Elternschaft: Miteinander über Erziehung reden

Wenn Eltern merken, dass sie sehr unterschiedliche Erziehungsstile haben, richtet sich der erste Blick fast immer auf die Folgen für das Kind. Verständlicherweise geht es vielen Eltern um die Sorge, ob das Kind in seiner Entwicklung beeinträchtigt werden könnte durch die Unterschiede oder den jeweils anderen Erziehungsstil. Dabei gibt es oft zwei Richtungen der Befürchtungen: Wer stärker kontrollierend erzieht, macht sich Gedanken, ob das Kind zu wenig Grenzen erfährt. Wer feinfühliger begleitet, fragt sich dagegen, ob das Kind zu sehr eingeschränkt wird, zu wenig gesehen oder gewürdigt wird, oder ob es an Zuwendung mangelt, wenn die andere Bezugsperson eher unresponsiv reagiert. Was dabei jedoch häufig übersehen wird, sind die Folgen der Verschiedenen Ansätze für die Beziehung zwischen den Eltern und wie sich Streitigkeiten auf das Kind auswirken können. Natürlich ist es wichtig, das Wohlergehen des Kindes im Blick zu behalten. Doch mindestens ebenso entscheidend ist die Paarebene. Denn die Partnerschaft bildet einen wesentlichen Rahmen für das Familienleben und wirkt damit letztlich auch wieder auf das Kind zurück.

Unsichere Bindung = ungesund?

Ein wichtiger Aspekt vorab: Kinder können verschiedene Bindungen eingehen, die auch unterschiedliche Qualitäten haben. Auch wenn wir den sicheren Bindungen besondere Aufmerksamkeit schenken, sind ambivalente oder vermeidende Muster zunächst keine Störung, sondern Ausdruck kindlicher Anpassung an das Verhalten der Bezugspersonen. Sie sind nicht per se gefährlich für die Entwicklung, können aber beeinflussen, wie stressanfällig ein Mensch später wird. Um in späteren Zeiten stabile Beziehungen eingehen zu können, kann es hilfreich sein, dann einige erlernte Muster abzulegen und neue zu erlernen. Das ist möglich.

Für Eltern ist es weder hilfreich noch möglich, die Bindungsqualität fachlich einzuschätzen. Der Fokus auf die Bindungsqualität kann auch zu einem Druck werden und gegenseitige Vorwürfe zu noch mehr Differenz zwischen den Eltern führen. Hilfreicher ist es deswegen, auf das Miteinander und Wohlbefinden zu blicken: Wie geht es uns miteinander, sind wir gerne zusammen, welche Herausforderungen stellen sich uns wo? Und führen unsere Unterschiede im Umgang miteinander zu unterschiedlichen Belastungen?

Bewusstes oder unbewusstes Ausgleichen

Was oft weniger beachtet wird in Hinblick auf die Folgen unterschiedlichen Erziehungsverhaltens, ist der Umstand, dass die Unterschiede in der Erziehung Auswirkungen auf die Paarbeziehung haben können. Besonders in Hinblick auf den Mental und Emotional Load zeigt sich das oft deutlich: Das Kind sucht sich für Nähe, Zuwendung und Ko-Regulation meist die Bezugsperson, die es darin zuverlässig unterstützt. Dadurch kann eine ungleiche Verteilung von Belastungen entstehen. Wer mehr Wärme und Nähe gibt, trägt oft auch die Hauptlast, wenn es um die emotionale Begleitung des Kindes geht. Das kann zu Überforderung, Erschöpfung und Frustration führen.

Wenn dann noch die gefühlte Notwendigkeit hinzukommt, das vermeintlich fehlende Verhalten des anderen Elternteils zu kompensieren, verstärkt sich die Belastung. Sorge um das Wohlergehen des Kindes kann dazu führen, besonders ausgleichend oder unterstützend einzugreifen. Vielleicht wünscht man sich für das Kind, dass auch der andere Elternteil zugewandt und emotional agiert – dies vielleicht besonders, wenn man dies selbst vermisst hat als Kind. Vielleicht gibt es auch die Sorge, das gedachte Folgen der fehlenden emotionale Verbindung letztlich nicht dem anderen Elternteil, sondern einem selbst zugeschrieben werden. Die Ursachen dafür, einspringen, unterstützen oder auffangen zu wollen, können vielfältig sein. Durch die Überlastung an emotionalen Aufgaben und Erschöpfung kann auch das eigene feinfühlige Handeln leiden, was sich dann letztlich doch auf das Kind auswirken kann.

Schnell können Überlastung, Unzufriedenheit und ein Gefühl des Alleinzuständig-Seins in den Alltag einziehen. Auch das Kind spürt vielleicht die unausgesprochenen Differenzen, die Uneinigkeit und die Belastung und kann dadurch selbst Unsicherheit entwickeln.

Miteinander ins Gespräch kommen

Die gute Nachricht: Ihr müsst nicht in dieser Spirale bleiben. Unterschiedliche Erziehungsstile können nebeneinander und miteinander existieren. Wir können zudem niemanden von einem anderen Erziehungsstil überzeugen – weder in die eine, noch andere Richtung. Es muss eine Bereitschaft zur Veränderung vorliegen. Hilfreich kann es aber sein, miteinander ins Gespräch zu kommen über die Elternschaft, Ziele und Gedanken. Dadurch fällt es leichter, den anderen zu verstehen. Auch wenn Eltern nicht alles gleich machen, haben sie vielleicht in unterschiedlichen Bereichen Stärken, die sich ergänzen können. Durch Gespräche kann der Blick auf die Ressourcen gelenkt werden, statt auf die Differenzen. Aufgaben können aufgeteilt werden, wenn darüber gesprochen wird, welche Belastungen vorliegen. So kann Stress vermindert werden.

Es hilft, miteinander ins Gespräch zu gehen. Nicht in hitzigen Diskussionen, sondern in ruhigen Momenten, in denen ihr beide zuhören könnt. Erklärt eure Sichtweisen aus eurer eigenen Perspektive heraus, ohne Vorwürfe. Versucht, einen gemeinsamen Nenner zu finden, der für euch beide tragbar ist, und haltet eure Kompromisse fest, vielleicht sogar schriftlich, damit ihr später darauf zurückgreifen könnt. Gebt euch auch Zeit für Veränderungen. Vereinbart kleine Schritte, statt sofort eine perfekte Lösung zu erwarten. Achtet bewusst auf die positiven Seiten im Verhalten eures Partners oder eurer Partnerin, denn die sind meist genauso vorhanden wie die Punkte, die euch herausfordern. Und wenn ihr merkt, dass ihr allein nicht weiterkommt, scheut euch nicht, fachliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Klarheit zwischen Euch bringt auch Eurem Kind Sicherheit und Orientierung. Es kann spüren, dass die eigenen Eltern ein Team sind, in dem es durchaus auch Unterschiedlichkeit gibt, aber gemeinsame Ziele verfolgt werden auf eine wertschätzende Art und Weise.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

2 Kommentare

  1. Danke für den wertvollen Beitrag!

    Bei uns ist dieser ausführlich beschriebene Fall eingetreten (leider).

    Ich bin selbst hin und her gerissen:
    Mein Partner ist auch beim Beobachten anderer Eltern-Kind-Aktionen voll auf der BO Seite – wie ich eben. Im Umfang mit den eigenen Kinder ist er aber das komplette Gegenteil…

    Und ich sehe die Auswirkungen auf beim Kind, denn es reagiert direkt gar nicht mehr auf ihnen, schaukelt die Sache direkt hoch, mein Partner fühlt sich vom 4 Jährigen Kind provoziert, usw usw.

    Die Frage die sich mir stellt: wann weiß ich, dass es für mich und die Kinder keinen Wert mehr hat und trotz Paarberatung dieses Thema nicht aus der Welt zu kriegen ist?

    • Eine Paarberatung ist wirklich schonmal ein guter Anfang. Oft wird darin ja probiert, von beiden Seiten aufeinander zu zu kommen und es werden dafür Strategien ausgearbeitet, die dann nach einer Weile auch betrachtet werden: Hat das funktioniert? Wenn nein, warum nicht? Wenn der Partner sieht, dass ihm das Handeln schwerfällt, obwohl er eigentlich anders handeln möchte, kann es auch hilfreich sein, dass er sich mehr therapeutische Unterstützung holt, um zu ergründen, woran das liegt und Strategien zu entwickeln, damit in herausfordernden Situationen der Moment zwischen dem Reiz und der Reaktion erkannt und genutzt wird.

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