Gerade bedürfnisorientierte Erziehung wird immer wieder von vielen Menschen infrage gestellt – ob nun in der eigenen Familie, auf der Straße oder manchmal auch noch in Institutionen. Wir fühlen uns im Rechtfertigungsdruck. Vielleicht wollen wir auch die andere Person davon überzeugen, dass es genau richtig ist, was wir da tun und der kritische Mensch gegenüber das doch verstehen muss. Oft ist aber beides – sowohl Rechtfertigung als auch Überzeugungsversuche – nicht erfolgreich. Anstatt am Gegenüber zu arbeiten, ist es für uns oft hilfreicher und kräftesparender, uns selbst zu versichern, dass es richtig ist, was wir da tun.
„Sieh das doch genau wie ich!“ klappt einfach nicht
Natürlich ist es wünschenswert, andere Menschen davon überzeugen zu können, dass Kinder mit Respekt behandelt werden sollen, dass sie über eigene Rechte verfügen und als der Mensch gesehen und respektiert werden sollten, der sie sind. Diese grundlegenden Ansätze bedürfnisorientierter Erziehung können eine gute Basis für ein psychisch gesundes Aufwachsen ermöglichen und es wäre wunderbar, wenn diese Gedanken von der breiten Gesellschaft getragen werden, damit Kinder nicht nur von den nahen Bezugspersonen, sondern eben allen Menschen unter Achtung ihrer Würde behandelt werden. Auch Forschungsergebnisse bestätigen, dass der autoritative Erziehungsstil, also ein Erziehungsverhalten, das sowohl durch Liebe und Zuneigung gekennzeichnet ist, als auch Kindern Orientierung bietet, den besten Einfluss auf die kindliche Entwicklung hat. Zurecht können wir uns also fragen, warum dann noch immer Menschen davon überzeugt sind, Kinder müssten autorität erzogen werden oder auch in die andere Richtung des Laissez-Faire tendieren.
Rein logische Argumente führen uns in diesem Diskurs jedoch leider nicht weiter. Um sich auf eine Erziehungshaltung einzulassen, in der Nähe/Wärme und Orientierung ausgeglichen vorhanden sind, braucht es ein emotionales Einlassen. Wir müssen nicht nur die Fakten anerkennen, sondern auch eine innere Überzeugung überwinden, sie sich oft durch eigene Erfahrungen ausgebildet hat. Dies beinhaltet ggf. eigene negative Erfahrungen zu reflektieren, sie zu analysieren und in das heutige Leben zu integrieren. Sich den eigenen negativen Erfahrungen zu stellen oder auch auf einmal eigenes Handeln gegenüber den eigenen Kindern kritisch zu hinterfragen und eigene Fehler aufzudecken, erfordert viel emotionale Kraft. Es ist leichter, sich hinter einem „Hat mir ja auch nicht geschadet“ emotional zu verstecken, als sich dem vielleicht doch empfundenen Schaden zu stellen. Langfristig kann durchaus durch das Miterleben anderer Ansätze ein Reflexions- und Lernprozess eingeleitet werden, doch zwischen „Tür und Angel“ oder auf einem Familienfest ist es eher nicht zu erwarten, dass wir mal schnell einen anderen Menschen von einer ganz anderen Menschenhaltung überzeugen können.
Sicherheit statt Rechtfertigung
Als Generation von Eltern, die Erziehung wieder einmal anders ausrichten will und die oben genannten Werte in einer Haltung gegenüber Kindern ausdrücken möchte, die sie selbst vielleicht nicht erfahren haben, besteht durchaus auch Unsicherheit in Bezug auf das eigene Handeln: Ist das wirklich richtig, was ich da tue? Die innere Unsicherheit, die sich daraus ergibt, dass wir ein Erziehungsverhalten anwenden wollen, das wir nicht durch Erfahrung verinnerlicht haben, sondern ganz neu lernen müssen (und während des neuen Umsetzens nicht selten mit unseren eigenen Lasten parallel umgehen), ist normal. Wir lernen, während wir es leben. Das erfordert sehr viel Kraft und Reflexion – und bringt eben auch Unsicherheiten mit sich: Versuch und Irrtum. Auf der Unsicherheit, die ein neues Handeln mit sich bringt, gedeiht Verunsicherung gut. Dies gerade dann, wenn wir durch die eigene Erziehung ohnehin nicht im eigenen Selbstbild gestärkt wurden, sondern eher kritisch auf uns blicken. Wir verfallen schnell in Selbstzweifel oder Rechtfertigungsdruck, wenn wir es anderen vielleicht auch noch gerne Recht machen wollen und irgendwo zwischen verschiedenen Stühlen stehen.
Natürlich ist es auch wichtig, gut gemeinte Hinweise von nahen Bezugspersonen nicht nur abzuweisen. Manchmal ist es durchaus gut, auch noch andere Impulse zu bekommen und wir können aus dem Erfahrungsschatz anderer profitieren. Aber als nun erwachsene Menschen, die Eltern sind, ist es auch wichtig, eigene Entscheidungen treffen zu können und dem eigenen Kind aus innerer Überzeugung den Weg dieser Familie zu zeigen.
Es kommt daher gerade bei Familienfeiern und anderen Zusammenkünften weniger darauf an, andere zu überzeugen oder gute Rechtfertigungsargumente für das neue Erziehungsverhalten zusammenzutragen, als Sicherheit für sich selbst zu haben und diese auszustrahlen. Recht wahrscheinlich werden wir jemanden anderen nicht einfach so überzeugen können. Recht wahrscheinlich werden Rechtfertigungsgründe für moderne, demokratische Erziehung auf eine innere Abwehr des Gegenüber treffen. Es geht also weniger darum, dass wir uns gute Argumente zurechtlegen, warum wir tun, was wir tun, als uns sicher zu sein: „Ich bin heute das Elternteil meines Kindes, ich entscheide, was wir wie tun.“, „Ich bin nicht mehr nur das Kind meiner Eltern, das sich nach ihnen richten muss, sondern selbst Erwachsen und treffe eigene Entscheidungen.“, „Ich bin überzeugt von meiner Erziehungshaltung.“
Was dir helfen kann, innere Sicherheit zu fühlen und sie nach Außen zu zeigen:
- Versichere dir selbst vorab, dass es dir uns deinem Kind gut mit deiner Haltung geht.
- Menschen, die uns den Rücken stärken, tun gut: Umgib dich mit Menschen, die dich stützen und stärken.
- Versichere dir selbst vorab, dass du nicht diskutieren möchtest und musst.
- Überlege, was dir helfen kann, um dich innerlich stark und sicher zu fühlen.
- Überlege, welche Regulationsstrategien dir helfen, um ruhig und klar bleiben zu können.
- Sich abzugrenzen erfordert Kraft: Ziehe dich zurück, wenn du merkst, dass deine Kraft schwindet. Gönn dir Pausen oder plane gleich nur einen kurzen Aufenthalt.
Eure
Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.
Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de