Kürzlich schrieb ich einen Artikel darüber, dass wir Eltern niemandem etwas beweisen müssen und dies mit einer Situation eingeleitet, die ich in einem meiner Kurse erlebt hatte: Ein Baby, das schrie und nicht zu beruhigen war. Daraufhin kam ganz selbstverständlich von vielen Leser_innen die Frage: Aber wenn es nunmal ein Baby ist, das viel schreit, dann kann man es (und besonders auch die Eltern) doch nicht ausschließen! Als erfahrene Kursleiterin und Elternbegleiterin kann ich sagen: Dies war kein Baby, das immer so war. Es war eine Situation, die behoben werden konnte. Und das Elternteil war gestresst durch die Situation und ich bin mir sicher, eigentlich wollte es auch gehen, aber kämpfte innerlich mit sich und dieser Entscheidung. Und natürlich habe ich diesem Eltern-Kind-Paar angeboten, einfach zu einem anderen Termin zu kommen, so dass die Kursgebühr nicht verfallen muss. Aber es gibt auch andere Kinder. Solche, die oft und viel schreien. Und was ist mit denen und ihren Eltern? Dürfen die nicht in Kurse oder die Öffentlichkeit? Wie geht man damit um, wenn man ein Baby hat, das oft schreit?
Bevor ich mich wirklich der Frage zuwende, was man mit einem schreienden Baby unternehmen kann, möchte ich ganz kurz auf die Wortwahl eingehen: Es gibt Babys, die viel schreien, aber für mich gibt es keine Schreibabys. Ein Kind als „Schreibaby“ zu bezeichnen, reduziert es zu sehr auf nur dieses eine, blendet so viele andere Dinge aus, die es auch ausmacht und ist auch gesellschaftlich so negativ besetzt, dass ich das Wort nicht gern verwende. Obwohl es in der Pädagogik ein Fachwort ist und auch viele Bücher zum Thema genau dieses Wort verwenden, ist es nichts, das ich persönlich gern verwende oder im Gespräch mit anderen Eltern. Es gibt Babys, die viel schreien – mehr als andere. Aber sie sind immer auch noch mehr als nur das Schreien. Auch wenn es am Anfang für Eltern schwer ist, das noch zu sehen.
Ein Baby zu haben, das viel schreit, ist anstrengend: Es zehrt an den Nerven, es macht mürbe und traurig. Es kann Eltern das Gefühl vermitteln, das eigene Kind nicht richtig versorgen zu können, denn warum sollte es sonst so viel schreien? Man fühlt sich machtlos, hilflos, inkompetent. Egal was man tut – das Schreien bleibt oder kommt wieder. Es ist eine furchtbare Zeit für die meisten Eltern. Und neben all den anderen Sorgen, Versagensgefühlen und Ängsten fühlen sich betroffene Eltern vor allem noch eins: einsam.
Die Einsamkeit ist oft noch eine der schlimmsten Sachen an der Situation, wenn sich betroffene Eltern in sie begeben. Denn wir „moderne“ Eltern sind sowieso schon mehr isoliert, haben weniger Unterstützung im Alltag als wir es an vielen Stellen eigentlich bräuchten und es unserem natürlichem sozialen Leben entsprechen würde. Sich in dieser Situation noch mehr zurück zu ziehen, noch mehr Zeit nur allein mit dem Baby zu verbringen ist genau das, was wir nicht brauchen.
Ohne in diesem Artikel auf Gründe für das Schreien eingehen zu wollen, ist es natürlich wichtig, die Bedürfnisse des Babys zu berücksichtigen und Signale richtig zu interpretieren und gerade in den ersten Monaten Babys nicht durch zu viele Reize zu überfordern. Doch hier an dieser Stelle soll es einmal nicht um das Baby gehen, sondern um die Elternbedürfnisse und darum, dass gerade sie wichtig sind im Alltag mit dem schreienden Baby.
Was Eltern also brauchen, ist es, angenommen zu werden. Sie brauchen das Gefühl: Dein Baby schreit viel, Du findest keine Ursache, aber deswegen bist Du keine schlechte Mutter oder ein schlechter Vater. Du musst Dich mit Deinem Baby auch nicht zurück ziehen aus der Gesellschaft, sondern bist ganz natürlicher Teil von ihr – egal wie Dein Baby ist, Ihr gehört mit dazu. Wir müssen Eltern mit viel schreienden Babys vermitteln: Es ist okay, wie Dein Kind ist. So ist es und wir sind für Dich da und unterstützen Dich. Auch mit einem schreienden Baby muss man einkaufen gehen, darf einen Kaffee in einem Café trinken oder mit der Straßenbahn fahren. Denn: So ist es eben, das Leben. Wir leben in Gemeinschaft, wir brauchen Gemeinschaft und wir dürfen andere nicht einfach ausschließen. Besonders dann nicht, wenn es ihnen nicht gut geht.
Dürfen Eltern mit viel schreiendem Baby also zu einem Kurs? Natürlich dürfen sie das. Gut ist es, vorher mit der Kursleiterin zu sprechen, damit diese das auch mit den anderen Kursteilnehmer_innen absprechen kann. Denn ja: In einer solchen Situation muss man auch mit den anderen darüber reden, wenn es ein kostenpflichtiger Kurs ist. Ich habe durchaus schon Situationen erlebt, in denen sich Kursteilnehmer_innen über andere Teilnehmer_innen beschwert haben und die Kursgebühr zurück forderten. Daher ist es wichtig, solche Situationen vorab zu klären und über Möglichkeiten zu sprechen. Tatsächlich habe ich mit viel schreienden Kindern im FABEL-Kurs die Erfahrung gemacht, dass sie wirklich oft entspannt waren, wenn das begleitende Elternteil entspannt und in der Gruppe gut aufgehoben war. So kann gerade ein Kurs ein ganz wichtiger und entspannender Termin werden und durch sich entwickelnde Freundschaften weitere Entspannung und Unterstützung im Alltag gewonnen werden.
Sehen wir also irgendwo – im Babykurs, im Supermarkt, in der Bahn – ein Elternteil mit schreiendem Kind, seien wir milde und verständnisvoll. Es ist in Ordnung so und verurteilen wir die Eltern nicht. Dieses Kind und dieses Elternteil dürfen da sein, wo auch immer sie sind. Wenn möglich und passend reichen wir eine helfende Hand, halten die Einkaufstüte auf, lächeln aufmunternd zu. Ein freundliches Gesicht, eine liebevolle Geste kann an einem solchen Tag oder in solchen Wochen viel bedeuten und helfen.
Eure
Ein schöner Beitrag. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich nur sagen: mit einem viel schreienden Baby war zumindest für mich ganz klar, dass ich gar nicht groß hinaus und unter Leute will. Denn selbst das milde Lächeln von Fremden wird schnell zum mitleidigen Blick, von den besserwissenden Leuten mal ganz zu schweigen. Selbst im Familienkreis war ich gestresst, gehetzt und traurig, denn immer war es mein Baby, das schrie und meckerte, unzufrieden war und sich nicht beruhigen ließ. Ob man es nun Schreibaby nennt oder nicht: aufs Schreien wird es sowieso reduziert – selbst wenn es mal nicht schreit („Oh wie schön, dass sie sich beruhigt hat“ tut da genauso weh).
Mit meinem schreienden Kind wäre ich wohl an keinen Kurs gegangen und auch sonst nicht unter viele Leute. Ich habe gespürt, dass es dem Baby dabei noch unwohler war und er hat dann auch noch länger geschrien. Noch schlimmer war es, wenn ihn jemand anderes gehalten hat. Also bin ich alleine zu Hause geblieben. Natürlich habe ich mich alleine gefühlt. Und als Teil der Gesellschaft schon gar nicht, mit dem schreienden Kind im Arm habe ich mich in der Öffentlichkeit eher noch einsamer gefühlt. Natürlich habe ich meine Bedürfnisse zurück gestellt, aber mit einem schreienden Kind irgendwo teilzunehmen hätte meinen Bedürfnissen auch nicht entsprochen. Ich war umso dankbarer, Freunde zu haben, die Verständnis zeigten, wenn wir spontan angesagt haben, wenn wir so oft ihre Anlässe verpasst haben und die sich trotzdem unermüdlich bei uns gemeldet haben. Wer konnte, kam
Nachmittags in ruhigen Stunden für einen kurzen Spaziergang vorbei und ging dann gleich wieder. Das war mir eine echte Hilfe. Natürlich muss jeder seinen eigenen Weg finden, aber für mich war es weniger frustrierend, zu versuchen, das Baby in meine Unternehmungen zu integrieren, als Wege zu finden, etwas Gesellschaft zu haben, ohne ihn zu überfordern.
Schöner Artikel! Ich finde die Entwicklung so schlimm, dass man von Kindern heute nur noch erwartet, ruhig zu sein und die Erwachsenen in Frieden zu lassen. Sicher sollte Kinder niemanden direkt belästigen, aber sie sind nun mal laut – egal, ob sie noch Babys oder schon ein bisschen größer sind. Es macht mich wirklich traurig, wenn sie nur noch stummgeschaltet werden sollen.
Schöner Artikel. Ich hatte das Glück, dass ich bei den befreundeten Mamas und vor allem auch im Stilltreff immer ermutigt wurde, trotzdem zu kommen und das hat mir sehr gut getan.
Dann war da zb die Mami eines älteren total ausgeglichenen Jungen, die erzählte er sei genauso gewesen. Das hat mir auch ein gutes Gefühl gegeben.
Solche Treffen haben mir dann wieder Kraft für den nächsten Tag allein zu Hause gegeben.
Ich bin auf jeden Fall froh, dass unsere Kinder nicht einfach so losbrüllen und sich auch relativ gut beruhigen lassen, wenn ich erstmal den Grund fürs Brüllen herausgefunden habe. Meistens ist das totale Übermüdung, wenn man nach nem aufregenden Spiel mit den Geschwistern einfach nicht loslassen kann. Unsere Jüngste (11 Monate) ist hauptsächlich laut wenn sie glücklich ist. Sie macht dann lautstarke Freudenquietscher, dass einem fast die Ohren abfallen. Unsere Nachbarn unterhalb von uns haben sich schon mehrfach beschwert, wir mögen doch dafür sorgen, dass die Kinder spätestens abends um 7 im Bett liegen, da sich das so gehöre.
Auf der einen Seite verstehe ich die beiden. Sie arbeiten beide SChicht und haben daher unmögliche Arbeitszeiten, aber ich suche nach wie vor vergeblich nach Flügeln zum Anbinden, damit unsere beiden Kleinen (der Nächstältere ist 3 Jahre alt und genauso lebhaft wie seine kleine Schwester) etwa einen halben Meter über dem Boden schweben und ja keine Bodenberührung haben. Die beiden zu fesseln und zu knebeln zum Zwecke jeglicher Lautvermeidung dürfte wohl auch Ärger mit dem Jugendamt geben 😛
Erst heute habe ich zu meinem Mann gesagt, dass für uns wohl am besten ein eigenes Haus geeignet wäre. Im Wald. Ohne Nachbarn. 😀
Danke für diesen Artikel! Mit einem viel schreienden Baby hat man irgendwie doch immer das Gefühl, man macht etwas falsch. „warum kann die Mutter das Baby denn nicht beruhigen?“ Ja, warum. Gründe mag es viele dafür geben. Unreife und hohe Sensibilität. Bauchweh, schlechte Schlaf, Überreizung, … Und immer wieder die Frage, wie denn die Geburt war und die Schwangerschaft und ob man denn die Unruhe auf das Kind überträgt. Nun, ich weiß nicht, wer total gelassen bleibt, wenn das satte, trockene Baby anfängt zu Brüllen wie am Spieß. Es ist wohl auch eine Wechselbeziehung. Das kann man im Supermarkt aber nur schwer erklären, wenn es heißt „oh, armes Ding, musst du verhungern?“ Darum bleibt man doch oft einfach daheim. Und hofft, dass es irgendwann einfacher wird. Und das wird es!