Hochsensibilität im Familienalltag

von Franziska Krebs – Geborgen Wachsen Bindungsbegleiterin

Wenn du “mein Kind ist hochsensibel”  hörst, woran denkst du denn dann zuerst?Denkst du an ein emotionales, empathisches, verträumtes, nicht stark belastbares Kind, das sich oft weinend und voller Überreizung zurückzieht? Oder hast du ein Bild von einem wissensdurstigen, aktiven, kommunikativen und sehr begabten, stets nach neuen Herausforderungen suchenden jungen Menschen vor deinem inneren Auge? Beide Beschreibungen sind etwas überspitzt dargestellt, aber die meisten von uns tendieren wohl tatsächlich eher zur ersteren Beschreibung und verbinden mit hochsensiblen Kindern kaum auch Aktivität und Wissensdurst. Hochsensibilität ist allerdings ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, welches – nach aktuellem Forschungsstand – ca. 15-20% der Bevölkerung mitbringen, und das sehr facettenreich ist.

Es gibt mehr introvertierte hochsensible, aber auch extravertierte

Doch warum ist besonders dieses erste, von mir vorab beschriebene Bild so geläufig? Als Elaine Aron, die als Begründerin des Konstruktes der Hochsensibilität gilt, anhand ihrer Studien zu diesem Persönlichkeitsmerkmal ihre Forschungsergebnisse veröffentlichte, zeigte sich eine deutliche Verteilung: Es gibt mehr introvertierte hochsensiblen Menschen. Die andere Ausprägung des wilden, aktiven, fantasievollen, mitteilungsfreudigen, interessiert fragenden und Gesellschaft liebenden hochsensiblen Menschen ist seltener vertreten und nahm auch in der öffentlichen Darstellung weniger Raum ein – dennoch gibt es auch sie.

Dem vielfältigen Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität liegt eine Struktur im Gehirn zugrunde, die es ermöglicht, viel mehr Daten und Reize über sämtliche Sinneskanäle ungefiltert aufzunehmen und intensiver zu verarbeiten, als dies bei nicht hochsensiblen Menschen der Fall ist. Doch diese Hochleistung im Gehirn führt gleichzeitig auch zu schnellerer Erschöpfung und benötigt Regenerationsphasen zur Verarbeitung – Zeit zum Auftanken und Abschalten ist besonders wichtig. 

Elternteil eines hochsensiblen Kindes sein

Eltern hochsensibler Kinder sind aufgrund dieser Anforderungen oft vor große Herausforderungen gestellt. Bedürfnisse wollen verstanden und entsprechend begleitet werden. Der Unterschied zu anderen Kindern ist von Außen nicht sichtbar und das Umfeld reagiert daher manchmal wenig verständnisvoll oder erwartet sogar, dass sich das Kind eben wie alle anderen verhalten solle. Diese Ansprüche führen auch bei Eltern nicht selten zu Verunsicherungen, ob sie das Kind denn wirklich richtig begleiten würden. Auch innerlich recht stabile Eltern haben manchmal leise Zweifel, fühlen sich hilflos oder überfordert. Gerade hochsensible Kinder sind darauf angewiesen, dass ihre Bezugspersonen ihnen auch nach Außen Sicherheit geben und den Bedarf der Kinder nach Außen verständlich machen. Nur aus der Sicherheit heraus kann das Kind Mut fassen und an Herausforderungen wachsen, nicht nur Druck und Unsicherheit, die zu wenig Verständnis hervorrufen würden. Alternative Ideen und kreative Lösungen sind für hochsensible Kinder hilfreich, damit sie einerseits erfahren, dass ihre Grenzen in Ordnung sind und sein dürfen, und andererseits aus der Sicherheit heraus Exploration stattfinden kann.

In all diesen täglichen Herausforderungen zusätzlich deine eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu regulieren, während du ja auch die Gefühle deines Kindes co-regulierst und vielleicht noch die Erwartungen Dritter im Außen spürst, kann ein echter Kraftakt sein. Als vielleicht selbst hochsensibler Elternteil kann dies situationsabhängig manchmal zur Zerreißprobe werden. Umso wichtiger ist es dabei, auch gut für dich zu sorgen, bei Bedarf Unterstützung anzunehmen oder bewusst zu suchen, in den Austausch mit anderen Eltern hochsensibler Kinder zu gehen und dir Zeit und Raum zum eigenen Auftanken einzuräumen. 

Ressourcenorientierter Blick auf die schönen Aspekte

Auch wenn die Begleitung eines hochsensiblen Kindes durchaus auch herausfordernd ist, gibt es im Familienalltag von Familien mit hochsensiblen Mitgliedern wunderschöne Momente. Das Leben mit einem hochsensiblen Kind bringt manchmal auch den kritischen Blick auf die generelle Reizüberflutung unseres Alltags mit sich und lädt dazu ein, mehr Ruhe und Entspannung auch in den eigenen Alltag einfließen zu lassen. Hochsensible Kinder bereichern uns mit ihrem speziellen Blick auf diese Welt, bringen durch die hoch durchdachten und wissbegierigen Fragen neue Impulse in unser aller Leben und regen zum Überdenken an. 

Auch hier gilt wie so oft, dass wir das Kind so annehmen sollten, wie es ist. Und als der Mensch wertschätzen sollten, der es ist. Auf dieser Basis können wir es ressourcenorientiert unterstützen, mit der Hochsensibilität die Welt zu erkunden und sich sicher darin zu bewegen. Das große Ziel ist ja letztendlich, die Hochsensibilität in ihrer Vielfalt annehmen zu können, eigene Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen und die Potenziale darin entfalten zu dürfen. 

Franziska Krebs ist staatlich anerkannte Sozialpädagogin, Geborgen Wachsen Bindungsbegleiterin und Fachpädagogin für Hochsensibilität. Sie begleitet Einzelpersonen und Familien in 1:1 Beratungen und gibt regelmäßig Workshops, Vorträge und online Austauschrunden für Eltern und pädagogische Fachkräfte. Zudem nutzt sie auch bedarfsorientiert Klangangebote und Kinesiologische Reflextherapie. Franziskas Wirkungsraum befindet sich in Halle (Saale), im Saalekreis und bei Anfragen auch in Leipzig, sowie online. Hier findest du sie auf Instagram.

Fotos: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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