgehen

Wir können nicht immer auf die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes eingehen. Aber gerade dann, wenn Eltern merken, dass die Kinder gerade eine „Nörgel-Phase“ haben, lohnt sich durchaus ein Blick auf die Rahmenbedingungen: Muss das Kind tatsächlich gerade ganz schön viel zurückstecken? Erwarte ich besonders viel Anpassung an unseren erwachsenen Alltag? Hier kann es helfen, noch einmal zu überlegen, wie das Kind mehr eingebunden werden kann. Hilfreich kann es auch sein, ganz bewusste Zeiten für das Kind einzubinden, in denen es sich als besonders selbständig und wirksam erleben kann. Geht es darum, dass das Kind zu wenig Aufmerksamkeit und positive Beziehungszeit mit der Bezugsperson hat, kann auch dies in den Blick genommen werden: Wie schaffen wir gute Beziehungsmomente in unserem Alltag, in denen wir Zeit füreinander haben und in denen das Kind aufgestaute Ängste, Sorgen oder das Gefühl, nicht ausreichend gesehen zu werden, rauslassen kann?

Dass Kinder hier und da nörgeln, ist normal. Manchmal liegt das Problem des Nörgelns auch mehr auf der Seite der Erwachsenen: Warum fällt es mir so schwer, das Nörgeln auszuhalten? Wie auch beim Weinen sind Eltern manchmal sehr geneigt, das Nörgeln abstellen zu wollen, weil es sie selbst zu sehr berührt und vielleicht unbewusst die eigenen Kindheitserfahrungen anklingen lässt: Wer selbst nicht nörgeln durfte, wer für diese „Schwäche“ bestraft wurde, wer dafür beschämt oder abgewertet wurde, dem kann es heute schwer fallen, das Nörgeln des eigenen Kindes auszuhalten. Es kann auch ein Gefühl von Hilflosigkeit entstehen, wenn man nicht lernen konnte, wie damit umgegangen werden kann. Hier ist es wichtig, das eigene Mindset in den Blick zu nehmen: „Es ist in Ordnung, zu nörgeln. Für mein Kind. Und es war damals auch in Ordnung, dass ich als Kind genörgelt habe. Ich muss nicht hart sein und alles hinnehmen, was andere von mir wollen. Ich durfte damals und darf heute ausdrücken, dass meine Bedürfnisse auch wichtig sind, ohne dafür abgewertet zu werden.“

Das Wahrnehmen, dass das Kind gerade etwas bedrückt und dem Kind ein Ventil dafür anzubieten, kann ebenfalls hilfreich, wenn die Erschöpfung oder Überforderung Grund für das Nörgeln sein sollte: „Oh, das findest du jetzt ganz schön anstrengend. Ich höre das an deiner Stimme. Komm, hol einmal tief Luft und lass das Gefühl einmal richtig heraus aus deinem Körper!“ – Und dabei kann dann die eigene erwachsene Anspannung gleich mit hinausgeatmet werden.

Natürlich ist es wichtig, dass das Kind auch lernen kann, eigene Wünsche und Bedürfnisse nicht nur im Nörgeltonfall auszudrücken. Hier müssen wir vor allem in den Blick nehmen, ob das Kind dafür vom Entwicklungsstand schon in der Lage ist. Kleinkinder können wir im Ausbau ihrer Fähigkeiten unterstützen, indem wir ihnen sagen, dass wir an ihrer Stimme hören, dass/was sie gerade wollen. Wir nehmen ihr Gefühl sprachlich auf, zeigen Aufmerksamkeit und vermitteln, dass wir das Kind wahrgenommen haben. Dann können wir das Bedürfnis noch einmal in einem normalen Tonfall wiederholen und das Kind damit dazu hinführen, dass es sein Bedürfnis sicher vortragen kann: „Oh… ich höre, dass du wirklich gar keine Lust mehr hast zu laufen. Ich versteh das, du bist erschöpft, das höre ich. Du möchtest jetzt also getragen werden? Das kannst du mir doch sagen.“

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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