Der große Sohn steht neben mir und schaut zu, wie ich das Baby im Arm habe und auf dem anderen Arm den Käseteller. Unter Zuhilfenahme meines Fußes öffne ich die Kühlschranktür und schiebe den Käseteller hinein. Er steht da und schaut zu und sagt nichts. Als mir fast etwas aus dem Kühlschrank fällt, fragt er „Mama, kann ich Dir helfen?“ Ich schaue ihn an. Fast bin ich ein wenig verärgert, weil er nicht früher danach gefragt hat. Aber sein Zuschauen macht mir klar, dass er einfach abgewartet hat. So, wie er es gewohnt ist. Denn: Ein „Kann ich Dir helfen?“ ist manchmal eine größere Hilfe als etwas einfach zu tun.
Wir Erwachsenen können – in unseren eigenen Augen – so viele Sachen besser als Kinder. Wir sind größer, stärker, denken anders. Wir kommen an Dinge besser heran, können sie vielleicht besser festhalten und wir sehen voraus, wenn etwas schief gehen wird. Wir könnten unsere Kinder deswegen andauernd belehren oder ihnen Dinge abnehmen, denn wir können es ja besser, schneller, genauer. Wenn wir dies tun, nehmen wir ihnen jedoch die Chance, es selbst auszuprobieren. Wir nehmen ihnen die Möglichkeit, sich selbst zu erproben: Was kann ich, was kann ich nicht oder wo brauche ich Hilfe? Wir nehmen ihnen die Erfahrung, sich selbst einschätzen zu können und auf Basis dieser Selbsteinschätzung später mit ähnlichen Situationen besser umgehen zu können. Lernt das Kind heute, dass es eine Sache noch nicht selbständig machen kann, wird es beim nächsten Mal vielleicht anders an sie heran gehen. Es erwirbt Handlungskompetenz. Oder es fragt einen anderen Menschen um Hilfe. Wenn wir ihnen ihre Aktivitäten abnehmen, nehmen wir ihnen auch die Möglichkeit, um Hilfe zu bitten. Wir beschneiden es nicht nur in seinem Tun, sondern auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Kinder brauchen uns nicht, damit wir ihnen beständig schwierige Situationen abnehmen. Sie brauchen uns, damit wir zusehen, ein sicherer Hafen sind. Wir sind da, wenn es wirklich nicht funktioniert. Wenn sie ihre Ideen und ihre Möglichkeiten aufgebraucht haben und nicht weiter wissen. Dann können wir ihnen ein „Kann ich Dir helfen?“ anbieten. In diesem Moment haben sie die Chance, selber zu entscheiden: Wollen sie die Hilfe oder nicht? Sie spüren auch: Jemand ist da, der mich unterstützt. Ich kann mich darauf verlassen.
Warten wir also in den meisten Situationen einfach eine Weile ab. Fragen wir, bevor wir dem Kind etwas aus der Hand nehmen oder ihm auf andere Weise einfach „helfen“. Vielleicht ist unser Eingreifen nicht gewollt. Sicher ist es in vielen Fällen nicht notwendig. Und manchmal können wir durch das Abwarten sogar ganz viel selber lernen und sehen, wie kompetent unser Kind eigentlich ist.
Eure
Danke!
Besonders der letzte Absatz spricht mir so aus dem Herzen! ❤️
Ich habe die Erfahrung gesammelt, dass das besonders gut funktioniert mit zwei Kindern mit einem relativ kurzen Altersabstand: Man hat gar nicht mehr die Zeit ständig überall einzugreifen und alles zu überwachen.
Dann dauert es eben eine halbe Stunde bis das große Kind sich seine Hose angezogen hat – und das auch noch verkehrt herum und mit den Nähten nach außen. Aber was macht das schon? Das Kind hat sich ganz allein angezogen!
Ich war überrascht zu sehen, wie viel mein „großes“ Kind schon kann – wenn ich es nur lasse.
Da muss ich gleich an das tolle Zitat von Maria Montessori denken…Hilf mir, es selbst zu tun. Zeige mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab Geduld meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann ich lernen. ?
Wie kidsaholic musste ich auch gleich an Maria Montessori denken. Es ist ja doch meist unsere eigene Ungeduld, wenn wir einfach eingreifen und es selbst tun. Und leider gewöhnen sich die Kinder irgendwann daran, dass ihnen alles abgenommen wird. Also ist es gut, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass sie so vieles schon selbst können und immer besser dabei werden, wenn man ihnen die Zeit dafür gibt, sich auszuprobieren.
Danke für deinen Beitrag dazu. Ich fand den Anfang ganz besonders rührend. Voll süß, wenn einem so kleine Menschen helfen wollen. 🙂
Hallo Susanne,
ich find’s schön, wenn so kleine Situationen zu so weiten Reflektionen führen. Ich bin auch für ein Mehr an Zutrauen und Ausprobieren lassen.
Das erleichtert die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, die für Kinder wichtig ist.
Liebe Grüße
Der Beitrag errinnert mich an ein Buch welches ich vor kurzem gelesen habe.