Grenzerfahrung Elternsein – Über den Spiegel, den unsere Kinder uns vorhalten

An manchen Tagen bin ich am Abend erschöpft wie nach einem langen Fußmarsch, habe am Tag das Adrenalin verspürt, das andere Menschen vielleicht bei einem Fallschirmsprung durch ihren Körper rauschen haben. An manchen Tagen bin ich müde wie nach einem Schwimmwettkampf. Ich habe nichts in meinem Leben erlebt, das mich so sehr an meine Grenzen gebracht hat, wie dieses Elternsein.

Elternsein ist kuschelig und warm und schön. Es bedeutet, Gefühle von Verbundenheit zu spüren, Kuschelhormone, Liebe. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, das Kind im Arm zu halten, es zu beruhigen, von ihm mit dem Blick angesehen zu werden, der sagt: Ich vertraue Dir und liebe Dich bedingungslos. Aber Elternsein ist ein Regenbogen der Gefühle und es gibt nicht nur die rosaroten Momente. Elternsein bedeutet auch, sich selbst zu begegnen, sich selbst in den Spiegel zu blicken und manchmal darin gar nicht das eigene Gesicht, sondern das der eigenen Eltern zu sehen. Elternsein bedeutet auch manchmal, an sich zu verzweifeln, sich in Frage zu stellen und auf jeden Fall ins Schwitzen zu kommen auf der Suche nach Antworten und Handlungsmöglichkeiten.

Nichts bringt uns so nah an uns selbst wie ein kleiner Mensch, der direkt in uns hinein sieht. Ein kleiner Mensch, der auf der Suche nach Antworten ist für die Fragen dieser Welt und sie alle an uns richtet: mit Worten und mit Taten. Ein kleines Kind, das vielleicht noch nicht in vollständigen Sätzen sprechen kann, das gerade mal bis zum Knie reicht, aber die ganze Weltsicht, die ganze Selbstsicht verändern kann.

Die Erkenntnisse, die meine Kinder mir gebracht haben, waren nicht immer einfach anzunehmen für mich: Ich habe gelernt, dass ich nicht für jedes Kinderproblem eine Lösung finde. Habe erfahren, dass manchmal auch gute Vorsätze nicht helfen. Ich habe mich als erwachsener Mensch hilflos gefühlt beim Weinen eines Kindes. Ich habe gelernt, dass das Halten oft wichtiger ist als das Tun und das Tun manchmal sogar ganz schlecht ist. Ich habe erkannt, dass ich mich manchmal gar nicht wieder erkenne. Ich habe dafür erkannt, dass ich in mir manchmal andere Personen wieder erkenne aus meiner Kindheit. Ich habe mich missverstanden gefühlt, obwohl ich mich klar ausgedrückt habe. Und ich habe gelernt, dass Kinder manchmal mehr Wahrheit und Tiefsinn haben als wir Erwachsene.

Einem Kind gegenüber zu stehen, ist wie in einen Spiegel zu sehen. Wir bekommen ein Bild von uns und unseren Fähigkeiten und Kenntnissen, das keinen Instagramfilter trägt. Ein schonungsloses, ehrliches Bild von uns selbst. Manchmal glänzen wir darin, manchmal ist es unschön, hinein zu sehen. Unsere Kinder haben die Fähigkeit, uns das ehrlichste Bild über uns sehen zu lassen, das uns ein anderer Mensch geben kann. Wenn wir uns trauen hinzusehen und dieses Bild anzunehmen, lernen wir daraus viel über uns selbst, unsere Stärken und Schwächen. Aber es kostet Überwindung, dieses ehrliche Bild anzunehmen und zu akzeptieren, dass wir wirklich so sind, wie unser Kind es uns zeigt. Mit allen Ecken und Kanten, mit Lachfältchen und Sorgenfalten und wutroten Wangen und beschämten niedergeschlagenen Augenlidern und Liebe im Blick und Verzweiflung und Müdigkeit und Schönheit und Sanftmut. Es ist ein Geschenk, dieses Bild, auch wenn es sich manchmal nur nach einer Herausforderung anfühlt. Denn niemals erhalten wir die Chance, an uns selbst so zu arbeiten und uns selbst wirklich zu erkennen, wie durch unsere Kinder.

Trau Dich, dieses Bild anzunehmen und es als Wahrheit anzuerkennen, was Dein Kind Dir von Dir zeigt. Denn wenn wir dies annehmen, gehen wir auf Augenhöhe mit dem Kind. Wir sagen: Ich glaube Dir, Du hast Recht. Und darauf aufbauend können wir eine ehrliche und authentische Beziehung führen. Wenn wir uns so annehmen, wie wir wirklich sind.

Eure

6 Kommentare

  1. Liebe Susanne, dieser Artikel spricht mir ja (mal wieder) so aus dem Herzen! Ich hatte Gänsehaut beim ganzen lesen. Ich komme im Moment durch meine Kinder so an diesen Punkt und es ist alles so logisch und gibt teilweise so viel Energie plötzlich hinter Schattenwände im eigenen Kopf sehen zu können und es lähmt einen manchmal auch.
    Aber wie eigentliche alle Artikel von dir, sollten sich alle Eltern genau das zu Herzen nehmen und hinsehen. Für sich selbst genauso wie für die Kinder. Danke dafür!!!

  2. Auch ich habe Eigenschaften an mir erlebt, die mir fremd waren und erst durch meine Tochter aufgedeckt wurden. Die Erkenntnis, dass ich das Rollenverhalten meiner eigenen Mutter übernommen habe (die so gar nicht zu meinem Lebensentwurf passt) hat mich sehr erschreckt. Und immer wieder wird mir von meiner Tochter ein Spiegel vorgehalten. Den Blick hinein gilt es auszuhalten. Vielen Dank für diesen Artikel!

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