Kürzlich war ich einkaufen mit meinem Sohn. Einkaufen, das bedeutet oftmals, dass ich sehr genau acht geben muss dass nicht irgendwelche Dinge auf dem Boden landen und zerbrechen ODER Dinge im Einkaufswagen landen, die ich nicht kaufen möchte ODER Dinge aus dem Einkaufswagen wieder heimlich ins Regal gestellt werden, die ich kaufen möchte. Nachdem wir jedoch diesen Teil des Einkaufes gemeistert hatten, ging es an den Nachhauseweg. „Willst Du laufen oder getragen werden?“ war die einfache Frage, auf die das Chaos folgte.
Das Chaos bestand nämlich darin, dass der Sohn nicht laufen wollte. Er wollte aber auch nicht getragen werden. Tja. Also versuchte ich meine ziemlich schlauen Argumente, dass wir aber nach Hause müssen, um die Einkäufe in den Kühlschrank zu bringen/die Tochter vom Kindergarten abholen müssen/mal auf Toilette gehen wollen. Nein, es blieb bei weder tragen noch laufen. Zeit verging, der Sohn wurde ärgerlich und ich ratlos. Also nahm ich ihn hoch – gegen Protest und trug ihn schreiend und steif mit mir Richtung Heim. Auf dem Weg dorthin – und es war kein einfacher Weg – hielt eine Mutter neben mir und fragte, ob sie mir für ein Stück des Weges meine Einkaufstüte tragen solle. Liebe fremde Mutter, vielen lieben Dank dafür und Deinen verstehenden Blick! Ich habe Deine Hilfe nicht angenommen, aber allein Deine Frage hat die Situation für mich unheimlich entspannt. Nach etwa 600m des Aufbäumens und Schreiens erklärte ich dem Sohn einfach: „Kannst Du damit jetzt bitte aufhören? Ich kann nicht mehr.“ „Ja.“ sagte er und war ruhig.
Dass ich kein Freund des Wortes „trotzen“ bin, habe ich ja bereits einmal ausgeführt. Kinder kommen in eine Phase, in der sie zunehmend eigene Entscheidungen treffen möchten: Welche Kleidung am Morgen angezogen wird, ob Windel oder Unterhose, was zum Frühstück gegessen wird und welches Kuscheltier es heute begleitet auf seinen Abenteuern. Eigene Entscheidungen. Diese Entscheidungen stehen nur manchmal in Konflikt mit den Entscheidungen anderer Menschen, die vielleicht die gewünschte Hose gerade waschen wollen oder ein anderes Mittagessen geplant haben. Und dann stehen diese Entscheidungen manchmal auch noch im Konflikt mit sich selbst. Es ist Kindern manchmal nahezu anzusehen, welcher enorme Sturm in ihrem Kopf stattfindet, wie sie hin und her gerissen sind und selbst nicht wissen, was sie wollen und in einem Moment eine Sache unbedingt wollen und im nächsten Moment schon wütend auf Abstand davon gehen als hätten sie niemals damit in Kontakt kommen wollen.
Es ist nicht einfach. Nicht für uns und auch nicht für die Kinder in diesem Alter. Was hilft uns allen in diesem Situationen? Nehmen wir es einfach, wie es ist: Wir können nichts an der Situation ändern. Wenn das Kind einen Wunsch hat, dem wir nachkommen können, können wir das tun. Warum sollte es heute nicht im Faschingskostüm auf die Straße gehen dürfen? Oder verschiedene Socken tragen? Oder eben versuchen, selber die Jacke zu zu machen? Geben wir ihm ein wenig Zeit, um seinem Wunsch nachzukommen. Und wenn es nicht geht, wenn es etwas Gefährliches ist, erklären wir, warum es nicht geht und verstehen das Kind in seinem Wunsch und seiner Traurigkeit. Und wenn das Kind selbst nicht weiß was es eigentlich will, dann sind wir da. So wie wir immer da sind. Es ist ein Lernen. Für das Kind und auch für uns. Für uns, dass das Leben mit Kindern Unplanbares bereit hält, dass wir einen Menschen geboren haben mit einem eigenen Willen – von Anfang an.
Vielleicht ist gerade das das Schwierigste an dieser Situation: Zum ersten Mal sehen, dass wir nicht über unsere Kinder bestimmen können. Dass nicht wir es nur sind, die sie in eine Richtung lenken, sondern dass ihre Entwicklung aus ihnen selbst kommt, aus ihrem Inneren und wir sie nur auf ihrem Weg begleiten können. Wir bestimmen nicht über sie und können nur in geringem Maße den Weg vorgeben, den sie gehen wollen. Sie haben ihren eigenen Weg, ihren inneren Bauplan, ihre Ideen. Wir nehmen sie an ihre kleinen, noch unsicheren Hände und begleiten sie. In anderen Worten:
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.
Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.
Khalil Gibran, arabischer Dichter, 1883-1931
Wie geht Ihr damit um, wenn Eure Kinder nicht wollen, was Ihr wollt oder selber uneins sind, was sie wollen?
Ich bin gespannt auf Eure Ideen.
Alles Liebe,
Danke <3
Puh, kenn ich zu gut. In so vielen Situationen ist das zurzeit so :-/ Ich weiss gar nicht wie ich drauf reagieren soll. Ich sehe ja selber, dass es sie aufregt, weil sie nicht weiss, was sie will. Sie will etwas haben, ich geb es ihr (z.B. Beim Essen) und dann will sie es doch wieder nicht. Das Spiel geht dann mehrmals hin und her, bis ich für sie entscheide. Aber Besserung hat das bisher nicht gebracht.
Dann gibt’s halt in dem Moment nichts zu Essen, sondern erst später. So sind einfach beide genervt und satt wird auch keiner.
Hmmm, und dann isst Kind mal hier und mal da und mal dort, und wann ist denn dann der geeignete Zeitpunkt seinen Kindern beizubringen dass sie nicht alles selbst entscheiden dürfen? Ich denke Kinder sollen sich in den Alltag der Familie integrieren und wenn zur Essenszeit nicht gegessen werden will, dann wird gewartet bis zur nächsten Essenszeit….Wenn ich als 4Kindmama jedem Kind jederzeit Autonomie zugestehen will, kann ich Struktur im Familienleben vergessen….und meines Erachtens sind Regeln und Struktur alles was ein Kind braucht um sich in seinem Rahmen autonom zu bewegen.
Wunderschön und einfühlsam beschrieben, vielen Dank fürs Teilen. Auf meinem Blog setze ich mich derzeit auch fast in jedem Text mit der – sorry, ich nenne es – Trotzphase meines Sohnes (3) auseinander. Wobei Du recht hast, dass es um Autonomie geht, nach der er strebt, um sein Leben, seine Entscheidungen und das Üben von beidem.
Wenn wir irgendwann wirklich weiter müssen, stelle ich ihm die (nicht mehr als 2) Mögleichkeiten vor, die er hat. zB In den Kinderwagen (er ist mir zu schwer) oder Laufen, ohne Hose in die Kita oder mit Hose. 🙂 Entweder er entscheidet sich dann oder ich entscheide für ihn.
Meistens ist er dann damit nicht einverstanden und es tut mir leid, dass er so Weinen und Quengeln muß, aber was soll ich tun? Ich kann es ihm nicht immer recht machen. Ein Lernprozess für uns beide.
Wunderbar auf den Punkt. Meine Jüngste ist heute übrigens im Indianerkostüm in die Kita gegangen.
Und dein Fazit, dass wir nicht über unsere Kinder bestimmen, und dass genau das manchmal so ohnmächtig macht, wenn sie sich widersetzen und wir es doch „besser wissen“, ist auch etwas, was mir sehr durch den Alltag hilft, wenn man wieder „Dickkopf“ angesagt ist.
Viele Grüße!
Christine
Kind stehen lassen und einfach selbst gehen. Das Kind wird hinterherkommen, früher oder später, aber es kommt in jedem Fall. Gut, das mag nicht in jeder Gegend funktionieren, aber an ruhigen Straßen praktiziere ich das immer.
Nein, das wäre nicht mein Weg. Ich möchte meine Kinder nicht stehen lassen – auch nicht an einer ruhigen Straße. Mir ist nicht klar, was sie davon lernen sollten.
Was sie davon lernen sollen? Dass es nicht immer nach ihrem Kopf geht. Dass sie, wenn jetzt nunmal Zeit ist, nach Hause zu gehen, und wenn sie nicht wissen, was sie wollen, mit den Konsequenzen leben müssen: Es ist Zeit zu gehen, also geht die Mama. Sie wollen nicht getragen werden/in den Kinderwagen, dann bleibt nur Laufen. Ganz einfach.
Laufen ja, aber nicht alleine lassen. ich denke nicht, dass es der richtige Weg ist, ein Kind, das gerade mit einem anderen Problem beschäftigt ist (nämlich nicht zu wissen was es will oder sich gegen etwas aufzubäumen, was es nicht will) einfach stehen zu lassen und ihm so ein weiteres Problem aufzubürden, nämlich das des Alleingelassenwerdens.
Ich verstehe, was Du meinst damit, dass Kinder lernen müssen, auch andere Bedürfnisse zu berücksichtigen. Ich persönlich verfolge dieses Ziel jedoch nicht dadurch, dass ich die Bedürfnisse des Kindes übergehe.
Mmh, ich finde es gibt Situationen, die sind leicht zu lösen und wiederum andere, die sind schwierig.
Ich habe ein sehr, sehr willensstarkes Kind (das kommt wohl bei zwei Dickköpfen raus) und es gibt Situationen in denen sich mein Kind mit seinem Verhalten auch massiv selbst gefährdet. Da bin ich dann recht strickt und ziehe durch was ich tun muss um es zu schützen. Auch wenn es sich sträubt. Ein Erklären der Situation bringt da leider nix, da ist mein Kind ähnlich impulsgesteuert wie ich. Und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es da besser ist, die Situation zu verlassen, weil sonst Eskalation droht. Im Nachhinein kann man immer noch drüber reden.
Was die Problematik laufen/getragen werden angeht, haben wir da gerade nen Sonderfall. Ich bin hochschwanger und kann mein Kind immer nur kurz tragen. Vor der Schwangerschaft hatte ich eine schlimme Verletzung am Fuß, wegen der ich es nicht groß tragen konnte (Kinderwagen und so hat noch nie funktioniert). So konnte sich das Kind glücklicherweise schon vorher daran gewöhnen, dass ich es nicht tragen kann und bezieht es nicht auf das Baby. Nichtsdestotrotz kommt es vor, dass es unbedingt getragen werden möchte und mit schreien anfängt, weil ich eben nein sage. Reden kommt in solchen fortgeschrittenen Situationen leider nicht an. Und so gehe ich einfach ein paar wenige Schritte weiter und biete dem Kind meine Hand und Hilfe an. Das funktioniert meist recht gut. Ich zeige, dass es jetzt nun mal nicht um seinen Willen geht, aber ich offeriere eine andere Möglichkeit bzw. Hilfestellung.
Eine weitere Situation, die schwierig werden kann ist das Wickeln. Wenn mein Kind gerade mit etwas beschäftigt ist oder schier keine Lust auf Wickeln hat, dann ist es oft schwer es zu „überreden“. Aber was funktioniert ist, die Entscheidung umzulenken. Also das Kind gar nicht erst auf die Idee zu bringen, ob es jetzt überhaupt gewickelt werden möchte oder nicht. Ich stelle einfach eine andere Entscheidung in den Raum, nämlich welche Windel es anziehen möchte. Wir haben Stoffwindeln mit verschiedenen Motiven, da klappt das super. So kann sich mein Kind eine Windel aussuchen und freut sich auch noch, dass es selber entscheiden durfte. Blöd nur wird es nur wenn alle Lieblingswindeln in der Wäsche sind ?
Aber für das Zähneputzproblem hilft leider nicht immer ein Zähneputzlied.