Sich unserer Aufmerksamkeit sicher zu sein, ist wichtig für Kinder: Nur wenn sie sicher sein können, dass wir als Bezugspersonen ihre Bedürfnisse wahrnehmen, sie im Blick haben und im Bedarfsfall auf Signale reagieren, fühlen sie sich geschützt und umsorgt. Dann haben sie das sichere Vertrauen, dass wir sie umsorgen und diese Sicherheit der Bedürfniserfüllung lässt eine sichere Beziehung aufbauen. Auf Seiten des Kindes ist Bindung ein Schutzsystem, das dafür sorgt, dass das Kind sicher umsorgt ist.
Warum „verwöhnen“ so wichtig ist
Bestenfalls weiß das Kind und hat verinnerlicht, dass seine Bedürfnisse sicher versorgt werden. Es weiß: Was auch immer passiert, welches Bedürfnis auch immer ich habe – ob Hunger, Durst, das Bedürfnis nach Sicherheit oder Schlaf – meine Bindungsperson kann es erfüllen. Dieses verinnerlicht das Kind, weil wir die Bedürfnisse bedingungslos von klein auf erfüllen: Bedürfniserfüllung ist kein Verwöhnen. Wenn ein Kind mit kleinen Signalen anzeigt, dass es etwas braucht und wir darauf reagieren, ist das normal und angemessen – schließlich haben Kinder, je jünger sie sind, kein Zeitempfinden wie wir. Wenn sie Hunger haben, haben sie Hunger. Wenn sie sich gerade jetzt allein fühlen, brauchen sie gerade jetzt schützende Nähe. Wird das Kind von Anfang an angemessen versorgt, baut es ein Vertrauen in die Bedürfnisbefriedigung auf. Es weiß dann mit zunehmenden Alter, zunehmender Frustrationstoleranz und einem zunehmenden Gefühl für Zeit, dass ein Bedürfnis auch aufschiebbar ist und dennoch sicher erfüllt wird: Wenn meine Bezugsperson sagt, sie ist gleich für mich da, dann kommt sie auch gleich – und vergisst es nicht. Reagieren wir also von Anfang an prompt und sicher, geben wir dem Kind ein Vertrauen mit auf den Weg, von dem es auch später zehren kann. „Es zahlt sich aus“ Kinder am Anfang prompt und sicher zu versorgen, damit sie sich der versorgenden Rolle von ihren Bezugspersonen so sicher sind, dass sie sie auch später nicht in Zweifel ziehen. Sie wissen: Meine Bindungspersonen sind bedingungslos da und sehen mich.
Aufmerksamkeit einfordern
Manchmal gibt es Phasen, in denen wir weniger aufmerksam sein können oder sind – vielleicht durch äußere Stressoren, die uns ablenken. Zeiten, in denen wir die Bedürfnisse des Kindes weniger gut wahrnehmen und/oder nicht richtig interpretieren. Es kommt zu einer Dysbalance: Das Kind signalisiert, wartet, da es eigentlich gewohnt ist, dass wir reagieren. Bleibt die passende Reaktion weiterhin aus, ist das Kind zunächst verunsichert und muss schließlich mehr und mehr Signale senden, damit es die gewünschte Aufmerksamkeit zur Bedürfnisbefriedigung bekommt. Über einen längeren Zeitraum kann es so dazu kommen, dass das Kind versucht, lauter und vehementer Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Reagieren wir nur darauf und weiterhin nicht auf die kleinen Signale, kann es sich einspielen, dass das Kind immer mehr Aufmerksamkeit einfordert auf eine Art, die wir als negativ empfinden: Dass das Kind Aufmerksamkeit und Bedürfniserfüllung braucht, ist normal. Da die normalen Wege aber nicht funktionieren, spielt es sich ein, dass das Kind über frech sein, laut sein etc. Aufmerksamkeit auf sich zieht und damit die Sicherheit herstellen kann, überhaupt weiterhin gesehen zu werden. Ein negativer Kreislauf kann entstehen – gerade dann, wenn Eltern nun denken: Dieses Verhalten toleriere ich nicht und reagiere bewusst nicht auf das freche, laute Verhalten. Es entsteht eine Art Kampf um Aufmerksamkeit und Zuwendung.
Heraus aus der Negativspirale
Der Weg aus dieser Spirale heraus kann nur über uns Erwachsene führen. Wir müssen erkannen, was in der Beziehung gerade passiert und dass das Verhalten des Kindes ein Anzeichen dafür ist, dass etwas am Miteinander nicht stimmig ist. Wir müssen hinter das Verhalten des Kindes den wirklichen Grund sehen: das Kind ist unsicher und braucht mehr Zuwendung und Sicherheit.
Im Alltag bedeutet dies, dass wir wieder versuchen, auf die kleinen Signale zu achten und zu reagieren, bevor das Kind mit starken Signalen etwas einfordert, damit es wieder das Gefühl aufbaut, sicher umsorgt zu werden. Manchmal ist das in der aktuellen Situation nicht möglich, weil sich die neuen Verhaltensweisen schon so eingeschliffen haben oder es schwer fällt, sie im stressigen Alltag zu sehen. In diesem Fall hilft es, gemeinsam auf „Reset“ zu gehen mit einem (oder mehreren) gemeinsamen Nesttag(en): Der Alltag mit seinen Ablenkungen und Erfordernissen muss ausgeschaltet werden, Elternteil und Kind verbringen intensive, ungestörte gemeinsame Zeit, wie eine Art Urlaub und in dieser Zeit wird intensiv auf das Kind eingegangen: Es darf bestimmen. Es darf bestimmen, was gespielt wird, was gegessen wird, was gemacht wird. Es ist Zeit da, um sich dem Kind zuzuwenden, zuzuhören und wirklich zu reagieren. Die Speicher an Aufmerksamkeit und Sicherheit werden wieder aufgefüllt und die Dysbalance im gegenseitigen Verhalten ausgeglichen.
Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.
Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de