Woran du dich erinnern wirst und woran du dich erinnern sollst

Du wirst dich erinnern an diese Zeit. An die Zeit, in der die Menschen Abstand gehalten haben. Daran, dass Du über einen – für dich in deinem Alter – langen Zeitraum deine Freunde und Freundinnen nicht gesehen hast. Du wirst dich daran erinnern, dass du auf einmal nicht mehr einkaufen gehen durftest, wie du es früher getan hast – allein. Dass du nicht einmal mehr mit den Einkaufsladen kommen durftest. Du wirst dich daran erinnern, dass Menschen auf der Straße Masken getragen haben und irgendwann der Zeitpunkt kam, an dem auch du eine bekommen hast. Zum Schutz der anderen, wie wir dir gesagt haben. Du wirst dich daran erinnern, dass du deine Großeltern nur noch auf Bildschirmen gesehen hast eine Weile. An Pakete, die wir an Freunde und Familie geschickt haben, weil wir sie nicht besuchen durften. Du wirst dich daran erinnern, dass wir keine Spielplätze mehr besucht haben, sondern allein als Familie durch die Natur gestreift sind. An Abenteuer, aber auch an eine kleine Einsamkeit abseits des sonst immer da gewesenen Stadttrubels. Du wirst dich daran erinnern, dass wir Eltern etwas angespannter waren, weniger und bewusster gekauft wurde. An „Nein, jetzt gerade nicht, bestimmt später wieder.“ Du wirst dich erinnern an die kleine, leise Angst, die immer dann spürbar war, wenn du oder eines deiner Geschwisterkinder von Halsschmerzen berichtet hast. Du wirst dich erinnern, an all das. All das ist nun Teil von deinem Leben.

Hoffentlich wirst du dich daran erinnern, dass wir versucht haben, diese Zeit so gut es eben ging zu gestalten. Daran, dass wir dich jeden Abend extra lange ins Bett gebracht haben und über den Tag gesprochen haben. Dich zugedeckt haben mit Decke und lieben Worten. Dass es viel mehr Lieblingsessen gab als sonst – und zu den unterschiedlichsten Uhrzeiten. Daran, dass wir uns Zeit genommen haben für deine Fragen und gemeinsam Antworten gesucht haben. Daran, dass wir versucht haben, neue Wege zu gehen, um dich in Verbindung zu bringen mit denen, mit denen du eigentlich verbunden bist. Hoffentlich wirst du dich daran erinnern, dass wir in angespannten Momenten versucht haben, uns zu erklären. Dass wir immer und immer wieder Lösungen gesucht haben. Dass wir zwar viele Dinge hinter uns gelassen haben, aber eines nicht: uns. Dass wir da waren. Zusammen. Und zusammen durch diese Zeit gegangen sind mit Liebe, mit Vertrauen. Dass wir jeden Tag versucht haben, zu verstehen: dich und uns und die Welt. Hoffentlich wirst du nach all dem, trotz all dem, das Gefühl im Herzen tragen, dass wir immer da sind für dich. Dass wir in schweren Zeiten beieinander stehen und auch im kleinsten Raum, in Schwierigkeiten und Angst, die Liebe, Sicherheit und Bindung zu uns Eltern nicht verloren geht. Wir sind da. Jetzt und immer. In guten und schlechten Zeiten. Als Eltern.

5 Kommentare

  1. Liebe Susanne,
    ich folge dir schon seit einiger Zeit und ich mag deine Inhalte wirklich sehr. Besonders jetzt – in dieser schwierigen Zeit – schreibst du mir ganz oft aus dem Herzen. Diesen Text hier finde ich einfach so schön – und auch schmerzhaft. Genau so geht es mir gerade oft.
    Danke, dass es dich gibt und du so bist, wie du bist. Wir brauchen Menschen wie dich.
    Ilka

  2. AnnaKatharina Strauss

    DANKE! Ja, genau. Hoffe, dass wir und unsere Kinder uns auch an all das erinnern werden

  3. Ganz großartig geschrieben !! Ja, diese Zeit wird den Kindern in Erinnerung bleiben. Mögen, trotz aller Veränderungen, auch viele gute dabei sein.
    Liebe Grüße
    Lydia

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