Wenn unsere Kinder krank sind, ist das nicht selten eine herausfordernde Situation für die Familie, denn auf der einen Seite ist da das kranke Kind mit dem Unwohlsein und auf der anderen Seite ein sich sorgendes Elternteil. Aber auch neben dem eigentlichen Kranksein spielt sich gerade jetzt viel ab zwischen den Personen – auf Beziehungsebene.
Krank sein – eine ungewohnte Erfahrung
Da ist das Kind, das krank ist: Es fühlt sich anders und ist verunsichert: „Was ist hier los? Ich fühle mich anders als sonst. Muss ich Angst haben?“ Wie so viele Erfahrungen Im Leben durchlebt es auch zum ersten Mal Kopfschmerzen, Schnupfen, ein Kratzen im Hals… Hat zum ersten Mal einen Fuß verstaucht oder einen Arm gebrochen. Es ist neu und anders, dieses Körperempfinden und jetzt braucht es eins, was in solchen Situationen immer hilft: Sicherheit von einer Bezugsperson. Es möchte das Gefühl haben, dass die Bezugsperson sicher ist in einer für das Kind unsicheren Zeit, es möchte umsorgt werden und Verlässlichkeit spüren. Gerade hier zeigt sich wie in allen anderen verunsichernden und ängstigenden Situationen das Bindungssystem: das Kind fordert Nähe und Zuwendung ein, um sich sicher zu fühlen.
Je nach Temperament braucht es vielleicht mehr oder weniger Sicherheit, Zuwendung, Co-Regulation. Manche Kinder sind krank entspannter, andere angespannter. Und sie äußern ihren Bedarf an Zuwendung auf unterschiedliche Weise: sie wollen vielleicht besonders viel spielen, andere kuscheln, hier noch einen Tee, dann ein kaltes Wasser oder noch eine Geschichte vorgelesen bekommen – all das sind Wünsche nach Zuwendung und Aufmerksamkeit.
Kinder bei ärztlichen Untersuchungen begleiten
Vielleicht ist sogar eine Untersuchung notwendig und auch hier ist alles anders und das Kind braucht das Elternteil als sicheren Hafen, als Schutzort. Die Aufgabe der Eltern ist es, in dieser Situation genau das zu sein und zu vermitteln: Sicherheit, Zuwendung, Ruhe, Schutz, Verständnis – für das Kind.
Ähnlich wie beim Zähneputzen ist das nicht immer einfach: Es muss eine Untersuchung vorgenommen werden, vielleicht muss eine Spritze gegeben werden oder es gibt einen größeren medizinischen Eingriff. Vielleicht soll das Kind den Mund aufmachen und will nicht oder muss kurz stillhalten, ist aber zappelig.
Als Elternteil ist es in erster Linie unsere Aufgabe, dem Kind in dieser Situation Sicherheit zu vermitteln, Beistand, Verständnis. Auch wenn es oft wenig Raum und Zeit gibt in solchen Situationen, ist es das Ziel, nicht übergriffig zu handeln, sondern kooperativ. Dafür braucht es oft von der behandelnden Person besondere Feinfühligkeit und Kreativität: die Spritze kann das Gesundheitsbienchen sein, Untersuchungen werden zuvor an einem therapeutischen Kuscheltier gezeigt, das Kind darf die Geräte anfassen oder selbst einmal ausprobieren. Eltern sind dabei keine helfenden Hände für die Untersuchenden, sondern Beistand für ihre Kinder. Aber sie können auch viel für die Offenheit beitragen, wenn sie zugewandt und sicher mit den Untersuchenden umgehen, freundlich sind, interessiert. Wenn sie dem Kind nicht vorher beständig erklären „Du musst keine Angst haben!“, was bei vielen Kindern erst einmal Angst entstehen lässt, und das Kind auch nicht anlügen mit „Das tut nicht weh!“, obwohl es eben doch schmerzen wird. – Ja, wir haben im Alltag oft zu wenig Zeit für viele dieser Punkte, das bedeutet aber nicht, dass es so richtig wäre.
Krankes Kind – Herausforderung für Eltern
Das Kranksein des Kindes ist aber auch nicht selten Herausforderung für die Eltern: Es können sich Themen der eigenen Kindheit öffnen („Da muss man durch wenn man krank ist!“) und auch wenn man eigentlich bedürfnisorientiert mit dem Kind umgehen möchte, kann es in der Situation in einer Praxis oder Klinik auf einmal schwer fallen, die eigenen Grundsätze zu erinnern und nicht durch Stress in verinnerlichte Muster zu verfallen und das Kind anzuschimpfen, weil es nicht mitmacht, zu ängstlich oder langsam ist.
Der Stress kann Eltern überfordern, gerade wenn noch viel „nebenher“ erledigt werden muss, die Arbeit wartet, die Kind-Kranktage eigentlich aufgebraucht sind oder doch heute etwas ganz anderes geplant war. Und natürlich kann auch eine Diagnose überfordern, erschöpfen, verunsichern. Auch diese Gefühle sind normal. Gerade jetzt brauchen Eltern oft Unterstützung: die gute Aufteilung der Umsorgung zwischen den Eltern, Freunde, die vielleicht Einkäufe vorbei bringen oder auch Familie, die vor Ort oder mittels Videotelefonat eine Geschichte vorliest, um die Eltern kurz zu entlasten. Gerade wenn die Begleitung und Betreuung von Kindern viel Energie kostet, sollten Eltern die Möglichkeit haben, auf sich zu achten, um die eigenen Kraftreserven nicht ausgehen zu lassen.
Es ist also wichtig, dass wir beides nicht aus den Augen verlieren: Das Bindungsbedürfnis des Kindes in dieser Zeit, aber auch nicht unsere eigenen Kraftreserven und Möglichkeiten und für beide Seiten nach Möglichkeiten suchen, um gut damit umzugehen.
Eure
Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.
Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de