Tag: 26. April 2017

Unsere Gesellschaft braucht sicher gebundene Kinder

Immer wieder wird in Frage gestellt, welche gesellschaftliche Bedeutung Elternblogs haben: “Mamiblogs” bestehen nur aus Bastelanleitungen, gelangweilte Hausfrauen fotografieren ihre geputzen Wohnungen. Eine politische Dimension wird ihnen aberkannt, während sie höchstens noch als Unterhaltungsmedium beschrieben werden. Doch unabhängig davon, dass viele Blogs durchaus bewusst politische Inhalte aufgreifen, wie hier bei Rike Drust beschrieben und auch 2014 schon von Frische Brise erläutert, ist schon allein die Existenz vieler Elternblogs eine politische Aussage, denn es geht in ihnen um Eltern und Kinder und Erziehung. Und Erziehung ist in vielerlei Hinsicht auch (und war es schon immer) eine politische Angelegenheit: Unsere Kinder bestimmen die Welt von morgen. Mit der Art unseres Umgangs heute mit unseren Kindern bestimmen wir, wie die Welt in Zukunft aussehen wird.

Das Fehlen der Empathie in vergangenen Generationen

In seinem Buch “Dem Leben entfremdet” beschreibt der Psychoanalytiker Arno Grün, dass ohne Empathie keine Demokratie möglich sei und der Mangel an Liebe zu Störungen der Identität führen würde. Dieser Mangel an Liebe und Mitgefühl sei es, der Menschen Schreckliches begehen lasse. Dies sehen wir beispielsweise an den Verbrechen der Nazizeit, denen voraus eine lange Geschichte der schwarzen Pädagogik geht, durch die Kinder abgehärtet, kontrolliert und dem Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung entfremdet wurden. Nicht erst die bekannte Kinderärztin des Dritten Reiches Johanna Haarer hat diese Erziehungshaltung der Härte entwickelt, wie ihr oft nachgesagt wird, sondern sie ist eine von vielen in einer langen Tradition. Ziel dieses Erziehungsverhaltens war es, Menschen so zu formen, wie sie damals für die damalige Gesellschaft geschaffen sein sollten, um den Platz einzunehmen, der für sie vorgesehen war. Erziehung im Dienste der Gesellschaft und Politik.

Erziehung und ihre Auswirkungen

Auch heute finden sich die Ausläufer dieser schwarzen Pädagogik noch immer in unserem Erziehungsverhalten wieder, beispielsweise wenn wir über “Machtkämpfe mit Kindern” sprechen und damit eigentlich ihre normale und kindgerechte Entwicklung gemeint ist, oder wenn wir denken, dass ein schreiendes Baby uns manipulieren könnte. Erziehung gräbt sich in uns ein, überwintert in unseren Gedanken und kommt manchmal völlig unerwartet wieder zum Vorschein, ausgelöst durch einen kleinen Reiz im Alltag. Tief verwurzelt sind die Stimmen unserer eigenen Kindheit. Sie sind es, die unser Handeln auch heute noch lenken und unseren Alltag bestimmen. Unser Handeln in der Gesellschaft ist geprägt von den Prinzipien, die wir als Kinder erlernt haben. Unsere Einstellung zu Konsum, ob wir uns bedeutend fühlen durch Güter, unser Arbeitsverhalten und selbst unsere Essgewohnheiten sind Resultat einer Erziehung, die beeinflusst wurde von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Anforderungen. Erziehung war in der Vergangenheit nicht frei, denn sie trägt einen Anspruch in sich, eine Entwicklung in eine Richtung. Diese Richtung wird wesentlich beeinflusst von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren.

Eine sichere Bindung für eine sichere Zukunft

Heute wissen wir, wie unterschiedliche Arten, mit Kindern umzugehen, sich auf die Zukunft auswirken. Die Bindungstheorie und viele Forschungsarbeiten dazu haben uns gezeigt: Es gibt verschiedene Bindungsmuster, die zunächst auf Basis des elterlichen Verhaltens ausgebildet werden. Unter anderem bestimmen die Bindungsmuster, wie wir die Welt wahrnehmen, ob wir uns ängstlich darin bewegen oder mutig, wie wir auf andere zugehen, ob wir Freundschaften schließen und aufgeschlossen sind, wie gut wir lernen können und mit anderen umgehen. Einen großen Einfluss nimmt natürlich auch das jeweilige Temperament des Kindes ein*, doch das Bindungsmuster bestimmt wesentliche Aspekte des Vertrauens und der Offenheit. Feinfühligkeit von Eltern ist die Schlüsselkompetenz für das Gelingen einer sicheren Bindung, die all die positiven Aspekte mit sich bringen kann, die wir uns für unsere Kinder wünschen. Wenn wir feinfühlig auf die Bedürfnisse unserer Kinder eingehen, ist das Ziel einer sicheren Bindung schon näher gerückt. Kinder brauchen sichere Bindung. Und unsere Gesellschaft braucht sicher gebundene Kinder, die eben nicht wie in der Vergangenheit ihre Kränkungen und Störungen in die Welt hinaus tragen und eine Gesellschaft bilden, die sich kriegerisch zerstört.

Jeder liebevolle Artikel ist eine politische Aussage

Doch kommen wir zum Ursprungsgedanken zurück: Wir haben erfahren, dass die Last unserer Vergangenheit groß ist, dass Erziehung früher zu einer nachteiligen Entwicklung für Kinder und die Gesellschaft führte. Diese Einstellungen müssen wir hinter uns lassen, um nicht nur kindgerechter zu sein, sondern auch, um eine sichere und überhaupt zukunftsfähige Zukunft zu gestalten. Wir wünschen uns einen gesellschaftlichen Wandel und wir benötigen ihn auch. Doch an der Last der Vergangenheit tragen wir schwer und es ist viel Arbeit, von alten Erziehungsvorstellungen los zu kommen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir diese Arbeit gemeinsam angehen. Jedes Blog, das liebevoll über Kinder und Elternschaft berichtet, ist eine Hilfe auf diesem Weg. Jeder Artikel von Eltern über liebevoll zugewandte Elternschaft ist Unterstützung für eine bessere Zukunft. Deswegen sind all diese emotionsgeladenen, vor Liebe triefenden und auch oft mit sich und den selbst erlernten Erziehungsweisen hadernden Elternblogs politisch. Sie sind sogar grundlegend politisch, weil wir eine Veränderung der Gesellschaft dort beginnen müssen, wo wir die Chance dazu haben, es von Anfang an richtig zu machen: bei unseren Kindern. Weil wir selber eine bessere Zukunft heranwachsen lassen können und sich die Liebe, die wir heute geben, auf einfach alles auswirken kann: auf Frieden, auf die Umwelt, auf das Miteinander. Elternschaft ist politisch. Liebe ist politisch.

Schreibt Eure Liebe hinaus in die Welt, damit sie all die erreicht, die sie noch nicht erreicht hat.
Eure

* Das bedeutet nicht, dass schüchterne Kinder unsicher gebunden wären.

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