Wenn ich über das Loslassen schreibe oder darüber, Selbständigkeit zu ermöglichen, dann schreibe ich meistens über die Kleinkinder und Babys. Als Mutter und auch in meiner Arbeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich diese Einstellung fort trägt, wenn man früh damit beginnt: Wenn man früh Vertrauen in das Kind fasst, wenn man es sich ausprobieren lässt und ihm ermöglicht, mit Problemen selber umgehen zu lernen, gewinnt man als Mutter oder Vater viel Selbstvertrauen und einen Glauben an das Kind und seine Fähigkeiten. Und dennoch sitze ich nun hier und schreibe einen Text über das Loslassen bei einem großen Kind.
Ich habe ein tolles großes Kind. Ein Kind, das bald Schulkind wird. Es ist ein Kind, über das als Baby immer gesagt wurde, dass sie zu schüchtern sei, dass ich sie zu sehr verwöhnen würde, dass wir uns nicht lösen könnten und das zu Problemen führen würde… Tatsächlich war der Weg nicht immer einfach. Aber nicht wegen des von uns gewählten Weges und möglichen Steinen, die ein bindungsorientiertes Leben auf den Weg legen würde. Es waren vielmehr andere Menschen, die an diesem Weg aneckten, obwohl er für uns gerade und richtig verlief. Ratschläge, Verurteilungen, Verhalten anderer, das nicht zu unseren Lebensrichtlinien passte. Wir gingen einfach weiter auf unserem Weg: nicht irritieren lassen, auf das Bauchgefühl hören.
So wurde das Kind größer. Es lernte selbst sich hinzusetzen, zu laufen. Auch wenn es nicht mit Löffel gefüttert wurde, lernte es aus eigenem Willen, mit Besteck zu essen. Obwohl es kein Töpfentraining gab, trug es irgendwann keine Windeln mehr. Es lernte sprechen, reimen, singen, tanzen – weil es Spaß daran hatte. Es wurde lange getragen und lief doch irgendwann an der Hand neben mir. Ich ließ mein Kind machen, sich ausprobieren: früh in der Küche das Gemüse schneiden, mit dem Schnitzmesser im Wald umgehen, eine Kerze anzünden und auspusten.
Mein Kind hat Wurzeln und bekam Flügel, ganz von allein. Und auch wenn ich so stolz auf diesen Weg zurück blicken kann, dann fällt es mir auch heute noch schwer, los zu lassen in manchen Momenten: Wenn sie mit dem Fahrrad voran fährt und um die Ecke verschwindet und ich sie lange Zeit nicht sehe. Wenn sie einfordert, allein über die große Kreuzung zu gehen. Wenn sie zum Bäcker geht, um Brot oder Kuchen zu kaufen. Einen kleinen Moment bleibt mein Mutterherz stehen und denkt: Aber wenn jetzt… Ich hole tief Luft und vertraue ihr. Sie kann das. Sie macht das gut. So, wie sie es immer tat.
Vertrauen ins Kind zu haben, das hört nicht auf. Mit jeder neuen Lebenslage, mit jeder weiteren Entwicklung müssen wir vertrauen. Wenn sie größer wird und das erste Mal nachts in einen Club geht, wenn sie ihre erste Liebe findet, wenn sie irgendwann auszieht. Als Mutter werde ich immer wieder vor die Situationen des Loslassens gestellt, werde immer wieder kurz denken: Aber wenn jetzt… und doch werde ich sie lassen, weil ich ganz tief in meinem Herzen weiß, dass sie das Leben meistert. Weil sie vertrauen in das Leben hat und ich in sie.
Eure
Mir fällt das Loslassen auch manchmal schwer. Trotzdem weiß ich wie wichtig es für meine Kinder ist – ich durfte es immer wieder in meiner Jugend positiv erfahren. Meine Eltern haben das meiner Meinung nach prima gemeistert. Das möchte ich auch an meine Kinder weiter geben.
Lg Petra
Total schöner Text. Danke, Susanne.
Liebe Susanne, vielen Dank für diesen Artikel! du erwähnst hier, dass ihr kein „Töpfchentraining“ gemacht habt. Meine Tochter ist jetzt 1,5 und langsam kommt dieses Thema auf (wobei ich das noch zu früh finde). Ich möchte gern wissen, wie ihr das gemacht habt. Gibt es auf deinem Blog einen Artikel dazu? Kannst du mir etwas zum Lesen zu dem Thema empfehlen? Ich bin für „alternative Methoden“ mehr als offen. Lieben Dank!
Ich hab mir ganz fest vorgenommen, demnächst mal drüber zu schreiben. Aber zunächst kann ich Dir das Buch „Pipi.Kacka“ empfehlen 🙂
oh, auf den Artikel bin ich auch sehr gespannt! und habe großes Interesse an diesem Thema
Oh je wie schwer das loslassen ist merke ich immer wieder. Dies geschieht in der Regel aber nicht weil mir das Vertrauen in meine Kinder fehlt, sondern diese eine Angst, vielleicht die Angst schlechthin die man nur um seine Kinder haben kann.
Ich lese hier als Vater mit. Spiele auch mit dem Gedanken mal was zu schreiben aus Sicht des Vaters. Mal schauen.
LG Danno