Vor kurzer Zeit hatte eines meiner Kinder einen Unfall: Es stolperte und fiel mit dem Gesicht auf einen Türrahmen. 2 Platzwunden im Gesicht waren die Folge. Nachdem wir alle den Schrecken überwunden hatten und es wieder gut ging, stellte sich jedoch eine Frage in den Raum. Eine, die wir selber gar nicht eingeladen hatten, die aber von anderen heran getragen wurde: „Bleibt eine Narbe?“
Als diese Frage zum ersten Mal gestellt wurde, schaute mein Kind recht verwundert. Narbe? Ich glaube, es hatte schon eine Ahnung, was das sein könnte. Aber die Art, wie diese Frage vorgetragen wurde, zeigte, dass eine Narbe wohl etwas Schlimmes, etwas Störendes sein musste. Wieder und wieder wurde sie gestellt. Manchmal vom Kind abgewendet, flüsternd zu mir. Eher ein Raunen als ein Sprechen. Manchmal voller Sorge mit hoch gezogenen Augenbrauen.
Tatsächlich war ich verwundert darüber, dass diese Frage so im Raum stand. Vielleicht, weil in mir noch immer das Glück überwog von der Erleichterung, dass es nur kleine Platzwunden waren. Einen kurzen Augenblick in diesem Moment des Geschehens blieb nämlich mein Herz stehen und ich fürchtete so viel schlimmere Dinge. Die Frage, ob eine Narbe bleiben würde, war mir nicht wichtig.
Sie ist es auch jetzt nicht. Das Leben zeichnet uns. Doch eine Frage rückte sich doch in mein Bewusstsein: Was sagt diese Frage meinem Kind? Das heimlich Flüstern, die besorgten Blicke sagen eines: Eine Narbe im Gesicht ist nicht gut. Ein so offensichtlicher Makel ist nicht gut.
Niemand hat das Recht, meinen Kindern zu vermitteln, etwas an ihnen wäre nicht schön. Meine Kinder sind zauberhaft wie sie sind. Ich liebe den kleinen Knick im Ohr des einen wie das eine weiße Haar des anderen Kindes. Sie sind Kinder und lernen gerade ihre Körper kennen. Sie lernen, sich darin zu bewegen und meine große Tochter lernt gerade, sich allein nach ihrem persönlichen Geschmack zu kleiden, sucht sich Kombinationen aus, die ihrer Meinung nach zusammen passen. Sie gehen ihren Weg, sich ganz kennen zu lernen und sich zu lieben wie sie sind.
Und ich möchte auch, dass sie andere nicht danach richten, ob sie eine Narbe im Gesicht haben oder ihnen ein Körperteil fehlt oder sie sich in irgendeiner anderen Weise von meinen Kindern unterscheiden. Ein Mensch ist ein Mensch und das Drinnen ist das Wichtige an uns.
Gerade heute ist dieser Weg an vielen Stellen nicht einfach. Überall erfahren wir, wie wir sein sollten, wie wir aussehen sollten, wie uns kleiden müssten. Wir hören, welche Sportprogramme wir machen müssten und was wir auf keinen Fall essen dürfen. Und all das fängt nicht erst bei uns Erwachsenen an. Auch nicht bei den Teenagern. Schon Grundschulkinder haben Sorgen, „zu dick“ zu sein. Und noch kleinere Kinder bekommen vermittelt, eine Narbe im Gesicht sei hässlich, dürfte nicht sein.
„Bleibt eine Narbe?“ – Es ist vollkommen egal. Es ist egal, denn mein Kind ist auch mit Narbe schön. Es ist von Innen schön, weil es sich solche Fragen nicht stellt. Es ist für mich auch von Außen immer schön, weil ich es genau so liebe, wie es ist, von Anfang an. Und so streiche ich über die kleine Nase und hoffe einfach nur, dass es bald nicht mehr weh tut.
Eure
Du schaffst es immer wieder mir aus dem Herzen zu schreiben ♥ Meiner damals 13 Monate alten Tochter wurde in Bezug auf ihre babytypischen Speckbeine erzählt, dass Frauen keine dicken Oberschenkel haben wollen o_O Was werden da von klein auf für Schönheitsbilder vermittelt? Ich hoffe sehr, dass wir es schaffen unserer Tochter zu vermitteln, dass sie unabhängig von diesen ganzen Idealen ein wunderschöner Mensch ist – egal wie das Leben ihren Körper zeichnet.
Das spricht mir auch mal wieder aus der Seele. Unser 8 Monate alter Sohn hat Neurodermitis und jetzt fängt es schon an dass alle ihn bemitleiden obwohl er keinerlei Leidensdruck hat. Und selbst wenn er welchen hätte, ich möchte nicht dass mein Kind damit aufwächst zu denken mit ihm sei etwas nicht in Ordnung und er sei zu bemitleiden. Er ist so ein süßes, fröhliches aufgewecktes Kind und das ist doch was zählt und im Vordergrund stehen sollte. Es nervt mich jetzt schon dass die Neurodermitis oft das erste ist was angesprochen wird. Klar ignoriere ich es nicht, aber so lange er nicht signalisiert dass ihn etwas stört werde ich ihm auch nicht vermitteln dass ihn da was zu stören hat.
So: Luft gemacht!
Recht hast du! Ich war als Kind immer stolz auf meine Narben und bin es irgendwie noch heute, denn die erzählen Geschichten.
Bei einer Klassenfahrt auf Kieselsteinen ausgerutscht – die Narbe am Knie.
Beim Grossvater schnitzen dürfen – die Narbe am Finger.
Der handfeste Streit mit der Schwester, eine dünne Linie an der Hand.
Mich stören die nicht. Und an anderen Menschen interessiere ich mich auch für deren Narben, bzw die Geschichten dahinter.
Die sollen sich mal zusammenreissen, die Leute….!
Und zu aller guter Letzt: sollte eine Narbe zurückbleiben und sollte das wirklich einmal das Kind stören (das Kind, nicht die Umwelt), dann wird es Wege geben, diese zu behandeln.
Nun weiterhin eine gute Besserung und rasche Heilung.
Herzlich
Da fällt mir ein wunderbarer Blogpost von Iren ein:
http://www.fairybread.com/2014/06/icalista.html
So viel Wahrheit und Weisheit liegt darin. Und die Steigerung der Frage der Narbenbildung, da dabei scheinbar auch das Geschlecht des Kindes eine Rolle spielt.
Liebe Grüsse, Martina
Das ist wirklich traurig, dass eine solche Frage so im Vordergrund steht. Unsere Kinder haben auch Narben, eine davon auch im Gesicht, und sie alle erzählen irgendeine Geschichte. Oft wollen die Kinder heute noch hören, was da passiert ist und bei manchen Geschichten können wir sogar darüber lachen. Da sind die Narben gar nichts Schlimmes.
Wenn das Kind aber das Gefühl bekommt, es stimmt etwas nicht mit ihm, dann können da auch Narben entstehen. Und das meine ich jetzt nicht nur in Bezug auf eine Narbe im Gesicht sondern auch in Bezug auf alles andere, was wir am liebsten einheitlich, massentauglich optimiert haben wollen.“Was, sie schläft noch nicht durch?“ „Oh, er trägt noch Windeln?“ „Wie, ihr konntet den Schnuller noch nicht abgewöhnen?“ oder dann später: „Unsere kann noch gar nicht richtig ausmalen wie Eure, ist das normal in dem Alter?“, „Meine kann immer noch kein Fahrrad fahren, alle anderen aus ihrem Kindergarten können das schon.“ Und das am liebsten immer schön in der Gegenwart der Kinder diskutiert. Das sind Narben über die wir uns tatsächlich Gedanken machen sollten, bzw die wir gar nicht erst entstehen lassen sollten.
Deinem Kind weiterhin gute Besserung und bis bald.
Oh ja – all diese Zuschreibungen und Bewertungen. Laut Aussage unserer Putzperle sind „Mädchen zickig“ und da „müssten wir bei ihr besonders aufpassen, wenn die älter wird“. Eine Arzthelferin befand, meine kleine Tochter hätte ja „ganz schöne Speckbeinchen“, was ich der denn zu Essen gäbe (sie hat ein Durchschnittsgewicht). Und auf dem Spielplatz wurde mir gesagt, es sei „ja wohl nicht normal, dass sie immer noch so schlecht schläft“. Auch ein Spielplatzzitat: Das Töchterlein habe „ein ziemlich herbes Gesicht für ein Mädchen“.
Anfangs habe ich mir vieles angehört, nach immerhin 16 Monaten Kiddo nehme ich das mittlerweile nicht mehr unkommentiert hin, wenn mir ein Satz abwertend oder schubladenmäßig erscheint. Dann diskutiere ich halt und bin die Zicke, die keinen Spaß versteht.
Sehr schön geschrieben! Mein Sohn hat mehrere Narben. Mit zwei wäre er an einem Darmverschluss fast gestorben… Not OP… Narbe von unterhalb des Bauchnabels bis unter den Rippenbogen. Ein Jahr später Unfall mit der Fritteuse… Haut Transplantation am Arm und an beiden Füßen. Immer wieder wurde diese EINE FRAGE gestellt. Aber es war und ist mir auch jetzt egal, denn mein Kind ist für mich dass Schönste. Und ich bin froh und auch stolz darauf sagen tu können… Auch für ihn sind diese Narben Teil seines jungen Lebens. Keiner fragt mehr da er selber damit umgeht als ob er keine hätte. Das Wichtigste ist normal damit umzugehen und vielleicht auch mal die Fragereien zu umgehen und dass Kind gerade wegen seiner „einzigartigen“ Narben selbstbewusst zu erziehen. Ich bin stolz auf ihn und mich!!!
Vielen dank für den tollen Beitrag, gerade als Mama muss man sich da oft überdenken, vielen Dank