Ich stehe mit fünf gestapelten Gläsern an unserem Küchenbuffet und möchte sie einräumen, etwas wankend und bekomme die Tür nicht auf, nestle ein wenig an dem Schlüssel herum, der immer hakt. Von hinten greift eine Hand über meiner Schulter an mir vorbei, wortlos und öffnet den Schrank für mich, nimmt die Gläser aus der Hand und stellt sie hinein. Lieb gemeint, helfend, unterstützend. Ich bin erwachsen, ich weiß das. Und trotzdem fühle ich mich ein wenig überrumpelt.
Mein Kind sitzt am Tisch, vor sich das kleine Glas, aus dem es immer trinkt, daneben eine Karaffe Wasser. Ich sehe, wie sich die kleinen Hände um den Henkel legen, die Karaffe angehoben wird und sich langsam nach vorn neigt. Ich sehe den konzentrierten Blick, den angespannten Mund. Drei alternative Handlungen gehen mir durch den Kopf: a) Ich nehme die Karaffe in die Hand und gieße meinem Kind ein. b) Ich lasse mein Kind selbst handeln. Vielleicht kleckert es. Vielleicht auch nicht. c) Ich sage: „Pass gut auf!“
Bei Variante a wird sich mein Kind wahrscheinlich ähnlich fühlen wie ich selbst es tat, als ich unerwartete und unerfragte Unterstützung beim Wegräumen der Gläser bekam. Es fühlt sich überrumpelt, nicht ernst genommen, nicht kompetent. Es erfährt durch meine Handlung: Du kannst das nicht, ich kann es besser. Auch Variante c sagt meinem Kind: Ich denke nicht, dass Du das einfach kannst. Vielleicht erschreckt es sich auch und wird aus seiner Konzentration gerissen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es genau jetzt kleckern wird.
Manchmal ist es einfacher, die Dinge als Erwachene/r selbst in die Hand zu nehmen. Es geht schneller, besser, leichter und ohne Komplikationen. Wir sind groß und kennen uns aus. Unsere Kinder müssen noch wachsen und lernen. Sie wollen wachsen und lernen und sie wollen Erfahrungen machen dürfen, um genau dies zu tun. Es ist ihr innerster Wunsch, zu lernen. Diesen Antrieb, diese Freude, sollten wir ihnen nicht nehmen. Nicht, weil es für uns anders einfach bequemer wäre. Sicherlich lässt es sich nicht immer vermeiden, einzugreifen und selbst zu handeln. Aber in vielen kleinen Situationen im Alltag können wir warten – und oft staunen über das, was sie schon können, womit sie uns überraschen. Und beim nächsten Mal fällt das Abwarten dann vielleicht schon etwas leichter.
Eure