Die Trotzphase, wie sie im Allgemeinen genannt wird, erscheint neben der Pubertät vielen Eltern als sehr große Herausforderung und ist nicht selten von vornherein mit Angst oder zumindest großem Respekt verbunden. Manche Eltern trifft diese Phase auch mit voller Wucht und sie erkennen ihr Kind nicht mehr wieder. Jedes Kind verhält sich anders – das eine laut, das andere leise, das eine wild, das andere schüchtern. Eines aber haben sie gemeinsam: Sie sind auf der Suche nach dem Ich und entdecken ihre Autonomie, also ihre Selbstständigkeit. Es ist an uns, sie in dieser Phase zu begleiten und ihnen bei der Suche danach zu helfen.
Trotzphase? Autonomiephase? Ich-Phase? Eine besonders herausfordernde Zeit für alle
Es steht außer Frage: Die Trotzphase, oder wie wir sie lieber nennen „Autonomiephase“ oder „Ich-Phase“, ist eine ganz besondere Phase im Leben deines Kindes, in der sich ihm plötzlich ganz neue Möglichkeiten bieten. Aus einem scheinbar kleinen hilflosen Baby wird ein selbstbestimmtes Kind. Diese Phase ist eine der wichtigsten Phasen in der frühkindlichen Entwicklung und prägt das Zusammenleben in der Familie sehr. „Ich kann das allein! Auf gar keinen Fall sollen Mama oder Papa dabei helfen!“, ist das Motto. Was für eine Aufgabe! Das Kind ist zu Recht vom eigenen Ich völlig fasziniert. Leider aber funktionieren noch nicht alle Dinge so schnell und auf Anhieb, wie es sich alle Beteiligten vielleicht wünschen würden. Großer Frust, Wut und Tränen sind oft vorprogrammiert. Dein Kind rüttelt gewaltig an deinen Nerven und denen seines Umfelds. Die eigene Frustrationstoleranz, die erst aufgebaut und entwickelt werden muss, wird jeden Tag mehrfach auf eine harte Probe gestellt.
Es gibt keine pauschalen Antworten und Tipps
Nicht jeder Impuls oder jede Idee passt für jedes Kind und deren Familie. Was bei dir und deinem Kind funktioniert, kann bei deiner Nachbarin und ihrem Kind im gleichen Alter überhaupt nicht funktionieren. Manchmal muss man ausprobieren und verschiedene Möglichkeiten im Kopf haben – und viel Geduld.
Ein kreativer Umgang mit herausfordernden Situationen kann beispielsweise sein:
- eine Kleiderstraße zu legen für das Anziehen morgens
- abends ein „plattes Kind“ auf den Fußboden legen mit der Kleidung für den nächsten Tag
- passende Bilderbücher zu Themen gemeinsam ansehen
- Rituale für den Alltag entwickeln
- eine Ja-Umgebung zu Hause gestalten
- in schwierigen Situationen mit Fremden auf eine vorher zurechtgelegte Liste mit Antworten zurückgreifen
Was heute nicht klappt, klappt vielleicht morgen. Oder nächste Woche. Umgekehrt gilt auch, was heute wunderbar funktioniert hat, muss morgen nicht zwangsläufig genauso gut funktionieren. Es ist also vielseitig. So vielseitig wie dein Kind in der Autonomiephase auch. Es braucht dabei deine Begleitung, dich als Kompass, deine Liebe. Du selbst brauchst eine fast schon stoische Gelassenheit und ein ziemlich dickes Fell, um wirklich entspannt da durchzukommen. Und selbst dann wird es Tage geben, da wirst du am Abend völlig entnervt über dich und deine Reaktionen auf einzelne Situationen mit deinem Kind, unzufrieden ins Bett gehen. All das ist „normal“. All das beschreibt das Leben mit einem Kind in der Autonomiephase. Auch für dein Kind ist diese Phase sehr anstrengend, zwiegespalten, herausfordernd, verwirrend.
Was aber dennoch immer wichtig ist
Das Wichtigste in der Begleitung – ob zu Hause oder in der Kita – ist: den Druck herauszunehmen, sich in das Kind hineinzuversetzen und einen Perspektivwechsel zu vollziehen. Die meisten Eltern sind bemüht, entspannt und liebevoll durch diese Zeit zu kommen und geben jeden Tag ihr Bestes. Als Pädagoginnen geben wir folgende Säulen für deinen entspannten Umgang mit:
- Du brauchst Zeit und Geduld
Wir wissen: das ist gar nicht so einfach. Es ist anstrengend, immer und immer wieder mit dem Kind in Beziehung zu gehen und Verständnis zu haben. Dennoch: Regulation baut sich mit der Zeit aus und braucht unsere Begleitung. Nimm dir Zeit für dein Kind, für euch, aber auch für dich allein, damit du wieder Kraft tanken kannst. - Die Außenwelt hat manchmal wenig Verständnis – lass dich davon nicht verunsichern
Es ist gar nicht so leicht, sich ein „dickes Fell“ zuzulegen. Denk dran: Nicht du bist zu unhöflich, wenn du dir eine Einmischung verbittest, dein Gegenüber ist es, wenn es sich ungefragt einmischt. - Sei „perfekt unperfekt“
Oft haben wir viele Gedanken dazu, wie Elternschaf sein muss, was wir leisten müssen. Aber diese Ansprüche sind oft nicht notwendig, unsere Kinder wachsen wunderbar auch mit viel weniger. Nimm den Druck raus.
Deine Barbara + Lisa
Zu den Autorinnen:
Barbara Weber-Eisenmann ist Diplom-Sozialpädagogin, Bloggerin und Mutter. Als langjährige Leiterin im Kita- und Grundschulbereich weiß sie, welche Sorgen und Fragen Eltern während der Kleinkindzeit haben. Barbara ist auf Twitter und Instagram zu finden.
Lisa Wurzbach unterstützt als Fachberaterin Kindertageseinrichtungen bei pädagogischen Fragen zur kindlichen Entwicklung. Lisa ist ebenfalls auf Twitter und Instagram zu finden.
Gemeinsam haben Barbara und Lisa das Buch „Liebevoll durch die Trotzphase“ geschrieben.
Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de