Tag: 20. August 2019

Unser Schlüssel zur Geborgenheit beim Auswandern

Von unseren ersten Jahren als Familie in Indien habe ich hier schon öfter erzählt. Seit ein paar Wochen sind wir dabei, uns wieder in Deutschland einzuleben. Nach so langer Zeit in einer so anderen Kultur ist uns auch Deutschland ein Stück fremd geworden. Für unsere Tochter ist Deutschland wirklich neu. Sie empfindet Indien als ihr Zuhause, mit ihren Freunden, der vertrauten Umgebung, dem Essen und allem anderen, was eine Kultur ausmacht. Für mich hingegen war Indien wirklich vollkommen fremd. Ich stand vor der Herausforderung: Wie kann man inmitten von all dem Neuen und Anderen Geborgenheit finden mit einem Baby oder Kleinkind? Geborgenheit, schreibt Susanne immer wieder, sieht für jede Familie anders aus. In diesem Artikel möchte ich ein paar unserer Schlüssel für Geborgenheit teilen.

Körperkontakt

Berührung und Kontakt helfen uns, uns als Familie zu spüren, auch wenn die äußeren Umstände sich verändern. In Zeiten von Übergang und Veränderung hilft uns Tragen, Umarmen, Kuscheln. Gerade auch, wenn wir auf Reisen waren, haben wir unsere Tochter oft getragen und waren wir so sicher, das Wichtigste nahe bei uns zu haben. So war unsere Tochter auch jederzeit geschützt. Auch wenn ich gerade überfordert, getriggert oder gestresst war von all dem Fremden, half es mir, in einer Umarmung zu sein, so dass sich mein Nervensystem wieder beruhigen und entspannen konnte. Und jetzt in diesen Wochen wird wieder viel getragen, denn wir Eltern sind im Moment das Einzige, was von der vorherigen vertrauten Welt für unsere Tochter noch geblieben ist. 

Verlangsamung

Ich habe in der Zeit in Indien unglaublich viel „verpasst“. Ich habe nicht einmal das Taj Mahal gesehen. Weil ich andere Prioritäten gesetzt habe. Es war mir sehr wichtig, einen stressarmen Familienalltag zu gestalten und Zeit zu haben. Dazu gehört für mich die Möglichkeit verlangsamen zu können, für einzelne Momente, aber auch für Stunden oder Tage oder Wochen. Die Verlangsamung ermöglicht mir, im Kontakt mit mir zu bleiben, mit meiner Tochter, mit meinem Mann. Oder diesen Kontakt wieder herzustellen. Manche Erfahrungen in Indien lösten eine solche Dichte an Empfindungen in mir aus, die ich sonst gar nicht hätte aufnehmen können. Die Verlangsamung ermöglicht mir, Gefühle und Empfindungen zu durchleben und dann auch wieder gehen zu lassen. So konnten wir diese ersten Jahre als Familie in ziemlich großer Langsamkeit gestalten. Das finde ich auch jetzt sehr wertvoll, wo in Deutschland wieder ein anderer Beat vorherrscht. Langsamkeit bedeutete, mehr vor Ort zu sein, weniger zu unternehmen. Dafür aber Zeit zu haben für Beziehung. 

Das Hüten der eigenen Kultur

Neben all dem Abenteuer eines Lebens in Indien war es wichtig, auch die Rituale und Gewohnheiten der eigenen Kultur für uns zu bewahren und Räume zu schaffen, wo sie weiter gelebt werden können. Neben dem Zuhause gehörten für uns dazu vertrautes Essen wie Brot oder auch das Feiern von Festen wie Weihnachten oder Ostern. Wunderschön ist, dass man dieses Würdigen des Eigenen mit den Menschen vor Ort teilen kann: Wir haben oft unsere Nachbarsfamilie eingeladen und konnten sehen, wie bereichernd es für die Kinder ist, zu erleben, dass es bei uns ganz anders zugeht. Dass man bei uns mit Besteck isst und alle gemeinsame am Tisch sitzen zum Beispiel, oder dass man an Ostern Eier anmalt und sucht. Ich brachte den Nachbarn selbstgebackenes Brot und Apfelkuchen und dafür bekamen wir Chapati und Parata. Das Bewahren und Teilen des Eigenen baut Brücken und verbindet. Diese Verbundenheit in aller Verschiedenheit ist etwas sehr Kostbares. Jede und jeder darf anders sein. Trotzdem sind wir zusammen und verbunden. 

All dies hilft uns jetzt übrigens auch beim Einleben in Deutschland. Nur dass es nun darum geht, auch etwas von dem Leben in Indien in unserem Herzen und Alltag zu bewahren. Gerade auch für unsere Tochter, für die Indien das erste Zuhause war.  

Anka Falk hat einen Magister in Rhetorik und Pädagogik und ist Körperpsychotherapeutin, Coach und Dozentin. Von 2007-2017 arbeitete sie in Lehre und Forschung an einem experimentellen Design Institut in der Schweiz. Sie ist im Alter von 37 Jahren mit ihrem Mann nach Indien gegangen. Ihr Kind hat sie in Deutschland geboren, ist dann aber zurück gegangen nach Indien und berichtet von ihrem Alltag dort. Zudem bloggt sie auf ljuno.de und gibt einen Einblick in ihr Alltagsleben in Indien hier auf Instagram