Da steht das Kind auf einmal neben dem Schreibtisch. „Kommst Du spielen?“ „Nein, ich muss noch eben hier diesen Text zu Ende…“ „Aber ich will JETZT mit Dir spielen!“ Solche und ähnliche Situation finden sich viel – jeden Tag im Alltag von Familien und gerade jetzt in Zeiten des Homeoffice. „Aber ich muss jetzt noch das zu Ende machen. Kannst Du nicht kurz warten?“ – Und während wir noch auf eine Antwort warten, tippt das Kind schon verärgert auf die Tastatur und löscht vielleicht die letzten geschriebenen Worte. – Unser erwachsenes Denken übersieht manchmal die kindlichen Möglichkeiten und ein Streit zwischen Kind und Elternteil beginnt, denn mit dem Aufschieben von Bedürfnissen ist es oft gar nicht so einfach.
Natürlich ist es eine Frage des Alters, wie Kinder mit dieser Situation umgehen – und eine Frage der Entwicklung. Denn was wir eine einfache kleine Aufforderungen des arbeitenden Elternteils aussieht, erfordert vom Kind eine sehr komplexe Auseinandersetzung mit dem Gegenüber und lässt sich mit einem „einfach warten“ nicht abtun. Um „einfach warten“ zu können, muss das Kind folgende Leistungen erbringen: Es muss sich in sein Gegenüber hineinversetzen und verstehen, dass es gerade eine nicht aufschiebbare Arbeit verrichtet. Diese Art des Hineinversetzens findet sich bei Kindern etwa im Alter von 4 Jahren. Dazu braucht es ein Verständnis für die Erwerbsarbeit und das Konzept Erwerbsarbeit (bzw. im Falle einer anderen Tätigkeit im Haushalt oder ähnlichem darin). Es braucht ein Verständnis von Zeit, um den Zeitraum, den das Elternteil für die Erledigung der Arbeit angibt, zu verstehen. Bestenfalls lässt sich das erreichen durch den Einsatz von einem Wecker und einer Eieruhr: „Wenn die Uhr klingelt, bin ich fertig.“ Das Kind muss fähig sein, das Bedürfnis aufzuschieben und die Frustration über das Aufschieben kontrollieren können (Impulskontrolle).
Was für uns Erwachsene also wie eine kleine Bitte aussieht, ist für Kinder eine sehr komplexe Aufgabe mit Entwicklungsschritten, die erst zum Ende der Kleinkindzeit/im Vorschulalter entwickelt werden. Es ist nicht verwunderlich, dass es daher Unstimmigkeiten zwischen Eltern und Kinder gibt, wenn Kleinkinder genau jetzt etwas spielen wollen, aber Eltern jetzt noch etwas zu Ende machen müssen. Was helfen kann: Den Zeitraum des JETZT genau umreißen (siehe oben), das Kind in die Tätigkeit am Schreibtisch einbinden (ihm eine Aufgabe dort geben wie Stifte sortieren, stempeln,…) oder dem Kind für die Zeit der Überbrückung eine andere Aufgabe geben: „Wenn Du gleich mit mir spielen möchtest, hol doch bitte schon eimal die Bausteinkiste herüber.“ Wichtig ist vor allem, sich immer wieder in die noch begrenzten Möglichkeiten der Perspektivübernahme einzufühlen, damit wir das Kind nicht durch Überforderung frustrieren und so die weitere Entwicklung des gegenseitigen Verständnisses negativ beeinflussen.
Eure
Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.
Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de