Die Entdeckungsfreude des Kleinkindes begleiten

Da sitzt das Kind versunken in sein Tun im Sand auf dem Spielplatz. Immer wieder lässt es den Sand ganz langsam aus der Höhe in von einer kleinen Schaufel in den Eimer rieseln. Die Hälfte des Sandes geht dabei daneben, aber das Kind macht unbeirrt weiter und rieselt vor sich hin. Bis zu dem Moment, an dem der Vater eingreift: „Schau mal, so geht doch alles daneben. Du musst die Schaufel tiefer halten, dann geht der ganze Sand auch in den Eimer.“ – Das Kind blickt auf. Ein lieb gemeinter Vorschlag des Vaters. Es lässt die Schaufel sinken. Der Vater nimmt sie, schaufelt den Eimer voll, drückt den Sand fest, kehrt den Eimer um und entleert ihn. Der Sandkuchen ist fertig, das Kind steht auf und geht zur Rutsche. Eine Szene, die nicht selten zu sehen ist und die auf viele andere Situationen übertragen werden kann: Das Kind spielt, Erwachsene bewerten das Spiel, greift ein, das Kind beendet das Spiel. Auch wenn das Eingreifen des Elternteils hilfreich und unterstützend gemeint ist an dieser Stelle, ist es ein Eingriff in das selbständige Erkunden.

Selbständig die Welt entdecken

Kinder sind neugierig und die Neugierde ist der Motor ihrer Entwicklung. Durch sie lernen Kinder die Welt kennen, interagieren mit ihr, stellen die Dinge in Frage und machen Erfahrungen. Sie lernen Zusammenhänge, Ursache-Wirkung und machen Fehler, aus denen sie wieder etwas lernen. Dafür brauchen sie die Möglichkeit, Erfahrungen ungestört machen zu können. Als Eltern verfügen wir selbstverständlich über viel mehr Erfahrung, haben schon viel erlebt und selber Fehler gemacht, aus denen wir gelernt haben. Um unsere Kinder vor diesen Fehlern zu bewahren, um sie zu bilden und zu unterstützen, sind wir machmal verleitet, in ihr Tun einzugreifen. Doch das Tun der Kinder ist wichtig für ihre Entwicklung.

Lassen wir das Kind tun, was es gerade machen möchte: balancieren lernen in einer noch sicheren Höhe, physikalische Experimente mit Wasser und Sand, Mengenexperimente durch das Schütten von einem Becher in den anderen, Steine stapeln, die immer wieder herunterfallen… Auch wenn das Ergebnis nicht unseren Vorstellungen entspricht, lernen Kinder davon: Sie lernen, ausdauernd bei einer Aktivität zu bleiben, sie lernen Konzentration, sie lernen Selbstvertrauen und sind stolz auf sich, wenn sie ihr eigenes Ziel erreicht haben. Wenn es nicht klappt, lernen sie, mit der Frustration umzugehen. Sie fühlen sich kompetent, wenn sie etwas machen dürfen und nicht von Erwachsenen darin unterbrochen werden, weil sie es scheinbar besser können. Sie lernen um Hilfe zu bitten, wenn sie Hilfe wirklich benötigen.

Unterbrechen wir das Spiel des Kindes, weil wir es scheinbar besser wissen, lernen die Kinder bestensfalls unseren Weg kennen. Schlechtestenfalls fühlen sie sich unterlegen, inkompetent und verlieren Vertrauen in ihr eigenes Tun. Sie geben das Explorieren auf und werden darauf angewiesen, „unterrichtet“ zu werden statt zu erkunden.

Statt eingreifen: Die Haltung der passiven Teilnahme

Lassen wir also unsere Kinder aktiv sein und die Welt bis zu dem Grad, an dem wir aus Schutz eingreifen müssen, selbst erkunden. Viele Kinder brauchen dennoch Erwachsene als sicheren Hafen im Hintergrund: Eltern, die anwesend sind, aber nicht eingreifen in das Spiel oder Erkunden. Die nicht beobachten, aber im Notfall zur Seite stehen. Diese Haltung der passiven Teilnahme gibt uns Eltern zugleich Raum, anderen Tätigkeiten in der Nähe nachzugehen. Es reicht für viele Kleinkinder aus, dass die Eltern in sicht- und hörbarer Nähe sind, damit sie in ein Spiel und Erkunden versinken können. Gelegentlich tauchen sie aus der Erkundung auf, um Nähe einzufordern: durch Körperkontakt, durch Sprache, manchmal auch nur durch einen Blick. Im Anschluss können sie, sicher in dem Gefühl, dass die vertraute Person da ist und im Notfall zur Verfügung steht, wieder in das Spiel eintauchen.

Braucht das Kind dann doch Hilfe und Unterstützung, kann es diese selbst einfordern. Aber auch dann müssen wir als Eltern nicht den richtigen Weg vorgeben, sondern können dem Kind helfen, sich selbst zu helfen: Wir können eine Idee geben, eine Anregung. Und dem Kind die Möglichkeit überlassen, von da an den Weg selbst zu finden oder nach weiterer Hilfe zu fragen.

Lassen wir unseren Kindern die Chance, die Welt nicht nur aus ihren Augen zu sehen, sondern auch mit ihren Händen und Ideen zu entdecken.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

5 Kommentare

  1. Hallo! Da stehe ich voll hinter.
    Nur immer öfter bekomme ich dann das Gefühl, dass mein Kind zu tief versinkt und zu monoton in seiner Tätigkeit wird. Es kann sich locker 30-60 Min. mit ähnlichen Abläufen beschäftigen. Daher, wie lange ist das gesund? Bzw. nach welcher Zeitspanne sollte mal Abwechslung erfolgen, damit stereotypische Verhaltensmuster nicht die Entwicklung gefährden? Gibt es da eine Richtspur?

    Beste Grüße, Anne

  2. Hallo Susanne! Wieder mal ein super Artikel! Ich lese deine Beiträge nun schon seit langer Zeit, diesmal habe ich jedoch eine Frage bzw bitte ich dich um einen Tipp! Ich habe zwei Töchter (2 1/2 und 4 1/2 Jahre). Bei uns ist es irgendwie umgekehrt. Ich finde selten Spiele, Tätigkeiten oder sonstige Zeitvertreibe wie Spielplatz gehen wo meine beiden Töchter sich selbst beschäftigen. Ständig heisst es „Mama, mit dir / komm mit / schaukel mich / etc.“ Ich bin hin und hergerissen zwischen Kinderaufforderungen und eigenen Freiräumen schaffen und Haushalt. Vorschläge, was sie nicht alles machen könnten, werden selten nicht angenomme , wenn ich nicht mitmache. Lesen/basteln/spielen wir gemeinsam oder sind unterwegs, dann ist alles in Ordnung. Kaum sind die beiden auf sich alleine gestellt (iSv alleine spielen) gibt es Streit zwischen ihnen. Ich muss oft erst richtig böse werden, damit sie sich zusammenraufen und spielen. Das kann es ja nicht sein, oder?!?! Was mache ich falsch oder habe ich irgendeinen Denkfehler??? Ich würde mich über deine/eure Rückmeldung/en freuen! lg sabrina

  3. Liebe Susanne!
    Vielen Dank für diesen (und die vielen anderen) informativen Artikel. Ich lese deinen Blog schon seit ca. 2 Jahren im Stillen mit und fühle mich damit jetzt, wo mein erstes Kind auf der Welt ist, in einer besonderen Art und Weise begleitet und vorbereitet – was für ein Geschenk!

    Eine Frage zu der passiven Teilnahme, die du beschreibst: Ab wann gilt das? Mein Sohn ist jetzt knapp 6 Monate alt und fleißig dabei, die Welt im Rahmen seiner Möglichkeiten zu erkunden. Derzeit sind die aber noch an vielen Stellen eingeschränkt – beispielsweise dreht er sich vom Rücken auf den Bauch, kommt aber dann aus dieser Position noch nicht so recht weiter und fängt irgendwann an zu protestieren (Weil er nicht vom Fleck kommt, an ein Objekt nicht rankommt,…).

    Inwiefern unterbreche ich ihn in seinem Tatendrang, wenn ich ihn bspw. nochmal auf den Rücken drehe, ihm das begehrte Objekt näher ranschiebe, o.ä.? Kann das bei so kleinen Babys schon zum Aufgeben des Explorierens führen?
    Bzw. gibt es einen „günstigen“ Zeitpunkt um einzugreifen, bevor der Frust zu groß wird? Oder sollte ich wenn dann erst tröstend/erklärend eingreifen, wenn der Spaß wirklich vorbei ist und er weint?

    Das war nun doch mehr als eine Frage ^^

    Danke im Voraus für eine Idee!

    Herzliche Grüße,
    Anna

    • Liebe Anna,
      ein wenig Unwohlsein ist tatsächlich gar nicht schlecht und regt das Kind an. Ihr merkt, wenn es umschwingt in wirkliche Frustration, die dann begleitet werden will. Vorher aber regt es das Baby an für weitere Entwicklung. Zudem bewegt ihr Euch sonst in eine ungünstige Interaktion des „Bespielens“ hinein und das Kind erwartet mehr und mehr, dass die Eltern für das Spiel zuständig sind.

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