Mütter sind wieder ein Thema. Während Prof. Dr. Lieselotte Ahnert in ihrem unlängst erschienen Buch der Frage nachgeht “Wie viel Mutter braucht ein Kind?”, geht Sarah Blaffer Hrdy einen Schritt weiter, der eigentlich ein Schritt zurück ist: Mütter und Andere: Wie die Evolution uns zu sozialen Wesen gemacht hat liefert Antworten auf die große Frage, warum wir sind, wie wir sind, was uns von unseren nächsten Verwandten unterscheidet – und wohin wir gehen, wenn wir uns immer weiter von dem entfernen, was gemeinhin unter Gemeinschaft verstanden wird.
Mutter-Vater-Kind. Mutter-Mutter-Kind. Vater-Vater-Kind. Familie denken wir heute fast nur noch in Dreieckkonstellationen: Zwei Eltern, ein Kind – höchstens zwei. Was darüber hinaus geht, ist nicht mehr die Norm. Und so verwundert der Gedanke, dass wir nur sind, was wir sind, weil wir einmal mehr hatten.
Die eigentlichen Helden, die Unterstützer unserer Entwicklung sind “die anderen”: Großmütter, Schwestern, Tanten, Nichten, Nachbarn. Sie sind es, die uns wirklich zum Menschen gemacht haben. Und laut Blaffer Hrdy sind sie wichtiger als die uns so bekannt-vertraute Familienform der Kleinfamilie.
Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen
Scheidung, arbeitende Eltern, Unterhaltsklagen, überforderte Eltern mit Schreibabys, die hilfesuchend das Kind im Auto durch die Nacht fahren, damit es ein wenig schläft. Die Kleinfamilie ist ein Modell, das seine Tücken hat: fehlende Erfahrungen, fehlende Hilfen. Mütter tauschen sich in Internetforen wie Netmoms über Hilfen bei Zahnungsbeschwerden aus, weil sie es anders nicht wissen.
Sie besuchen Kurse, in denen sie lernen, wie sie ihren Körper wieder in Einklang bekommen, wie man richtig stillt und wie man mit Kindern spielen kann. Es ist erleichternd, dass es diese Hilfen gibt in Zeiten der Vereinzelung. Sie ersetzen den Stamm, die große Familie, die soziale Gruppe. Und eines wird dadurch klar: Um ein Kind aufzuziehen, bedarf es Unterstützung. Es ist keine Aufgabe, die man mal eben nebenbei stemmen kann – und das war es auch noch nie.
Unsere Neigung, andere zu unterstützen und zu helfen – was uns laut Blaffer-Hrdy von allen anderen Hominiden unterscheidet und unsere Spezies ausmacht – ist aber kein Nebenprodukt, das ganz zufällig im Laufe der Zeit aufgetreten ist, sondern ein entscheidender Motor für die Entwicklung gewesen. Darwins Gesetz der natürlichen Selektion hat dafür gesorgt, dass sich unsere fürsorglichen Vorfahren durchgesetzt haben: Ohne Verwandte oder “Als-ob-Verwandte” hätten unsere Ahnen im Pleistozän nur wenige Kinder ins Erwachsenenalter begleiten können.
Altruismus war ein entscheidender Vorteil. Überall, wo Mütter bei der Aufzucht der Kinder Unterstützung erhalten, sind diese gesünder, besser ernährt und haben größere Überlebenschancen. Interdisziplinär kann nachgewiesen werden, dass erst das Fürsorgeverhalten auftrat und sich dann die Intelligenz entwickelt hat. Und um Fürsorgeverhalten zu entwickeln, ist die Gemeinschaft von besonderer Bedeutung, müssen Kinder Erfahrungen mit anderen Kindern und Erwachsenen machen können.
Was bleibt vom Mensch in 1000 Jahren?
Was bedeutet das nun aber in unserer heutigen Zeit? Wir sind weit entfernt von jenen Großfamilien, in denen man Hilfen bedingungslos erhalten kann. Selbst Familienangehörige haben heute kaum Zeit zur Unterstützung, wenn Großmama und Großpapa bis 67 Vollzeit arbeiten. Babysitter und Tagesmütter sind eine Frage des Einkommens.
Unsere Individualisierung treibt uns immer weiter weg von der Gruppe und selbst Mütter verbringen mehr Zeit zu Hause bei Internetauktionen oder in virtueller als in realer Gemeinschaft. Blaffer Hrdy, die selbst dreifache Mutter ist, fragt zurecht, ob unsere Nachkommen in Tausenden von Jahren noch die Attribute besitzen, die uns heute ausmachen: Empathie und das Bestreben, die Emotionen anderer zu verstehen.