„Sie werden sich an den Jahreszeitentisch später sowieso nicht erinnern.“ sagt meine Freundin. Vielleicht hat sie recht damit. Vielleicht werden die vielen Kleinigkeiten der Kindheit irgendwann verblassen: der Jahreszeitentisch, die Tischsprüche, die Goldnüsse, die Geschichten und Märchen, die ich den Kindern erzähle. Sie werden eines Tages wissen, dass die Muckla nicht wirklich in unserem Haus wohnen und ich selbst die kleinen Verstecke eingerichtet habe. Sie werden sich vielleicht nicht an jedes der Gutenachtlieder erinnern, die wir über all die vielen Jahre gesungen haben. Aber ich denke, dass ein Rest des Zaubers für immer erhalten bleibt in ihren Herzen.
Was Kindheit für mich bedeutet, werde ich manchmal gefragt. „Geborgenheit“ sage ich dann. Geborgenheit im Innen und Außen. Innen bedeutet es, da zu sein, zu zu hören, anzunehmen, zu verstehen. Geborgenheit ist Sicherheit und Zuwendung und emotionale Wärme. Es ist „all das Schützende, Hegende, das liebevoll Umsorgende“ wie ich einmal schrieb. Geborgenheit im Inneren ist überall ein wenig anders, aber sie hat immer einen wichtigen Aspekt, der gleich bleibt: Ich begegne meinem Kind wertschätzend.
Auch im Äußeren ist Geborgenheit ganz unterschiedlich. Im Äußeren ist es der Zauber, den ich schaffe, der sich auf die Kindheit legt. Es sind all die kleinen Dinge des Alltags, die Rituale und Geschichten. Auch dann, wenn sie eines Tages aufgedeckt werden, sind sie Teil der Kindheit. Selbst heute als Erwachsene ist für mich die Fee, die meine Großmutter als Märchenfigur für mich erschuf, ein Teil meines ganz persönlichen Kindheitszaubers. Mag sein, dass ich viele Geschichten um sie herum vergessen habe und mir nur ihr einprägsamster Zauber in Erinnerung geblieben ist. Dieser aber ist ein Teil des Gefühls meiner Kindheit. Geborgenheit ist für mich ein Gefühl, dass ich auch mit Farben, mit Liedern und Spielen und Handlungen schaffe. Es sind die gesammelten Steine im Glas, die Stöcke auf dem Balkon, der Duft von Waffeln und der Geschmack von Himbeerlimonade. Es sind die Bienenwachsknetfiguren in der Schale und die getrockneten Blätter, von denen sich die Kinder nicht trennen können. Es ist der Jahreszeitentisch, der mal mehr, mal weniger betrachtet oder bespielt wird, aber ein fester Bestandteil unseres Lebens ist, weil er beständig an seinem Ort steht.
Geborgenheit ist ein Gefühl, das wir geben durch unsere Art und eines, das wir zubereiten durch unser Handeln. Sie ist von Familie zu Familie anders, trägt verschiedene Farben und Formen. Aber es ist das, was die Kindheit ausmacht. Mit meinem Handeln schaffe ich eine Welt für uns, in der wir uns bewegen. Vielleicht werden Teile davon von den Kindern vergessen, vielleicht auch nicht. Aber wahrscheinlich bleibt dennoch die Grundmelodie erhalten, die durch alles hindurch klingt. Die manchmal leiser ist und lauter wird, wenn auf einmal ein vergessener Akkord aufklingt, weil etwas im Leben ihn aufklingen ließ: ein bestimmter Geruch, ein Geschmack, eine Stimme oder ein Lied. Und zudem bleibt es auch meine Erinnerung an die Kindheit, die ich meinen Kindern schuf – und auch dafür ist es den Zauber wert.
Eure