Wenn ich danach gefragt werde, was ich Eltern zu Beginn der Elternschaft oft wünsche, ist es Geduld: Geduld mit sich, Geduld mit dem Kind. Und die Geduld, dass Kinder sich selbst in Geduld üben und wir sie ihnen nicht beibringen müssen.
Geduldig sein mit dem Kind
Kinder entwickeln sich nach einem vorgegebenen Plan, bei dem die einzelnen Entwicklungsbereiche aufeinander aufbauen: Das Baby dreht sich vom Rücken auf den Bauch, vom Bauch auf den Rücken, beginnt mit der Fortbewegung… Jeder Baustein ist wichtig für nachfolgende Entwicklungen und oft bereitet eine Entwicklung die nächste vor, indem beispielsweise bestimmte Muskeln trainiert, bestimmt Fertigkeiten erlernt werden. Unterschiedlich ist jedoch, wann genau die neuen Fertigkeiten auftreten: Manche Kinder sprechen mit 10 Monaten die ersten Worte, andere erst mit 18 Monaten. Wenn wir als Eltern nach rechts und links sehen, sehen wir dort immer wieder Kinder, die schneller oder langsamer sind in ihrer Entwicklung. Doch es kommt nicht darauf an, dass das Kind eine bestimmte Fertigkeit möglichst schnell erlernt. Als Eltern brauchen wie die Geduld, unsere Kinder auf ihrem individuellen Weg mit ihren individuellen Bedürfnissen zu begleiten. Wir müssen sie nicht schnell vorbereiten, müssen nicht an ihnen „ziehen“, damit sie eine Ziellinie erreichen. Wir müssen geduldig sein mit ihnen.
Diese Geduld sehen wir auch im Spiel der Kinder, wenn wir sie sich vertiefen in eine Aufgabe, an der sie Freude haben. Auch wenn sie nicht sofort erfolgreich gelöst wird, wenn die Fähigkeit, an der sie sich erproben zunächst nicht in ihren Augen so verläuft, wie sie sie sich wünschen, bleiben sie dabei. Weil sie eintauchen in diese Aufgabe, weil sie daran wachsen wollen und dieser innere Ansporn sie zugleich Geduld lernen lässt – wenn wir nicht eingreifen und ihnen die Geduld nehmen durch den Gedanken oder die Aussage, dass das sowieso nicht klappt.
Geduldig sein mit sich selbst als Elternteil
Doch nicht nur mit unserem Kind sollten wir geduldig sein, sondern auch mit uns selbst. Immer wieder gibt es auch Situationen, in denen wir von uns selbst gestresst sind, in denen wir an uns selbst zweifeln. Oft genug schon direkt nach der Geburt, wenn sich nicht sofort das Gefühl des Glücks und der innigen Verbundenheit einstellt. Manchmal brauchen Gefühle Zeit, manchmal brauchen Menschen Zeit, um sich an neue Situationen zu gewöhnen. Gerade das Gefühl der Verbundenheit ist eines, das sich bei einigen Eltern nicht sofort einstellt. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht kommt, dass sie das Kind nie lieben werden oder keine intensive Bindung entstehen kann. Es bedeutet manchmal, dass es etwas Zeit braucht und manchmal, dass die Rahmenbedingungen noch nicht stimmen oder sie etwas Hilfe auf dem Weg benötigen. Wir brauchen dann Geduld und vor allem brauchen wir auch Geduld und Verständnis vom Umfeld, wenn es etwas mehr Zeit braucht.
Als Eltern brauchen wir immer wieder Geduld mit uns, wenn es Phasen gibt, die schwierig sind, an denen wir an uns und unserer Kompetenz zweifeln. „Kann ich das wirklich, das Kind gut durch diese Phase begleiten?“ ist eine Frage, die sich viele Eltern ab und zu stellen. Es ist in Ordnung, an sich zweifeln, sich in Frage zu stellen – und gleichzeitig immer wieder geduldig mit sich selbst zu sein: Denn auch als Eltern wachsen wir ja mit und wachsen in dieses Elternleben hinein. Es ist normal, nicht immer gleich alle Antworten auf alle Fragen zu kennen.
Geduld müssen wir nicht unterrichten
Geduld ist etwas, das wir im Laufe der Zeit erwerben und erwerben sollten. Wir wachsen hinein in die Aufgabe, geduldig zu sein mit uns und unseren Kindern. Wir stillen Bedürfnisse und sehen nach und nach, wie sie länger aufgeschoben werden können. Irgendwann müssen Bedürfnisse nicht prompt beantwortet werden wie im Babyalter, sondern wir können mit Sprache mitteilen, dass wir ein Bedürfnis wahrnehmen und wann wir darauf reagieren können. Kinder entwickeln von sich aus Geduld in wechselseitigem Verhalten. Sie entwickeln Geduld auch daraus, dass wir geduldig sind mit ihnen und uns selbst und sie sich erproben lassen, sie auf ihrem Weg begleiten.
Wir müssen Geduld nicht unterrichten. Wir müssen nicht sagen oder denken: „Das Kind muss Geduld lernen, ich reagiere nicht auf seine Anfrage.“ Wir müssen unser Kind nicht disziplinieren, damit es Geduld erlernt. Es erwirbt Geduld durch unser Vorbild, wenn wir geduldig sind mit ihm und uns und anderen. Und wenn wir Bedürfnisse beantworten: Wir müssen nicht immer sofort aufspringen bei einem älteren Kind, müssen nicht holen und bringen „auf Befehl“, aber wir können sagen: Ich habe Dein Bedürfnis gesehen, ich erfülle es sobald ich kann. Und dieses „sobald ich kann“ ehrlich denken und fühlen. Geduld ist keine Eigenschaft, die ein Mensch durch Disziplinarmaßnahmen erlernt, nicht durch Stress oder Druck. Geduld ist etwas, das durch Gelassenheit und Offenheit entsteht. Genau das benötigen unsere Kinder und auch wir Erwachsene.
Eure
Vielen Dank für diesen tollen Artikel und Blog.
Danke, Du hast so Recht! Wenn ich heute Abend beim Zähneputzen mit dem zweijährigen Ungeduld verspüre, werde ich an Deine Worte denken und ihm mehr Geduld entgegenbringen. Meist bin ich ganz entspannt und geduldig mit ihm und finde, er kann auch schon ganz gut auf etwas warten, zB beim Essen warten, bis der Tisch für alle gedeckt ist.
Liebe Grüße
Johanna