Tag: 29. Februar 2020

Wenn Geschwister streiten – Teil 3: Wann muss ich eingreifen?

Geschwister zu haben, kann wunderbar sein: Da ist dieser andere Mensch, dieses andere Kind in der Familie und Geschwister können sich so unglaublich nahe sein, miteinander durch das Leben gehen und sich gegenseitig stützen, vertrauen und helfen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Streit – manchmal mehr, manchmal weniger. Das Alter der Kinder, die Geburtenfolge, die allgemeine Bedürfnisberücksichtigung, das Temperament – sie alle nehmen Einfluss auf die Streitereien zwischen Geschwisterkindern. Dabei ist es wichtig, dass wir den Streit nicht per se als negativ betrachten, sondern auch als Ressource für das Lernen sozialer Fähigkeiten. Dennoch stellen sich viele Eltern bei Streitigkeiten zwischen ihren Kindern die Frage: Wann soll ich nun eingreifen und soll ich das überhaupt?

Kein prophylaktisches Eingreifen

In den Streit zwischen Kindern einzugreifen, kann durchaus sinnvoll sein, wenn die Kinder keine gemeinsame Lösung finden, sich nicht beruhigen können oder sich der Streit in eine größere handgreiflichen Auseinandersetzung entwickelt. Allerdings muss nicht in jeden Streit prophylaktisch eingegriffen werden: Manchmal finden Kinder von sich aus bei einem Streit eine kreative Lösung. Sind die Bezugspersonen in der Nähe und verfolgen das Streitgeschehen von Anfang an, ist ein nicht-teilnehmendes, nicht-fokussiertes Beobachten zunächst sinnvoll. Das mag vielen Eltern schwer fallen, wenn sie es gewohnt sind, eher zu ermahnen, selbst alles zu regeln und Kinder weniger als kompetent und lösungsorientiert zu betrachten. Aber wir können uns von der eigenen Zurückhaltung auch überraschen lassen: Merken wir, dass sich der Streit vielleicht in eine für die Kinder allein zu händelnde Situation entwickelt, können wir sogar bewusst den Raum verlassen und den Kindern signalisieren: Ihr seid kompetent genug, um das allein zu bewältigen. Wichtig dabei ist aber, dass der Streit wirklich ausgewogen beigelegt wird und nicht ein Kind aufgrund von Stärke gewinnt und ein Kind (immer wieder) unterliegt und nachgibt.

Keine Schuld geben, sondern offenes Begleiten

Entwickelt sich der Streit in eine Richtung, bei der wir annehmen, dass die Kinder ihn nicht alleine beilegen können, können wir eine Begleitung – aber keine Lösung (!) anbieten:

  • Auch wenn wir versucht sind, unsere ganz persönliche Meinung einzubringen (“Immer streitet Ihr Euch um dieses eine Spielzeug!”, “Das ist total doof, dass ihr Euch streitet, teilt die Knete doch einfach!”), ist das in der Streitsituation zwischen Kindern nicht hilfreich. Hilfreicher ist es zunächst, beide Seiten ihre Sicht darlegen zu lassen und dabei zu erklären, dass wir gegenseitig uns aussprechen lassen und jede Seite ausreichend Gehör bekommt.
  • Im nächste Schritt können die Gefühle beider Personen noch einmal beschrieben werden: “Du bist sauer, weil sie dir dein Spielzeug weggenommen hast und du bist sauer, weil du damit so schön gespielt hast.” Beide Kinder haben Gefühle, beide sind gerade angespannt und fühlen sich beeinträchtigt. Unsere erwachsene Annahme darüber, welcher von beiden eher ein Recht hat, traurig/sauer/wütend/enttäuscht… zu sein, ist nicht relevant für die Situation, weil jedes Kind in der eigenen Emotion gesehen werden möchte und diese gerade auslebt. Es ist wichtig, dass wir jedem Kind die Möglichkeit zugestehen für eigene Gefühle und anerkennen, dass die Konfliktsituation beide Kinder auf unterschiedliche Weise beeinträchtigt.
  • Fühlen sich die Kinder in ihren Emotionen gesehen, können wir das Problem noch einmal sachlich in Worte fassen. Manchmal reichen die Schritte bis zu diesem Punkt bereits aus, dass die Kinder eine eigene Lösung finden.
  • Haben die Kinder noch keine Lösungsidee, können wir sie darum bitten, ihre eigenen Ideen einzubringen und mögliche Lösungen zu sammeln.
  • Wurde von den Kindern eine Lösung gefunden, die für beide passt, kann noch einmal nachgefragt werden, wie es beiden nun mit dieser Lösung geht: “Wie fühlst du dich damit jetzt? Ist das in Ordnung?”

Reflektieren als Eltern

Streitsituationen zwischen Geschwistern sind anstrengend. Es lohnt sich aber nicht nur bei den Kindern genau hinzusehen und zu ergründen, wann es zu Konflikten kommt, ob bestimmte Themen besonders zu Problemen führen und ob vielleicht auch etwas anderes dahinter steckt als das scheinbar aktuelle Streitthema. Es lohnt sich auch, unsere eigenen Gefühle in Streitsituationen zu reflektieren: Warum fällt es mir schwer, wenn meine Kinder streiten? Fühle ich mich als schlechtes Elternteil, wenn meine Kinder streiten? Habe ich das Gefühl, in der Erziehung versagt zu haben, weil sie das tun? Welche Gefühle werden bei mir ausgelöst durch welche Streitsituationen und womit steht dieses Gefühl in Verbindung?

Dass Kinder sich streiten, ist normal. Wir begleiten sie auf dem Weg, gut mit Streitsituationen umgehen zu können und kompetente Lösungen zu finden.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de